Neue Bedarfsplanung

Das steckt in der Richtlinie

Mehr Ärzte für das Land, kleinere Planungsbereiche - die neue Bedarfsplanung steht. Wir erklären, was in ihr steckt. 

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Viel Lektüre - bietet auch die neue Bedarfsplanung.

Viel Lektüre - bietet auch die neue Bedarfsplanung.

© Helma Spona / Panthermedia

BERLIN. Alles neu macht der GBA: Die Allokation von Arzt- und Psychotherapeutensitzen soll nicht mehr starren Vorgaben folgen, sondern sich zu einem flexiblen, vielleicht sogar lernenden System entwickeln.

Zunächst drei Jahre lang soll der Umbruch bei der Bedarfsplanung dauern. Erst dann wird sich zeigen, ob die neue Bedarfsplanungsrichtlinie ihr Ziel, Überversorgung abzubauen und Unterversorgung zu mildern, erreicht haben wird.

3000 Zulassungsmöglichkeiten gibt es alleine für Hausärzte. Darin enthalten sind die 2000 bislang schon nicht besetzten Hausarztsitze. Über alle Arztgruppen hinweg gerechnet, addieren sich die schon heute unbesetzten Sitze und die neu geschaffenen Arztsitze auf 8024.

Mit der Richtlinie (das Gesundheitsministerium muss sie vorher prüfen), die der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) am Donnerstag beschlossen hat, führt die Selbstverwaltung Steuerungsinstrumente ein, die eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung ermöglichen sollen, und die gleichzeitig eine Bewertung der bestehenden Versorgungssituation zulassen soll.

Neue Arzt-Verhältniszahlen

Das soll zum Beispiel über die neuen Verhältniszahlen möglich werden. Sechs Hausärzte auf je 10.000 Einwohner soll der neue Schlüssel sein.

An zweiter Stelle folgen die Psychotherapeuten, die langfristig 1,7 Sitze je 10.000 Einwohner haben sollen, für Frauenärzte soll es noch 0,8 Sitze geben, Radiologen bilden das Schlusslicht mit 0,2 Sitzen.

Diese Versorgungsgrade sollen nach und nach erreicht werden. Die Richtlinie erlaube daher, sie zeitlich zu staffeln, um Verzerrungen zu vermeiden. Davon ausgenommen sein soll die Besetzung von Hausarzt- und Psychotherapeutensitzen in ländlichen Gebieten, die Priorität genießt.

Neue Planungsebene: Mittelbereiche

Verhältniszahlen alleine verhindern nicht, dass sich Ärzte und Psychotherapeuten gehäuft in attraktiven, urbanen Zonen einer Region ansiedeln, während die Versorgung in der Fläche verödet. Dies lässt sich in der Gegenwart besichtigen.

Die Stadt Freiburg sei mit Psychotherapeuten zu 600 Prozent überversorgt, stellt der unparteiische Vorsitzende des GBA, Josef Hecken, fest. In Berlin gebe es annähernd so viele Psychotherapeuten wie Hausärzte (2057 zu 2300). Das seien "erklärungsbedürftige Tatbestände", so Hecken.

Mit den neu in die Bedarfsplanung eingezogenen Mittelbereichen steuert das Gremium nun dagegen. Als Mittelbereich gilt zum Beispiel ein Verband mehrerer Gemeinden unterhalb der Landkreisebene. Die Kreise waren bislang die unterste Ebene der Bedarfsplanung.

Das Grundschema der Richtline läuft darauf hinaus, dass die kleinräumigere Planung dazu führen wird, die Städte für die Zulassungen zu sperren und so die Niederlassungen in die Peripherie zu lenken.

Das gibt den mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) eingeführten Anreizen zur Niederlassung auf dem flachen Land - keine Mengenabstaffelung, Ende der Residenzpflicht - das Gewicht, das der Gesetzgeber ihnen zugemessen hat.

Die Ärzte, die in der neuen Bedarfsplanungswelt plötzlich in einem überversorgten Gebiet arbeiten, müssen ihre Praxen deshalb jedoch nicht schließen. Allerdings: "Wenn jemand vom Netz geht, wird nicht nachbesetzt", sagt dazu Josef Hecken.

Die Länder sitzen mit im Boot

Das ist die Hülle der neuen bundesweiten Bedarfsplanung. Mehr Inhalt soll von den Ländern kommen, für die die Bedarfsplanung geöffnet werden soll.

Die neu aufzustellenden Landesplanungsausschüsse sollen die aus der Höhe der Zentrale, also dem GBA, nicht auszumachenden Bedarfe vor Ort feststellen. Die können sich etwa aus einer vergleichsweise hohen Zahl älterer Menschen, hoher Arbeitslosigkeit oder auch Besonderheiten der Verkehrsinfrastruktur ergeben.

Die Patientenvertreter im GBA hätten sich an dieser Stelle noch deutlich mehr gewünscht. Sozioökonomische Faktoren blieben ihrer Ansicht nach zu stark ausgeblendet.

Der GBA habe die Chance nicht genutzt, die Planung der vertragsärztlichen Versorgungskapazitäten zukünftig stärker am krankheitsrisikobezogenen Bedarf zu orientieren, sagte Patientenvertreterin Ursula Faubel.

Die Patientenvertreter hatten gemeinsam mit dem Berliner IGES-Institut einen eigenen Ansatz zur künftigen Verteilung von Arztsitzen entwickelt.

Demografie in der Formel

Einen Demografiefaktor wird es auch weiterhin geben. Dafür sollen die Leistungsbedarfe von Menschen unter 65 Jahren und denen über 65 Jahren getrennt ermittelt werden.

Das weise einigen Facharztgruppen deutlich gesteigerte Leistungsumfänge bei der Versorgung älterer Menschen zu, stellt der GBA fest.

Die Versorgung von Kindern und Jugendlichen durch Pädiater und Jugendpsychologen sowie die spezialisierte fachärztliche Versorgung sollen durch den Faktor nicht ausgetrocknet werden. Sie bleiben daher ausgenommen.

Kliniken verweigern Zustimmung

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat gegen die neue Bedarfsrichtlinie gestimmt. Ihr geht die Beplanung bisher unbeplanter Arztgruppen wie zum Beispiel die Pathologen zu weit.

Auf der Krankenhausseite fürchtet man, dass diese Ärzte als Partner bei der geplanten ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) fehlen könnten. Dieses Manko wog für die DKG so schwer, dass sie der Richtlinie die Zustimmung verweigerten.

Die neue Bedarfsplanungsrichtlinie hat unmittelbare Auswirkungen auf die Vergütung der niedergelassenen Ärzte.

Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hat am 7. November neue Geldströme zwischen der fachärztlichen Grundversorgung und der gesonderten fachärztlichen Versorgung beschlossen. In Richtung Grundversorger umverteilt werden sollen rund 400 Millionen Euro.

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