Märker-Hermann

"Falsche Anreizsysteme nicht tolerieren"

Vertrauen als Fundament der Arzt-Patienten-Beziehung darf nicht zerstört werden, fordert DGIM-Präsidentin Elisabeth Märker-Hermann. Wird dokumentieren Teile ihrer Festrede zum Internistenkongress am Sonntagabend.

Von Elisabeth Märker-Hermann Veröffentlicht:
Beim Abbau von Fehlanreizen im Gesundheitswesen geht es nicht nur um Bonuszahlungen: Elisabeth Märker-Hermann.

Beim Abbau von Fehlanreizen im Gesundheitswesen geht es nicht nur um Bonuszahlungen: Elisabeth Märker-Hermann.

© DGIM

Ich habe das Thema "Humanität, Wissenschaft und Verantwortung als Basis der Arzt-Patienten-Beziehung" gewählt. Diese Grundpfeiler des ärztlichen Handelns beschäftigen uns tagtäglich.

Zeit, Aufmerksamkeit und Zuhören alleine machen ja nicht den guten Arzt aus. Diese Attribute könnten auch auf Schamanen zutreffen. Essentiell in der Arzt-Patienten-Beziehung ist eine fundierte Basis der Wissenschaftlichkeit.(...)

Nicht erst seit Inkrafttreten des neuen Patientenrechtegesetzes ist es so - und war es auch zuvor schon so, dass der Arzt gesetzlich verpflichtet ist, über Untersuchungen, Diagnosen und Therapien und jeweils über Risiken und auch Alternativen zu informieren.

Es liegt also folgerichtig in der Verantwortung des Arztes, fachlich auf dem Boden der Wissenschaft up-to-date fortgebildet zu sein. (...)

Welche Präferenzen hat der Patient?

Es ist für den gut fortgebildeten Arzt nicht schwer zu erkennen, dass die allerwenigsten medizinischen Entscheidungen auf einer "besten" Antwort beruhen.

Vielmehr hängt die individuelle Antwort davon ab, ob eine Untersuchung, eine Therapie angemessen ist und zugleich nach ausführlicher Information die Ziele und Präferenzen des Patienten einbezieht. Nur so können "Shared decisions" gelingen.

Die Einbeziehung des Patienten mit seiner Persönlichkeit, auch seiner Familie und Umwelt, also individualisierte Medizin im echten ärztlichen Sinne und Handeln, wird das Ergebnis ("outcome") der Therapie verbessern.

Bei chronischen Erkrankungen wird der Patient zudem Experte für seine Krankheit, um Entscheidungen im langen Lauf der Jahre eigenverantwortlich treffen zu können, auch Entscheidungen gegen eine Fortsetzung von Therapien. (...)

Eine essenzielle Erwartung des Patienten an den behandelnden Arzt ist, dass sein Vertrauen in die gute Beratung durch die von ihm gewählte Ärztin bzw. den von ihm gewählten Arzt nicht enttäuscht wird.

In der Inneren Medizin gilt dies vor allem für Beratungen und Aufklärungen hinsichtlich eines interventionellen Eingriffs und folgenschwerer medikamentöser Therapien.

Es ist selbstverständlich, dass der Patient von seinem Arzt einen handwerklich korrekten Eingriff nach den Regeln der ärztlichen Kunst erwarten darf. Und dies gilt nicht nur für die chirurgischen Disziplinen, sondern auch für die sogenannten konservativen.

In den Vorgaben der medizinischen Qualitätssicherung wird konkret angegeben, wie viele Eingriffe (Mindestmengen) pro Klinik und Jahr durchgeführt werden müssen, damit über die Zahl der Eingriffe eine gute Qualität vorgehalten wird.

Die entsprechenden Zahlen werden in den Qualitätsberichten der Kliniken publiziert und sind für jeden zukünftigen Patienten einsehbar. Muss der Betroffene aber nicht vor dem geplanten Eingriff, vor der Therapie die berechtigte Erwartung haben, dass der Arzt überhaupt zur Indikation dieses Eingriffs Frage und Antwort steht.

Die Frage "Werde ich richtig beraten?" entscheidet sich daran, dass mein Arzt mir nicht aufgrund wirtschaftlicher oder sonstiger persönlicher Interessen zu einer Therapie rät.

Im Klartext bedeutet dies, dass Anreizsysteme zur reinen Fallzahlsteigerung oder zur Steigerung finanziell lohnender Eingriffe bei den Betroffenen berechtigte Zweifel an den lauteren Motiven des Behandlers aufkommen lassen.

Wir als Ärzteschaft sollten falsche Anreizsysteme nicht tolerieren. Fallzahl-abhängige Bonuszahlungen für einen zur Beratung anstehenden Eingriff müssen zwangsläufig das Vertrauen der betroffenen Patienten in ihren Arzt belasten.

Das antizipierte Vertrauen wird sogar missbraucht, wenn der Betroffene nicht einmal weiß, ob das Krankenhaus mit seinen leitenden Ärzten solche Bonusverträge vereinbart hat.

Eine Transparenz bezüglich solcher Verträge - zum Beispiel in den Qualitätsberichten der Kliniken - gab es ja bislang nicht. Dabei sind bei jüngeren Chefarztverträgen erfolgsabhängige Zusatzzahlungen laut einer Studie der "Stiftung Gesundheit" relativ häufig.

Danach erhalten 42 Prozent der leitenden Klinikärzte, die ein bis fünf Jahre ihre Funktion ausüben, Boni. In einem Positionspapier mit dem Titel "DRG-Finanzierung der Krankenhäuser und Bonussysteme für Ärzte: Fehlentwicklung durch Fehlanreize stoppen!" hat sich die DGIM im Sommer des vergangenen Jahres klar positioniert. (...)

Fallzahlabhängige Bonuszahlungen an die Gruppe der Leitenden Ärzte sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Die dazu von der Bundesregierung vor wenigen Wochen beschlossene Neuregelung zu den Bonuszahlungen für Klinikärzte ist ein erster Schritt.

Er berücksichtigt aber nur einen Teilaspekt der Fehlanreize im Gesundheitswesen. Im Krankenhaus orientiert sich ein großer Teil der Zielvereinbarungen an komplexen wirtschaftlichen Vorgaben für die gesamte Abteilung, wie dem Case-Mix-Index beziehungsweise den Bewertungsrelationen.

Mit dem Ziel einer Mehrung erlösträchtiger Fälle geht regelmäßig eine erwartete Reduktion der Personal- bzw. Sachkosten einher. (...)

Weder "blauäugig" noch weltfremd

Wenn man Gedanken wie die oben formulierten ausspricht, gerät man sehr rasch in den Verdacht, im besten Fall "blauäugig" oder weltfremd zu sein, im schlimmsten Fall unverantwortlich zu handeln - man entziehe sich der ökonomischen Verantwortung im Klinikbereich.

Wir als DGIM sind hingegen der Überzeugung, dass sich die Prinzipien medizinischer Prozesssteuerung, ökonomischen Denkens und ärztlicher Fürsorge nicht ausschließen.

Die verantwortliche Verwendung der uns zur Verfügung stehenden Ressourcen ist aus ethischen Gründen geboten.

Die offensichtliche Entwicklung der letzten Jahre, dass sich Krankenhäuser von Einrichtungen der Daseinsfürsorge zu Unternehmen oder Konzernen gewandelt haben, entbindet uns nicht von der Pflicht, immer wieder zu mahnen, dass Unternehmensziele nicht über das Patientenwohl gestellt werden dürfen.

Als DGIM haben wir auch klargestellt, dass wir uneingeschränkt Bemühungen unterstützen, ein Anreizsystem zu generieren, um die Qualität der medizinischen Versorgung nach definierten und messbaren Kriterien zu verbessern.

Beispiele wären eine Verbesserung der Prozessabläufe und der Fehlerkultur, klinikinterne Strategien zur Vermeidung krankenhausassoziierter Infektionen sowie berufsgruppenübergreifende Fort- und Weiterbildung.

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