Kommentar
Warum der Ärztetag eine Chance verpasste
Es krachte heftig im Gebälk, am Ende aber schaffte der Ärztetag einen Kompromiss. Wie belastbar der Beschluss zur ambulanten Weiterbildung tatsächlich ist, lässt sich noch nicht abschätzen.
Klar ist aber, dass die Mechanismen der Entscheidungsfindung beim Ärztetag funktionieren. Erst fliegen die Fetzen, dann kommt der Kompromiss, so ist das nun mal in demokratisch gewählten Gremien. Der Bundestag lässt grüßen.
Der Ärztetag hat wieder viele Akzente gesetzt. Etwa beim Thema Armut und Gesundheit. In Hannover wurde deutlich, dass Ärzte hier sehr glaubwürdig und engagiert Basisarbeit leisten, um soziale Ungerechtigkeit aufzufangen.
Doch machen wir uns nichts vor: Nichts, aber auch gar nichts deutet darauf hin, dass perspektivisch etwa mit Blick auf extrem unterschiedliche Lebenserwartungen von Kindern positive Veränderungen in Deutschland zu erwarten wären.
Hier versagt die Politik - und zwar erbärmlich. Das hätte bei der Debatte viel deutlicher gesagt werden müssen. Die Chance, den politischen Parteien sehr begründet und kräftig den Marsch zu blasen, wurde verpasst.
Nicht wirklich vorwärts geht es mit Bestrebungen der BÄK, den Begriff "Priorisierung" salonfähig zu machen. In Zeiten begrenzter Finanzen, Kapazitäten und Zeitressourcen sollte eine Rangfolge der Dringlichkeit von Behandlungen eingeführt und transparent gemacht werden.
Neue Konfliktthemen
Dieses schlüssige, vor Jahren unter Federführung vom damaligen Kammerpräsidenten Professor Jörg-D. Hoppe entwickelte Konzept will nicht so recht an Zustimmung gewinnen.
"Rationalisierung", "eine verdeckte Rationierung", eine "drohende offene Rationierung", und dann auch noch die Priorisierung - wer um alles in der Welt will denn da den Überblick behalten, fragten sich Delegierte in Hannover - und das nicht zu unrecht.
Abgesehen von Irritationen über den Begriff selbst sind längst noch nicht alle Ärzte von der strategischen Bedeutung dieses Konzepts überzeugt. Mögen im Moment auch die GKV-Kassen noch so prall gefüllt sein, die Verteilungswidersprüche werden sich in Zukunft verschärfen.
Ärzte laufen immer stärker Gefahr, einsame Rationierungsentscheidungen treffen zu müssen. Die Ärzteschaft ist deshalb gut beraten, die Priorisierung als Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Kammerpräsident Montgomery warnte die Delegierten, die Tagesordnung für den Ärztetag 2014 nicht schon ein Jahr vorher mit zu vielen Themen vollzustopfen. Niemand weiß, ob und wie sich die gesundheitspolitische Großwetterlage nach der Bundestagswahl verändern wird.
Nicht auszuschließen ist, dass die Ärzteschaft dann zu strategischen Debatten über Konfliktthemen gezwungen wird, die heute noch gar nicht abzusehen sind.