Honorarstreit

Proteste trotz Annäherung

Alles gut, weil Honorarverhandlungen verschoben werden? Bei Vertreterversammlungen in Brandenburg und Nordrhein wird deutlich: Die Ärzte bleiben kampfbereit - und wollen ihre Proteste vereinzelt sogar fortsetzen.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck und Ilse SchlingensiepenIlse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Facharzt für Bürokratie (gesehen auf der KBV-Sonder-VV): Der Unmut der Kollegen bleibt groß.

Facharzt für Bürokratie (gesehen auf der KBV-Sonder-VV): Der Unmut der Kollegen bleibt groß.

© David Vogt

DÜSSELDORF/POTSDAM. Die Verschiebung der nächsten Runde in den Honorarverhandlungen darf nicht dazu führen, dass die niedergelassenen Ärzte jetzt die Hände in den Schoß legen.

Das war der einhellige Tenor auf der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNo) am vergangenen Freitag. Ansonsten herrschte bei den Delegierten angesichts der überraschenden Wendung in Berlin vor allem Ratlosigkeit.

"Es ist wichtig, dass wir handlungsfähig bleiben", betonte der KVNo-Vorsitzende Dr. Peter Potthoff. Wahrscheinlich beobachteten die Krankenkassen jetzt genau die Reaktionen der Ärzteschaft. "Wir müssen unter Segel bleiben und die Dampfmaschinen weiter befeuern."

Die Nachricht über die Vertagung der Verhandlungen auf den 4. Oktober hatte den KVNo-Vorstand erst kurz vor Beginn der VV erreicht. Er habe daraufhin sofort mit KBV-Chef Dr. Andreas Köhler telefoniert, berichtete Potthoff.

Die Botschaft: "Wir sollen weiter in intensiven Vorbereitungen bleiben, aber bis zum 4. Oktober keine Maßnahmen treffen." Das neue Angebot der Krankenkassen war offenbar nicht Thema des Gesprächs.

Ob sich das Moratorium auch auf die für Mittwoch geplanten Aktionen beziehe, sei noch nicht klar. Darüber werden die KV-Vorsitzenden aus der ganzen Republik auch auf einem Sondertreffen am Dienstag beratschlagen.

"Ich bin empört"

Potthoff war über die anstehende Hängepartie sichtlich unglücklich. "Es wird schwer sein, die Ärzte bei Laune zu halten", sagte er.

Mit den bisherigen Aktionen sei es den Ärzten gelungen, die Krankenkassen ins Schwitzen zubringen, weshalb man nicht nachlassen sollte, sagte Dr. Thomas Fischbach, Vorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Nordrhein.

"Jetzt den Druck zurückzunehmen, wäre das Dümmste, was wir machen könnten." Das Ergebnis der nächsten Verhandlungsrunde am 4. Oktober werde wahrscheinlich nicht so aussehen, wie es aussehen müsste, sagte er. "Es ist notwendig, dass die Berufsverbände zusammenspielen", sagte Fischbach.

Die Kinderärztin Dr. Heidemarie Pankow-Culot von der Freien Ärzteschaft bezeichnete die Verschiebung der Gespräche auf Bundesebene als "Hammerschlag". "Ich bin empört", sagte sie.

Pankow-Culot forderte die VV-Mitglieder auf, als gute Beispiele voranzugehen und sich aktiv an Protestaktionen zu beteiligen.

Der Hausarzt Dr. Lothar Rütz sieht die Nachrichten aus Berlin als "Trickserei und Täuscherei". Einen Verzicht auf weitere Aktionen der Ärzteschaft darf es seiner Meinung nach nicht geben.

"Wenn wir bis zum 4. Oktober die Füße still halten, brauchen wir uns auf der Bühne gar nicht mehr sehen zu lassen", sagte Rütz.

Protest ab Montag in Brandenburg

Die nordrheinischen Delegierten machten an die Adresse der rheinischen Krankenkassen deutlich, dass sich nicht gewillt sind, einen aus ihrer Sicht unbefriedigenden Honorarabschluss einfach so hinzunehmen.

Mit großer Mehrheit beauftragten sie den zuständigen Ausschuss, einen Honorarverteilungs-Maßstab vorzubereiten, der die Leistungsmenge dem zur Verfügung stehenden Honorar anpasst.

"Wir werden den Krankenkassen durch Wort und Tat klar machen, dass ihre Honorarangebote und die Forderung nach kürzeren Wartezeiten in krassem Widerspruch stehen", sagte KVNo-Chef Potthoff.

In Brandenburg gehen die Ärzteproteste sogar weiter. Einen umfangreichen Maßnahmenkatalog dazu hat die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB) am Freitag beschlossen.

Vorgesehen sind Maßnahmen auf mehreren Ebenen. So ist geplant, dass die Ärzte in ihren Praxen ab Montag Kassenanfragen bis auf Weiteres nicht beantworten. Aber auch die KVBB selbst setzt Signale.

Sie sieht die gemeinsame Selbstverwaltung durch das Verhalten des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Honorarstreit infrage gestellt. Daher zieht sie sich aus allen Gremien und Gesprächen mit Krankenkassen auf Landesebene vorerst zurück.

KVBB-Chef Dr. Hans-Joachim Helming vertrat die Auffassung, "dass das Verhältnis innerhalb der gemeinsamen Selbstverwaltung komplett zerrüttet ist".

Sperrvermerk bei gemeinsamen Ausgaben

Das Auftreten von Kassenvertretern in den Verhandlungsrunden bezeichnete er als "ignorant, arrogant und unanständig".

Der Beschluss der Vertreterversammlung sieht unter anderem vor, dass KVBB-Vertreter vorerst nicht an den Sitzungen des Zulassungsausschusses teilnehmen. Auch andere Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung auf Landesebene werden lahmgelegt.

Zudem hat der Haushaltsausschuss der KVBB beschlossen, dass im Haushalt 2013 sämtliche Aufgaben der gemeinsamen Selbstverwaltung mit einem Sperrvermerk versehen werden sollen.

Dabei geht es um erkleckliche Summen. Allein die Prüfstelle schlägt mit 800.000 Euro zu Buche. Helming betrachtet diesen Beschluss des Haushaltsausschusses als folgerichtig.

"Das ist ein sehr starkes politisches Signal, das deutlich macht, wie ernst uns die Situation ist", sagte er. Der KVBB-Chef stellte infrage, weshalb Ärzte die gemeinsame Selbstverwaltung finanzieren sollten, wenn die Kassenseite keine Gemeinsamkeit praktiziere.

Über den Haushalt und die Sperrvermerke muss die Vertreterversammlung der KVBB aber im November noch entscheiden.

Sollte sie dem Votum des Haushaltsausschusses folgen, ruft sie damit zwangsweise die Aufsicht auf den Plan. Nur sie könnte die Sperrvermerke wieder aufheben.

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