Eröffnungsdiskussion

Von toten Pferden und dem lieben Geld

Muntere Diskussion zum Auftakt des Hauptstadtkongresses: Eine improvisierte Runde mit BÄK-Chef Montgomery beleuchtet gesundheitspolitische Streithemen - Bürgerversicherung, Klinikfinanzierung und Ökonomisierung. Dem Publikum gefällt's.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Diskussion mit überraschenden Perspektivwechseln: BÄK-Chef Professor Frank Ulrich Montgomery (v.r.), Professor Rürup und Dr. Edgar Franke.

Diskussion mit überraschenden Perspektivwechseln: BÄK-Chef Professor Frank Ulrich Montgomery (v.r.), Professor Rürup und Dr. Edgar Franke.

© Stephanie Pilick

BERLIN. Gleich zu Beginn des Hauptstadtkongresses standen die perspektivischen Großthemen der kommenden Legislaturperiode auf dem Programm: die Mengenentwicklung in den Krankenhäusern und ihre Finanzierung sowie die Dauerdebatte um Kopfpauschale und Bürgerversicherung.

Nur das Personal, das diese Themen usprünglich diskutieren sollte, fehlte. Die aktuelle Gesundheitspolitik und die ersten Ausläufer des Wahlkampfes verlangten den Organisatoren des Hauptstadtkongresses daher schon bei der Eröffnungsveranstaltung einiges Improvisationstalent ab.

Die zur Eröffnungsdiskussion geladene gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt Bender, und ihr Kollege von der Union, Jens Spahn, hingen in einer Sitzung des Gesundheitsausschusses fest.

Gleichzeitig stellte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück seinen Parteifreund Karl Lauterbach als für die Gesundheit zuständiges Mitglied seines Schattenkabinetts vor.

Wo Anreize sind, gibt es auch Fehlanreize

Kongresspräsident Ulf Fink bat daher kurzentschlossen Ärztepräsident Professor Frank Ulrich Montgomery, den ehemaligen "Wirtschaftsweisen" Professor Bert Rürup und den als Vertreter von Lauterbach gekommenen SPD-Politiker Dr. Edgar Franke auf die Bühne.

Das Publikum erlebte und beklatschte eine Diskussion mit überraschenden Perspektivwechseln.

Stichwort Monistik: Den von Moderator Fink angesprochenen Vorwurf der OECD, in Deutschland werde zu schnell und zu oft operiert, konterte Montgomery. Wo es Anreize gebe, gebe es auch Fehlanreize. "Die werden Sie nicht wegkriegen," sagte Montgomery.

Die von der OECD zum Vergleich angeführten niedrigeren Op-Zahlen Zahlen aus anderen Ländern, kombiniert mit dem guten Ruf, den das deutsche System weltweit genieße, führten aber zu der Frage, ob in diesen Ländern nicht zu wenig operiert werde.

Wirtschaftswissenschaftler Rürup schwang sich sofort auf in Höhen, die eine gute Übersicht gewährleisten. "Der Defekt ist die duale Finanzierung," stellte er fest.

Wo sich die Länder aus der Investitionsfinanzierung zurückzögen, folge in den Klinikverwaltungen eine Reaktion der Not.

Auch Franke sprach sich für einen Übergang zur Monistik aus. "Monistik löst Strukturprobleme." Eine Äußerung, die wiederum bei Montgomery tiefe Skepsis auslöste.

"Unsere Erfahrung ist, dass bei der GKV nie so viel heraus kommt wie reingegangen ist," warnte er vor mehr Finanzhoheit der Kassen über die Klinikfinanzierung.

Wie tot ist die Kopfpauschale?

Stichwort Bürgerversicherung. Diametral auseinander lagen wie erwartet auch die Ansichten zur künftigen Finanzierung des Gesundheitswesens.

Das von Montgomery bereits auf dem Ärztetag in Hannover vorgestellte Kopfpauschalenmodell ("Das haben Sie von der niederländischen Bürgerversicherung abgekupfert," witzelte Rürup) griff Franke frontal an.

Eine Kopfpauschale, in der die Praxishelferin so viel bezahlen müsse wie der Chef, sei in Deutschland nicht vermittelbar. "Sie haben ein totes Pferd geritten. Dieses Pferd ist von Frau Merkel schon erschossen worden," sagte Franke.

Dem Reizthema nahm Rürup etwas Schärfe. Tatsächlich sei eine Versicherungspflichtgrenze, die die Entmischung der beiden Versichertenkreise auslöse, wissenschaftlich nicht zu begründen. Einkommensverteilung gehöre vielmehr ins Steuersystem, sagte Rürup.

Womit er indirekt das von ihm vor einem Jahrzehnt mitentwickelte Kopfpauschalenmodell verteidigte. In der praktischen Politik ständen die Bürgerversicherungsmodelle der Oppositionsparteien vor großen Problemen: Wie zum Beispiel sollten Kapitaleinkünfte verbeitragt werden? fragte der Ökonom.

Er warnte vor der Bürgerversicherung als Projektionsfläche für nicht erfüllbare Erwartungen an das Gesundheitssystem. "Reiche werden sich immer und überall eine bessere Medizin kaufen!"

Und wo er gerade dabei war, gab Rürup, der 2009 für den Finanzdienstleister AWD tätig war, der PKV gleich auch noch einen mit. "Es ist nicht so, dass die PKV ein tolles Modell ist. Es stellt sich die Frage: Ist das Konzept der Kapitaldeckung noch zukunftsfähig?" übte sich Rürup in Skepsis.

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Veröffentlicht: 05.06.2013 © Springer Medizin

Lesen Sie dazu auch: Hauptstadtkongress: Bahr verkneift sich ein Versprechen

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