KV Thüringen

Mehr MVZ ist nicht die Lösung

Aus Sicht der KV Thüringen ist der Trend zu Versorgungszentren ein zweischneidiges Schwert: So beobachte die KV, dass Patienten in MVZ vermehrt in bestimmte Kliniken eingewiesen werden.

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Die "Polyklinik" Daberstedt, ein Versorgungszentrum im Südosten der Landeshauptstadt Erfurt.

Die "Polyklinik" Daberstedt, ein Versorgungszentrum im Südosten der Landeshauptstadt Erfurt.

© Dr. med. Kielstein Ambulante Medizinische Versorgung GmbH

WEIMAR. Der Gründerboom medizinischer Versorgungszentren (MVZ) in Thüringen treibt der KV zunehmend die Sorgenfalten auf die Stirn.

"Ich sehe sehr kritisch, dass Krankenhäuser in ihren Ambulanzen oft Assistenzärzte beschäftigen. Wir müssen die Qualitätsstandards hochhalten. Dem dürfen sich Krankenhäuser nicht entziehen", sagte Thomas Schröter, zweiter KV-Vorsitzender und Facharzt für Innere Medizin, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Ein weiterer kritischer Punkt, vor allem vor dem Hintergrund wachsender Versorgungsprobleme, sei der Unterschied bei der Arbeitszeit. Schröter weiter: "Etwa 90 Prozent der Ärzte in Klinik-MVZ arbeiten weniger als Ärzte in eigener Praxis.

Ohne einen Vorwurf zu erheben: Wer angestellt ist, versorgt weniger Patienten, weil er einen Arbeitsvertrag mit fester Stundenzahl hat. Das heißt aber auch, die steigende Zahl von MVZ seit 2006 in Thüringen ist nicht die Lösung unserer Probleme, wie es gern suggeriert wird."

Gesellschaftlicher Umbruch und Wertewandel bei Ärzten

MVZ – bundesweite Zahlen

Die Gesamtzahl im MVZ tätiger Ärzte betrug im 4. Quartal 2011 – jüngere Daten liegen nicht vor – 10 020. Darunter sind 1814 Vertragsärzte gewesen. Bundesweit waren Ende 2011 1814 MVZ zugelassen, davon 97 in Thüringen.

Durchschnittlich arbeiten 5,5 Ärzte in einem MVZ. Die am häufigsten beteiligten Fachgruppen sind Hausärzte und Internisten.

Am häufigsten werden MVZ von Vertragsärzten gegründet (41,4 Prozent), gefolgt von Krankenhäusern (37,7 Prozent).

Neben 3099 niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten in Thüringen gibt es derzeit 97 Medizinische Versorgungszentren mit 526 durch Angestellte besetzten Praxissitzen. Dass die Krankenhäuser in Zukunft in die Bresche springen, wenn Landarztpraxen schließen, glaubt Schröter nicht.

"Nur wenige öffnen ein MVZ in der Fläche. Sie entstehen dort, wo viele Patienten sind und sich der Betrieb lohnt. Nicht zuletzt wird die Behandlung bei Krankenhausbeteiligung deutlich teurer. Das ist also auch eine Kostenfrage", so Schröter.

Die KV beobachte außerdem mit Sorge, dass MVZ-Ärzte vergleichsweise häufiger Patienten in "ihre" Klinik einweisen. "Das Geschäftsmodell einiger Krankenhäuser, über das MVZ mehr Patienten in die Klinik zu steuern und die Betten zu füllen, gibt es offiziell natürlich nicht."

Der Trend zum MVZ ist nicht nur in Thüringen zu beobachten. Dahinter stecke ein gesellschaftlicher Umbruch und Wertewandel auch in der Ärzteschaft. "Die jungen Ärzte von heute sind nur noch begrenzt zur Selbstausbeutung bereit", sagt Schröter.

Eine andere Arbeitsmoral, der Wunsch nach mehr Privatleben, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf - das sei eigentlich völlig in Ordnung und ein Schritt in Richtung Normalität. Doch dieser Strukturwandel finde in den Planzahlen bisher zu wenig Beachtung.

Trend zur Teilzeit

Dazu passt auch der Trend zur Teilzeit: "Wir verzeichnen zunehmend Arztstellen, die geteilt werden.

Wo vorher ein Arzt mit voller Zulassung tätig war, teilen sich heute zwei oder sogar vier Ärzte einen Sitz. Das heißt, es gibt zwar statistisch mehr Köpfe, aber keinen Zuwachs an Versorgung", sagt Schröter.

So erkläre sich auch das scheinbare Paradox, dass in Thüringen zwar laut Statistik so viele Ärzte arbeiten wie nie zuvor, und trotzdem eine Mangelsituation herrscht - sowohl in Krankenhäusern als auch ambulant.

Allein in Thüringen fehlen derzeit 146,5 Haus- und Fachärzte sowie Psychotherapeuten im niedergelassenen Bereich. Mit erheblichen Folgen für die Wartezeiten, wie Schröter unumwunden einräumt: "Der Bedarf an ärztlicher Versorgung steigt, die Ärzte kommen nicht hinterher, die Wartezeiten werden länger. Das ist die ungeschminkte Wahrheit."

Deshalb allerdings starre Vorgaben für eine maximale Wartezeit auf einen Termin vorzugeben, hält er für unrealistisch.

"Ohne Rücksicht auf die Fachrichtung oder die Region, ist das populärer Unsinn. Schon wenn ein Arzt sehr beliebt ist, sind die Wartezeiten bei ihm natürlich länger.

Hier wird eine falsche Erwartungshaltung geweckt. Solch ein Gesetz würde niemals funktionieren", sagt Schröter. (rbü)

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