Spezialfachärzte

Leistungskooperationen sind ein Muss

Bei der Ausgestaltung der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung ist der GBA in Verzug. Warum es stockt, wie die neuen Zeitvorgaben aussehen und welche Anforderungen an Ärzte gerichtet werden, erklärt Dr. Regina Klakow-Franck im Interview mit der "Ärzte Zeitung".

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Dr. Regina Klakow-Franck ist seit Juli 2012 unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss.

Dr. Regina Klakow-Franck ist seit Juli 2012 unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss.

© GBA

Ärzte Zeitung: Die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) hätte zu Jahresbeginn am Start sein sollen. Warum kommt der neue Leistungsbereich nicht in die Gänge?

Dr. Regina Klakow-Franck: Gemessen an den Jahrzehnten, die die Forderung nach Überwindung der sektoralen Abschottung schon alt ist, ist der Zeitraum, den der Gesetzgeber eingeräumt hat, einen völlig neuen, sektorenübergreifenden Versorgungsbereich zu schaffen, vergleichsweise kurz. Man muss auch berücksichtigen, dass der GBA im Juli 2012 einen Wechsel der Amtsperiode und personelle Änderungen bewältigen musste und der neue Unterausschuss ASV sich erst im zweiten Halbjahr konstituiert hat. So gesehen bin ich mit dem gegenwärtigen Stand der Vorbereitungen für den neuen Leistungsbereich nicht unzufrieden.

Ärzte Zeitung: Und wie ist der Stand konkret?

Dr. Klakow-Franck: Wir werden im März den allgemeinen Paragrafenteil beschließen. Darin wird festgelegt, wer berechtigt ist, ASV-Leistungen zu erbringen und welche Qualitätsanforderungen erfüllt sein müssen. Außerdem wird der GBA im März weitere inhaltliche Entscheidungen treffen.

Ärzte Zeitung: Welche werden das sein?

Dr. Regina Klakow-Franck

Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, zuvor Studium der Medizin, Germanistik, Philosophie und Anglistik

Unparteiisches Mitglied im GBA seit Juli 2012

Stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der BÄK von 2005 bis Mitte 2012

Jahrgang 1960, verheiratet, zwei Kinder

Dr. Klakow-Franck: Wir werden festlegen, welche Indikationen zuerst konkretisiert werden sollen. Mein Ziel ist, dass wir noch in diesem Jahr wenigstens eine Indikation vollständig abarbeiten und beschließen. Denn nur dieses Vorgehen wird den neuen Leistungsbereich zügig mit Leben erfüllen: Die allgemeinen Regeln zuzüglich einer vollständig neu geregelten Indikation. Dem können Sie entnehmen, dass ich davon ausgehe, dass wir die Überarbeitung der Indikationen Zug um Zug umsetzen. Ansonsten würde es zu lange dauern, bis die vollständige Richtlinie dann auch tatsächlich in Kraft treten kann.

Ärzte Zeitung: Was wird denn neu sein an der ASV?

Dr. Klakow-Franck: Künftig werden wir zusätzlich zu den interdisziplinären Teams eines Krankenhauses auch vernetzte Strukturen sowohl von niedergelassenen Spezialisten untereinander als auch von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sowie Kliniken haben. Dafür müssen eine Menge an Detailfragen geklärt werden: Wie weit dürfen die Standorte von Fachärzten auseinanderliegen, die interdisziplinär zusammenarbeiten müssen? Wie lässt sich regeln, dass im Bedarfsfall eine Intensivstation oder ein Notfalllabor vorgehalten werden?

Ärzte Zeitung: Was bedeutet das für die Praxisorganisation?

Dr. Klakow-Franck: Niedergelassene Spezialistinnen und Spezialisten werden Leistungskooperationen schließen müssen, um das geforderte interdisziplinäre Team bilden und die übrigen Anforderungen an die Struktur- und Prozessqualität erfüllen zu können. Diese Vereinbarungen müssen bei den Erweiterten Landesausschüssen nachgewiesen werden. Bei onkologischen Erkrankungen muss zusätzlich eine Vereinbarung mit einem Krankenhaus abgeschlossen werden. Hierbei haben wir uns an den schon bestehenden Tumorkonferenzen von Klinikärzten und Niedergelassenen orientiert.

Ärzte Zeitung: Sind die Onkologen mit ihren schon bestehenden Strukturen die Blaupause für die ASV?

Dr. Klakow-Franck: Ja, das kann man so sagen. Und zwar aufgrund von zwei Entwicklungen. Zum einen gibt es in der Versorgung onkologischer Erkrankungen bereits eine Zentrenbildung, die von der Deutschen Krebsgesellschaft vorangetrieben wird. Wir werden für die genannten Leistungskooperationen allerdings keine Zertifizierung fordern wie die DKG für ihre Zentren. Zum anderen gibt es im vertragsärztlichen Bereich bereits die Onkologie-Vereinbarung, die ebenfalls schon heute fordert, dass Ärztinnen und Ärzte interdisziplinär zusammenarbeiten.

Ärzte Zeitung: Es gibt doch auch in anderen Fachgruppen Ärzte, die über den Tellerrand blicken…

Dr. Klakow-Franck: Ja, die Rheumatologen scheinen gut sektorenübergreifend vernetzt zu sein, auch die Neurologen zeigen sich offen für sektorenübergreifende Abstimmung. Bereits bestehende sektorenübergreifende Abstimmungsprozesse sollen durch die neue Richtlinie nicht gekappt, sondern mitgenommen, ja sogar gefördert werden.

Ärzte Zeitung: Parallelstrukturen soll es also nicht geben?

Dr. Klakow-Franck: Nein. Wer sich ohnehin schon interdisziplinär und sektorenübergreifend vernetzt hat, der wird die Vereinbarungen, die wir jetzt festlegen, wahrscheinlich ohne Probleme erfüllen können.

Ärzte Zeitung: Gibt es schon eine konkrete Indikation?

Dr. Klakow-Franck: Nein, darüber müssen sich die Träger des GBA noch einigen. Ich habe die Tumoren des Gastrointestinal-Trakts vorgeschlagen. Dazu zählt auch die sehr häufige Diagnose Dickdarmkrebs. Im Moment werbe ich noch dafür, dass wir mit den onkologischen Indikationen weitermachen. Das hat zunächst Verwunderung ausgelöst. Schließlich müssen hierfür die schweren Verlaufsformen definiert werden. Es bringt jedoch nichts, diese große Herausforderung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Ich schlage zudem vor, eine weitere Arbeitsgruppe zu bilden, die sich parallel mit einer schneller zu bearbeitenden Indikation beschäftigt, zum Beispiel mit einer seltenen Erkrankung wie der Tuberkulose.

Ärzte Zeitung: Gibt es einen konkreten Starttermin für die ASV?

Dr. Klakow-Franck: Wenn sich die Trägerorganisationen meinem Vorschlag anschließen und wir die Indikationen sukzessive abarbeiten und nicht alles auf einmal beschließen, sollte es aller Voraussicht nach möglich sein, bis Ende des Jahres für bis zu drei Indikationen konkrete Regelungen zu treffen.

Ärzte Zeitung: Anderes Thema: Was ist aus den Probebetrieben für die sektorenübergreifende Qualitätssicherung geworden, die noch ihre Vorgänger aufs Gleis gesetzt haben?

Dr. Klakow-Franck: Die Abschlussberichte der Probebetriebe für die Kataraktchirurgie und die Konisation liegen vor. Ich gehe nach den vorliegenden Ergebnissen aber nicht davon aus, dass sie im Regelbetrieb fortgeführt werden. Die Probebetriebe haben die ganze Bandbreite der vorher vielleicht von allen Beteiligten unterschätzten Probleme bei der Umsetzung der sektorenübergreifenden Qualitätssicherung aufgezeigt.

Ärzte Zeitung: Welche Probleme waren das?

Dr. Klakow-Franck: Es hat sich bei beiden Verfahren gezeigt, dass die Kodier-Realitäten stationär und ambulant doch sehr unterschiedlich sind. Das erschwert die Nachverfolgbarkeit eines Behandlungsfalles erheblich. Ambulant gab es Probleme, die Fälle überhaupt mit einem angemessenen Dokumentationsaufwand zu identifizieren. Außerdem hält sich das Interesse an den beiden Verfahren in Grenzen, weil das Potenzial der Qualitätsverbesserung eigentlich schon ausgeschöpft ist. Eine verpflichtende flächendeckende Einführung dieser QS-Verfahren erscheint mir nicht angemessen.

Ärzte Zeitung: Wird es überhaupt noch Probeläufe geben?

Dr. Klakow-Franck: Selbstverständlich. Die Erfahrungen haben wir in den jetzt gestarteten Probebetrieb zur PCI einfließen lassen. Wir haben den Schluss gezogen, früher zu prüfen, ob die Fälle auch in den ambulanten Bereich hinein mit vertretbarem Dokumentationsaufwand nachzuverfolgen sind. Dies erhoffen wir uns auch von der sektorenübergreifenden Qualitätssicherung der Arthroskopie des Kniegelenks, die als nächstes Thema gesetzt ist. Dabei haben wir ein erhebliches Qualitätsverbesserungspotenzial ausgemacht.

Ärzte Zeitung: Das klingt nicht gerade nach einer großen Zukunft für die sektorenübergreifende Qualitätssicherung.

Dr. Klakow-Franck: Die Weiterentwicklung von der sektoral abgeschotteten zur sektorenübergreifenden Qualitätssicherung halte ich für alternativlos. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir allerdings parallel an verschiedenen Lösungswegen arbeiten. Kurzfristig steht die Konzentration auf sektorengleiche Verfahren wie PCI und Arthroskopie im Vordergrund. Mittel- bis langfristig wären Maßnahmen hilfreich, die die Auslösung der QS-Dokumentation über die Sektorengrenzen hinweg erleichtern würden. Denkbar wäre zum Beispiel ein sogenannter QS-Marker auf der elektronischen Gesundheitskarte.

Ärzte Zeitung: Sektorenübergreifend sollen auch die Disease Management Programme für Chroniker weiter entwickelt werden. Gibt es dafür bereits Ansätze?

Dr. Klakow-Franck: Ja, die gibt es. Meines Erachtens haben DMP ein derzeit unterschätztes Qualitätsverbesserungspotenzial. Mit dem Versorgungsstrukturgesetz hat der GBA mehr Kompetenzen erhalten, die DMP in Richtlinien zu fassen und weiter zu entwickeln. Im Zusammenhang mit der Versorgung des diabetischen Fußsyndroms lassen wir derzeit prüfen, ob man die geplante stationäre QS-Maßnahme mit dem bestehenden DMP Diabetes mellitus verknüpfen kann. Ziel ist es, die hohe Rate an Fußamputationen - etwa 20.000 Fälle pro Jahr - zu verringern.

Ärzte Zeitung: Kann man neue DMP entwerfen oder vorhandene weiter entwickeln, solange die Evaluierung noch nicht so richtig in Gang gekommen ist? Ist das noch eine Bringschuld der Kassen?

Dr. Klakow-Franck: Der GBA hat durch den Gesetzgeberden Auftrag erhalten, sich grundsätzlich um die Evaluation zu kümmern. Hierzu sollte eine Art Rahmenkonzept entworfen werden. Insbesondere folgende Schlüsselfrage muss grundsätzlich geklärt werden: Können an die Evaluation eines DMP dieselben Maßstäbe angelegt werden, wie an die klinische Prüfung eines Arzneimittels? Meines Erachtens nein.

Eine randomisierte kontrollierte Studie ist nicht das Mittel der Wahl, um die Versorgungseffekte eines DMP zu evaluieren. Stattdessen wäre uns mit einer Nullpunktmessung und Beobachtungsstudien und allgemein mit mehr Versorgungsforschung im Bereich der Chroniker-Versorgung schon viel geholfen.

Ärzte Zeitung: Gibt es konkrete Vorstellungen, mit welchen neuen DMP wir rechnen können?

Dr. Klakow-Franck: Die Einführung eines neuen DMP ist von der Verfügbarkeit hochwertiger Versorgungsleitlinien abhängig. Ich selber habe bereits die chronischen Kreuzschmerzen als mögliches neues DMP-Thema genannt, weil hierzu eine aktuelle nationale Versorgungsleitlinie existiert. Im Moment muss ich aber noch dafür werben, dass sich alle Träger des GBA für ein solches neues DMP öffnen.

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