Honorarstreit

KBV lässt Verhandlung platzen

Die Ärzte sind mächtig sauer über den Honorar-Beschluss: Jetzt hat die KBV aus Frust eine weitere Verhandlungsrunde platzen lassen. Sie sieht sogar das Prinzip der Selbstverwaltung infrage gestellt. Eine Urabstimmung soll nun klären, ob es zum Streik kommt.

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Protest ums Geld: Die KBV hat die Verhandlungen abgebrochen.

Protest ums Geld: Die KBV hat die Verhandlungen abgebrochen.

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BERLIN (af/sun/vdb). Nach 20 Minuten war Schluss. Die Vertreter der Ärzteschaft haben sich in einem Gespräch vor der Sitzung des erweiterten Bewertungsausschusses (eBA) am Montag gegen 11 Uhr darauf geeinigt, die Gespräche gar nicht erst aufzunehmen.

Bis hin zum Streik: Urabstimmung geplant

Die freien Ärzteverbände haben sich heute auf erste "harte Maßnahmen" bereits ab der nächsten Woche geeinigt. Sie sollen zunächst nur die Krankenkassen betreffen. Vor allem das "interne Umverteilungssystem" der Kassen sei im Visier.

Parallel dazu soll eine eine Urabstimmung über Warnstreiks und Praxisschließungen durchgeführt werden. Nach dem Ende der Abstimmung am Mittwoch nächster Woche können erste Warnstreiks und Praxisschließungen noch im September beginnen.

Zugleich werden die niedergelassenen Ärzte ihre Patienten über die Hintergründe und mögliche Auswirkungen auf die Versorgung vorbereiten. Diese Informationen werden ab morgen über die niedergelassenen Ärzte verteilt.

Welche Protestformen sind möglich?

Dienst nach Vorschrift. Vertragsärzte haben angekündigt, sich ab einem noch zu verabredendem Zeitpunkt nur an die Regelleistungsvolumina zu halten und darüber hinaus nur noch Notfälle zu behandeln.

Dies empfehlen unter anderen der Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) und der Berufsverband der Deutschen Urologen. Dies sei "systemkonform" und soll nicht gegen den Sicherstellungsauftrag verstoßen. Denn der liege bei den KVen, heißt es.

Morbi-RSA "durcheinanderwürfeln". Ärzte verschlüsseln Diagnosen nach ICD-10, das hat Auswirkungen auf den Morbi-RSA: "Wie wir das genau machen, wie wir die Krankheiten definieren, ist immer noch unsere Sache. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass man das auch beeinflussen kann, und fokussieren kann auf die Situation einzelner Krankenkassen. Da könnten auch welche drunter sein, die im Moment nicht so gut dastehen", sagt Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des NAV-Virchowbundes.

Praxis dicht machen. Die Verbände wollen in den nächsten zehn Tagen Urabstimmungen unter ihren Mitgliedern abhalten. Warnstreiks und Praxisschließungen sollen Ende September starten können.

Bürokratieabbau. Vertreter von Kassenärztlichen Vereinigungen haben angekündigt, bei einem für die Ärzte ungünstigen Ausgang der Verhandlungen das Geld der Kassen nur noch in die Patientenversorgung zu stecken. Wirtschaftlichkeitsprüfungen, Qualitätsanforderungen und Formularanfragen durch die Kassen würden dann nicht mehr bearbeitet.

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat derweil angekündigt, das Verfahren des eBA rechtlich prüfen zu lassen. Der SPD-Gesundheitspolitiker Professor Karl Lauterbach sprach sich für ein Streikrecht für Ärzte aus.

Die Verhandlungen seien geplatzt, "weil die Ärzteseite im Augenblick keine vertrauensvolle Grundlage dafür sieht", erklärte der KBV-Sprecher Dr. Roland Stahl der "Ärzte Zeitung".

Die Kassen gerierten sich nicht mehr als Partner in der Selbstverwaltung. Die Klage beim zuständigen Landessozialgericht Berlin/Brandenburg gegen den Beschluss des eBA werde auf jeden Fall eingereicht.

Der Ausschuss hatte gegen die Stimme der Ärzteseite eine Erhöhung des Orientierungspunktwertes um 0,9 Prozent beschlossen. Die Ärzte halten dies für rechtswidrig.

KBV-Chef Köhler hatte bei der Sondersitzung der KBV-Vertreterversammlung am Samstag in Berlin gesagt, dass nach Auffassung der KBV den Ärzten ein Ausgleich für alle Jahre seit 2008 zustehe und nicht nur für das Jahr 2013.

Beziehung in "tiefer Krise"

Die Partnerschaft zwischen Ärzten und Kassen soll nun in internen Gesprächen mit der Vorsitzenden des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, und dem Verhandlungsführer der Kassen, Johann-Magnus von Stackelberg, auf neue Füße gestellt werden.

Diese Verhandlungen sollen vor dem 15. September abgeschlossen sein, sagte Stahl. Zu diesem Termin soll der eBA erneut zusammentreten.

Diese Sitzung hat eine Besonderheit: Der Ausschuss könne dann auch entscheiden, wenn eine Seite ausschere, sagte GKV-Verbandssprecher Florian Lanz der "Ärzte Zeitung". Dies solle verhindern, dass eine Seite ein Ergebnis verhindern könne.

"Die Beziehung zwischen Ärzten und Kassen steckt in einer tiefen Krise", sagte KBV-Sprecher Stahl. Grund sei, dass die Kassen mit der Veröffentlichung eines Gutachtens im Vorfeld die vereinbarte Vertraulichkeit der Verhandlungen gebrochen hätten.

Das Gutachten, das in den Verhandlungen dann keine Rolle mehr gespielt haben soll, hatte die Kassenseite darin bestärkt, eine Honorarkürzung von sieben Prozent für die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten zu fordern.

Bahr will Verfahren prüfen

Auch aus der Politik werden Stimmen laut. "Es geht bei dieser Auseinandersetzung nicht nur um Geld, sondern auch um das Selbstverständnis der Ärzteschaft", sagte der FDP-Gesundheitspolitiker Lars Lindemann der "Ärzte Zeitung".

Der Vorschlag der Kassen sei ein "zu heftiger Schlag unter die Gürtellinie" gewesen. Lindemann: "Ich rate dem GKV-Spitzenverband dringend seine Haltung zur Ärzteschaft in Deutschland zu überprüfen und sich in den Verhandlungen wieder an den Versorgungsrealitäten, statt an systemfremdem Machtgehabe zu orientieren."

Wie begründet die KBV-VV ihre Klage?

Der Erweiterte Bewertungsausschuss hat seinen Beschluss damit begründet, dass die Ärzte nur die Kostensteigerungen für 2013 erhalten sollen, also eine Erhöhung des Orientierungswertes um 0,9 Prozent. Das GKV-Finanzierungsgesetz, in Kraft getreten zum 1. Januar 2011, verhindere, dass Kostensteigerungen für zurück liegende Jahre berücksichtigt werden könnten. Dies bestreitet KBV-Chef Dr. Andreas Köhler.

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hatte der "Bild-Zeitung" gesagt, die Kassen trügen mit ihren überzogenen Forderungen zum Unmut der Ärzte bei.

"Ich habe kein Verständnis für den bisherigen Verlauf der Honorarverhandlungen und die erneute Zuspitzung", sagte Bahr der Nachrichtenagentur dpa.

Der Gesundheitsminister kündigte an, die Verhandlung des Bewertungsausschusses prüfen zu lassen.

Die Rechtsaufsicht werde den Beschluss lediglich routinemäßig auf Verfahrensfehler hin überprüfen, sagte eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums der "Ärzte Zeitung". Soweit bisher bekannt, soll dies höchstens zwei Monate dauern dürfen.

Fairness in der jetzigen Debatte hat der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn, gefordert: "Ich verstehe den Unmut der Ärzte, denn die Stimmungsmache der Krankenkassen vor den Verhandlungen war unangemessen", sagte Spahn.

Allerdings sei eine abschließende Bewertung des Ergebnisses erst möglich, wenn auch über die Leistungsmenge sowie in den Regionen verhandelt worden ist.

Spahn: "Dann können es insgesamt einen Milliarde Euro Zuwachs für 2013 werden. Deswegen sollte jetzt erst mal endlich fair verhandelt werden, statt sich gegenseitig zu drohen."

"Systemkonformer Protest"

Zu den am Samstag von der KBV-Vertreterversammlung beschlossenen möglichen Protestaktionen äußerte sich jetzt auch der Bundesverband Deutscher Internisten (BDI).

"Wir brauchen einen systemkonformen Protest", sagte der zweite stellvertretende BDI-Vorsitzende, Dr. Hans-Friedrich Spies, der "Ärzte Zeitung".

Das bedeute, dass der BDI seine Mitglieder auffordern werde, die Regelleistungsvolumina einzuhalten und darüber hinaus nur Notfälle zu behandeln. Dies stehe nicht im Widerspruch zum Sicherstellungsauftrag. Der liege bei den KVen.

BDI-Chef Dr. Wolfgang Wesiack plädierte darüber hinaus dafür, das Verhältnis zu den Krankenkassen völlig neu zu überdenken.

Dies gelte insbesondere für die Honorarverhandlungen, in den die Krankenkassen "als Gegner" verstanden werden sollten.

Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" warnte Wesiack: "Bei aller Schärfe in der Auseinandersetzung muss die Patientenversorgung absolute Priorität haben. Wir müssen mit aller Macht eine Verschlechterung der Versorgung verhindern."

Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), warnte die Ärzte indes, ihre Honorarforderungen auf dem Rücken der Patienten auszutragen. "Honorarverhandlungen gehören an den Verhandlungstisch, nicht in die Arztpraxen."

Die Ärzteschaft sollte sich den Aufrufen ihrer Funktionäre deshalb nicht anschließen. "Nicht die Krankenkassen diskriminieren den Arztberuf, sondern das machen die Funktionäre durch überzogene Forderungen, unsachliche Argumente sowie Streikaufrufe."

Hausärzte wollen sich Protest anschließen

Hinter ein Streikrecht für Ärzte stellt sich der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Professor Karl Lauterbach. Allerdings müsse man Ärzte dann auch der Korruption zeihen können, sagte Lauterbach unter Verweis auf das Urteil des BGH der "Ärzte Zeitung".

Noch komme ein Ärztestreik aber zu früh, sagte Lauterbach. Die Verhandlungen seien noch nicht abgeschlossen.

Die Kassen hätten "extrem dumm" argumentiert, indem sie eine Honorarkürzung für Ärzte ins Spiel gebracht hätten, während gleichzeitig Milliarden Euro an Überschüssen aufgelaufen seien.

Eine Kürzung sei nicht gerecht. Viele Hausärzte und Pädiater auf dem Land und in sozialen Brennpunkten verdienten nicht gut. "Auch denen wäre das Honorar gekürzt worden", sagte Lauterbach.

Der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ullrich Weigeldt, hat derweil angekündigt, mögliche Proteste der Ärzte zu unterstützen.

Auch wenn der Verband sich bislang nicht für Praxisschließungen ausgesprochen habe, würden die Hausärzte die Honorarsenkungen nicht klaglos hinnehmen.

In Selektivverträgen nach Paragraf 73b SGB V gebe es keine Gründe, die Praxen zu schließen. Dort würden die Honorare in Euro und Cent gezahlt.

"Wenn die Ärzteschaft will, dass all ihre Kolleginnen und Kollegen ordentlich honoriert werden, dann müssen die Honorare entsprechend verteilt werden", sagte hingegen Martina Bunge, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken.

Bislang sei die Honorarverteilung aber Abbild der Kräfteverhältnisse in der ärztlichen Selbstverwaltung statt Ergebnis einer gerechten vernünftigen Honorarverteilung im Sinne einer guten Versorgung.

Die angekündigte Klage der KBV nach dem Scheitern der Verhandlungen mit den Kassen sei der angemessene Weg, sagte Bunge, nicht aber ein Streik auf dem Rücken der Patienten.

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