Ärztenetze

Hochgelobt und alleingelassen

Die Gesundheitsreform hat Ärztenetze aufgewertet, sogar ein eigenes KV-Budget ist möglich. Doch die Euphorie der Netzbefürworter wurde bei einer Tagung der KV Niedersachsen gebremst. Denn beim Thema Geld für Netzarbeit enden die Sympathiebekundungen der Kassen.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Mehrwert durch Vernetzung: KVen können für Netze eigene Vergütungsregeln entwickeln.

Mehrwert durch Vernetzung: KVen können für Netze eigene Vergütungsregeln entwickeln.

© [M] Stefan Rajewsk / fotolia.com | ill

BRAUNSCHWEIG. Sie versprechen maßgeschneiderte regionale Versorgungspakete, bessere Patientenversorgung, den Abschied von der Einzelkämpferpraxis und vielleicht sogar eine kosteneffizientere Medizin: Praxisnetze.

Zum "Strategietag Ärztenetze" der KV Niedersachsen in Braunschweig waren mehr als 100 Interessierte gekommen, um die Zukunft der Netze zu diskutieren. Man wolle zum Thema Ärztenetze "ein Problembewusstsein bei den Ärzten schaffen", erklärte KVN-Chef Mark Barjenbruch.

Vor allem aber will sich die KV den netzinteressierten Ärzten als Kooperationspartnerin bei der Abrechnung und der Verhandlung mit den Krankenkassen andienen. Sie traut sich dabei weit mehr zu als den Netzaktivisten, die direkt mit den Krankenkassen verhandeln wollen.

Das im Januar in Kraft getretene Versorgungsstrukturgesetz macht es möglich: Paragraf 87b, Absatz 2 und 4 hat erstmals die Ärztenetze explizit ins SGB V gehoben und ermöglicht es den Länder-KVen, in der Gesamtvergütung eigene Vergütungsregeln für Praxisnetze zu entwickeln, sogar ein eigenes Honorarvolumen ist möglich.

"Die Zeit der Einzelpraxen, vor allem der männlichen Einzelpraxen, ist vorbei", sagte Dr. Carola Reimann (SPD), Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Bundestages. Um regionale Strukturen abzubilden und den immer mehr Ärztinnen passende Arbeitsbedingungen zu bieten, seien Ärztenetze das Mittel der Wahl.

KBV-Vertreter verspricht schlanke Rahmenvorgaben

Das Engagement der Länder-KVen hängt zunächst an den Rahmenvorgaben, die der Gesetzgeber bis Jahresende von der KBV fordert. Ihr Vertreter, Dr. Bernhard Gibis, gab sich auf der Veranstaltung zuversichtlich.

"Die Rahmenbedingungen werden fristgerecht stehen", sagte Gibis der "Ärzte Zeitung". Mehr noch: "Es werden schlanke Rahmenbedingungen sein", versicherte Gibis.

Allerdings werden sie wohl bei weitem nicht alle rund 400 bestehenden Praxisnetze in Deutschland erfüllen können. Die Rede war von 40 bis 50 Netzen, die vor allem die entsprechenden Strukturen und die Größe (20 bis 200 Praxen) auf die Waage bringen könnten.

Die Anforderungen der KBV umfassen Voraussetzungen bestimmter Gesellschaftsformen sowie ärztliche Leiter und Geschäftsführer über Therapiekontinuität bis hin zu Wirtschaftlichkeitsverbesserungen.

Die Länder-KVen sollen aus den Vorgaben länderspezifische Richtlinien machen und den Netzen vor Ort anbieten, die dann als förderungswürdig anerkannt werden können. Die KBV-Richtlinie sieht ein Stufenmodell der Anerkennung vor. So genügt zur formalen Anerkennung zunächst etwa eine Rechtsform oder ein klarer Gebietsbezug.

Damit schließlich Geld fließt, müssen aber etwa auch gemeinsame Doku-Standards stehen oder Konzepte zur Patientensicherheit. "In der Diskussion des Konzeptes mit dem GKV-Spitzenverband sind erste Kompromisslinien erkennbar", berichtete Gibis.

Kassen-Geld für die Netzarbeit? Fehlanzeige!

Allen, die sich auf neue Geldquellen für ihre Netzarbeit gefreut hatten, goss Gerhard Stein, Vizevorsitzender der Deutschen BKK, Wasser in den Wein. Zwar wolle sich seine Kasse dem Thema Netze widmen, aber ein Versorgungsmanagement sei "aufgrund der aktuellen Finanzsystematik im GKV-Bereich mittelfristig extrem schwierig."

Vor allem die Versorgerkassen seien durch zu geringe Zuweisung für alte und kranke Patienten sowie für Sterbefälle benachteiligt. Die BKK setzt deshalb eher unter anderem auf indikationsspezifische Direktverträge. Aber Extra-Geld für Ärztenetze? Fehlanzeige.

Selbst die Rechnung, die Helmut Hildebrandt aufmachte, Vorsitzender der Optimedis AG, die unter anderem für das "Gesunde Kinzigtal" verantwortlich zeichnet, konnte Stein nicht umstimmen.

Hildebrandt warb für Arztnetze als Keimzelle für die ganz großen Lösungen a la Kinzigtal und für eine Finanzierung der Projekte aus den Einsparungen. Und er präsentierte Erfolge: etwa sinkende Mortalität bei Herzpatienten, hoher Anteil leitlinienkonformer Behandlungen, 37 Prozent Kosteneinsparungen bei erfolgreichen Teilnehmern von Nichtraucherprogrammen.

Doch Stein blieb hart und selbst Hildebrandt gestand ein: Es sei nachvollziehbar, dass die Kassen unsicher seien, was die langfristige Perspektive von Ärztenetzen angeht.

Evaluation der Netze - dafür fehlt das Geld

Tatsächlich ist es bei kleineren Netzen schwer, ihren Nutzen und ihr Einsparpotenzial nachzuweisen, sagte Dr. Wolfgang Hentrich, Vorstandsvorsitzender des Ärztenetzes "Genial" Lingen eG (INGA).

Warum? "Wir finden niemanden, der unsere Arbeit evaluieren würde. Und wir haben kein Geld, jemanden mit dieser Aufgabe zu beauftragen", sagte Hentrich.

Damit ist es für einzelne Ärztenetze schwer, den Kassen Avancen zu machen - und sei die Netzarbeit noch so effektiv. Was die KVen angesichts der Haltung der Kassen für die Netze tun können, bleibt abzuwarten.

Gibis rechnet zum 1. Januar 2013 mit dem Inkrafttreten der KBV-Richtlinien.

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