KBV-VV

Köhler präsentiert Sieben-Punkte-Katalog

Alle Vertragsärzte und -psychotherapeuten sollen zum Sicherstellungsauftrag befragt werden: Das hat die KBV-VV einstimmig beschlossen. Vor der Abstimmung hat KBV-Chef Dr. Andreas Köhler in einer emotionalen Rede sieben Kernforderungen aufgestellt.

Veröffentlicht:
KBV-Chef Dr. Andreas Köhler (l.) und Hans-Jochen Weidhaas, Vorsitzender der Vertreterversammlung der KBV, sprachen zu den Delegierten.

KBV-Chef Dr. Andreas Köhler (l.) und Hans-Jochen Weidhaas, Vorsitzender der Vertreterversammlung der KBV, sprachen zu den Delegierten.

© David Vogt

BERLIN (af/sun). Der Sicherstellungsauftrag ist nicht mehr in Stein gemeißelt. Die Ärzte selbst sollen darüber entscheiden, unter welchen Bedingungen sie daran festhalten wollen.

Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung hat am Freitagvormittag den Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung damit beauftragt, alle Vertragsärzte und -psychotherapeuten bis Ende des ersten Quartals 2013 dazu zu befragen. Eine erste Reaktion des GKV-Spitzenverbandes fiel gelassen aus.

In einer emotionalen Ansprache hatte KBV-Chef Dr. Andreas Köhler zuvor gesagt, den Sicherstellungsauftrag zu erfüllen gleiche der Freiheit auf einem Gefängnishof.

Das System sei bereits jetzt aus den Fugen, so Köhler weiter. Nach neuen Berechnungen habe der tatsächlich ausgezahlte Punktwert im Jahr 2011 bei 3,1843 Cent gelegen.

Rund ein Drittel der Leistungen werden nicht mehr bezahlt

Damit sei rund ein Drittel der medizinisch notwendigen Leistungen von den Kassen nicht mehr bezahlt worden. Das Vorenthalten einer angemessenen Vergütung für die Ärzte sei für die verfassungsrechtliche Einschätzung der Funktion des Systems relevant.

Zwar könnten die Ärzte den Sicherstellungsauftrag nicht einfach zurückgeben. Dazu bedürfe es einer Gesetzesänderung, sagte Köhler. Er stellte ein verfassungsrechtliches Gutachten in Aussicht, das die Frage der Rückgabe des Sicherstellungsauftrages beleuchten soll.

Unabhängig vom Ausgang der weiteren Verhandlungen im Bewertungsausschuss am 4. und 9. Oktober hat die KBV einen Sieben-Punkte-Forderungskatalog aufgestellt:

1. Wiederherstellung der diagnostischen und therapeutischen Freiheit.

2. Feste und kostendeckende Preise für alle ärztliche Leistungen.

3. Versorgungsfremde Steuerungselemente abschaffen: Entweder alle Leistungen bezahlen oder feste Mengen.

4. Selbstverwaltung überprüft Qualität wieder selbst.

5. Weg mit den Regressen.

6. Kollektiv- und Selektivverträge müssen sich auf alle ambulanten Leistungen erstrecken, Rücknahme der institutionellen Öffnung der Krankenhäuser zugunsten persönlicher Ermächtigungen von Krankenhausärzten.

7. Kassenspezifische Gesamtverträge wieder zu ermöglichen.

Diese Forderungen hat sich die Vertreterversammlung einstimmig und ohne Aussprache zu eigen gemacht.

Verhandlungen festgefahren

Die Verhandlungen zwischen den Kassen und den Ärzten über die Höhe der Honorare 2013 sind nach mehreren gescheiterten Runden bereits in die Verlängerung gegangen. Das Klima zwischen den Verhandlungspartnern ist vergiftet.

Der Vorsitzende der Vertretersammlung, Hans-Jochen Weidhaas, betonte, dass mit dem GKV-Spitzenverband kein konstruktives Arbeitsklima mehr möglich sei.

Offenbar habe sich der Verband so weit von der Versorgung und von den Bedürfnissen der Versicherten entfernt, dass er auch die Lage in den Praxen völlig aus den Augen verloren habe.

In der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hat sich die Meinung durchgesetzt, dass der ursprüngliche Konsens über den Sicherstellungsauftrag nicht mehr trägt.

"Heute müssen wir die Frage stellen: Ist dieser Sicherstellungsauftrag es wert, den historischen Pakt beizubehalten? Oder werden wir durch den Sicherstellungsauftrag erpresst?", hatte im Vorfeld der VV KBV-Chef Andreas Köhler im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" gesagt.

In der Vertreterversammlung griff Köhler die Krankenkassen frontal an: "Das Einzige, was uns die Kassenfunktionäre am freiberuflichen Status im ökonomischen Sinne gern lassen möchten, ist die Freiheit zu Überstunden, Urlaubsverzicht, lückenhafter Altersversorgung, Familienmitarbeit ohne Entgelt und persönlicher Vermögenshaftung."

Deshalb sei jeder Kompromiss im laufenden Honorarstreit ein fauler Kompromiss. Mit dem Sicherstellungsauftrag hielten die Ärzte an einem Vertrag fest, den die Gegenseite längst aufgegeben habe.

Es sei deshalb nicht zu verantworten, junge Kolleginnen und Kollegen unter Vortäuschung eines nicht mehr bestehenden gesellschaftlichen Konsenses weiterhin in dieses System hineinzulocken, so Köhler.

GKV-Spitzenverband: "Ziel bleibt eine faire Lösung"

Der Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses hatte ursprünglich einen Anstieg des Orientierungswerts um 0,9 Prozent vorgesehen, was 270 Millionen Euro mehr ausgemacht hätte. Dagegen waren die Ärzte auf die Barrikaden gegangen. Die KBV hatte im Vorfeld ein Plus von 3,5 Prozent (rund elf Milliarden Euro) gefordert.

Darauf hin hatten die Kassen ihr Angebot nachgebessert. Unter anderem hatten sie eine deutliche Mengenausweitung angeboten. Unter dem Strich wäre damit das Honorar um fast eine Milliarde Euro gestiegen.

"Derzeit ist ein Verhandlungspaket im Gespräch, dass einem Honorarplus von rund einer Milliarde Euro für die niedergelassenen Ärzte entspricht. Die Honorarverhandlungen zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband werden am 4. Oktober fortgesetzt. Unser Ziel ist und bleibt eine faire Lösung, die sowohl den Interessen der Patienten und Beitragszahlern, als auch denen der Ärzte gerecht wird", sagte Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, auf Anfrage der "Ärzte Zeitung".

"Das aktuelle Angebot des GKV-Spitzenverbandes ist eine Mogelpackung", hatte KBV-Sprecher Roland Stahl vor Kurzem der "Ärzte Zeitung" gesagt. Von einer Verdreifachung des bisherigen Angebotes könne deshalb nicht die Rede sein, so Stahl weiter.

In den 900 Millionen Euro würden Preis und Menge vermischt, lautet einer der Hauptvorwürfe.

Krankenkassen-Navigator: KBV setzt weitere Nadelstiche

Seit Freitag ist der Krankenkassen-Navigator der KBV freigeschaltet. Darin sollen die täglichen Erfahrungen der Ärzte mit den Krankenkassen in Bezug auf deren Versorgungsverantwortung veröffentlicht werden, sagte KBV-Chef Köhler während der KBV VV am Freitag.

Bürokratie, Therapiefreiheit und Regresse können in die Bewertungen einfließen. Die Ergebnisse des Krankenkassen-Navigators seien für alle Internetnutzer einsehbar. Allerdings können nur Vertragsärzte und -psychotherapeuten die Kassen bewerten, so Köhler.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Institutionalisierte Revolution

Mehr zum Thema

Wenige Genehmigungen entzogen

KBV veröffentlicht Qualitätsbericht für 2022

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Weniger Rezidive

Hustenstiller lindert Agitation bei Alzheimer

Lesetipps
Ulrike Elsner

© Rolf Schulten

Interview

vdek-Chefin Elsner: „Es werden munter weiter Lasten auf die GKV verlagert!“

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen forderte am Mittwoch beim Gesundheitskongress des Westens unter anderem, die dringend notwendige Entbudgetierung der niedergelassenen Haus- und Fachärzte müsse von einer „intelligenten“ Gebührenordnung flankiert werden.

© WISO/Schmidt-Dominé

Gesundheitskongress des Westens

KBV-Chef Gassen fordert: Vergütungsreform muss die Patienten einbeziehen