Versorgungsgesetz

Harsche Kritik aus den KVen

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BREMEN/BAD SEGEBERG. 770 Arztsitze müsste die KV im Norden aufkaufen, wenn das geplante Versorgungsstärkungsgesetz seinen Wortlaut wie im Entwurf beibehält. Das wäre jeder sechste Vertragsarztsitz in Schleswig-Holstein.

Nach KV-Angaben wären 77 Hausarztsitze, 540 Sitze von Fachärzten und 153 von Psychotherapeuten betroffen. Die KV hat für ihre Berechnung die rechnerische Überversorgung, also oberhalb von 110 Prozent als Gradmesser genommen.

KV-Chefin Dr. Monika Schliffke sieht darin keine Stärkung, sondern eine Schwächung der Versorgung. Sie forderte eine Änderung des Gesetzentwurfs.

"Ansonsten müssen die Politiker den Bürgern erklären, warum diese künftig weniger Ärzte haben werden. Auf der einen Seite soll es wegen angeblich zu langer Wartezeiten eine Termingarantie geben, auf der anderen Seite werden Praxen einfach dicht gemacht. Dabei sind diese Praxen nicht leer, sondern voll. Das ist völlig absurd", sagte Schliffke.

Kein gutes Haar an geplanter Wartezeitenregelung

Nicht berechnen konnte die KV die Höhe des finanziellen Aufwands für den Aufkauf der Praxen. Dies ist von verschiedenen Faktoren wie etwa Standort abhängig.

Experten erwarten, dass die finanziellen Erwartungen der Praxisabgeber bei dem Zwangsaufkauf nicht erfüllt werden können und sich damit ein wichtiger Teil der geplanten Altersvorsorge auflöst. Das Geld für den Praxisaufkauf sollen die KVen aus der Gesamtvergütung aufbringen.

Auch an der vom Gesetzgeber geplanten Wartezeitenregelung ließ Schliffke in einer Mitteilung der KV kein gutes Haar.

Die von den Körperschaften einzurichtenden Terminservicestellen seien nicht nur teuer und verursachten Bürokratie, sondern auch überflüssig, so Schliffke.

Denn: "Patienten bekommen heute in dringenden medizinischen Fällen schnell einen Termin. Komfort ist schön, aber er muss auch im richtigen Verhältnis zum Aufwand stehen."

Bremen: Bis zu 300 Sitze müssten still gelegt werden

350 Ärzte und 1,2 Millionen Arzttermine pro Jahr würde das Land Bremen verlieren, wenn das Versorgungsstärkungsgesetz wie geplant durchkommt. Das erklärte die KV der Hansestadt.

"Anträge auf Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes müssten demnach in überversorgten Regionen künftig abgelehnt werden. Sollte diese Passage aus dem Referentenentwurf umgesetzt werden, und nimmt man die rechnerische Überversorgung als Gradmesser, dann bedeute es für Bremen und Bremerhaven, dass bis zu 350 Ärzte und Psychotherapeuten aus der Versorgung verschwinden, so die KV.

"Es ist absurd, dass Arztsitze von Gesetzes wegen vom Markt genommen werden und sich die Regierung gleichzeitig auf die Fahnen schreibt, die Wartezeiten abzubauen", sagt dazu Günter Scherer, stellvertretender Vorsitzender der KV Bremen.

Für die Stadt Bremen bedeute es nach einer ersten Kalkulation der KVHB, dass "bis zu 300 Sitze von Ärzten und Psychotherapeuten sukzessive still gelegt werden müssten, für Bremerhaven zirka 50. Insbesondere die Zahl der Internisten, der Psychotherapeuten und der Kinderärzte würde rasiert", hieß es.

Ohne die Ärzte entfielen zugleich jährlich rund 1,2 Millionen Arzttermine im Land Bremen.Das Gesetz sei ein Anti-Großstadt-Gesetz. Bremens Volksvertreter sollen sich vehement für Änderungen im Gesetz engagieren, so die KVHB. "Jedem Politiker sollte klar sein, dass er dieses Praxisabbau-Programm den Bürgern erklären muss", so Scherer.

KV Hessen: "Das ist ein Irrsinn"

Im Entwurf des Versorgungsstärkungsgesetzes ist vorgesehen, die Zulassungsausschüsse der Länder zu verpflichten, die Nachbesetzung von Vertragsarztsitzen "in einem überversorgten Planungsbereich" abzulehnen.

"Überversorgung trifft für nahezu jedes Ballungszentrum zu", erklärt dazu die KVHB. "Bremen und Bremerhaven sind laut Bedarfsplanungsrichtlinie in allen Fachgruppen formal überversorgt. Ausnahme: Hausärzte in Bremerhaven."

Die KV Hessen lehnt die von der Bundesregierung geplanten Terminservicestellen und den Praxisaufkauf durch KVen ebenfalls strikt ab.

"Es ist ein Irrsinn, dass der Gesetzgeber auf der einen Seite über 2100 Praxen in Hessen wegrasiert und als für die Versorgung nicht wichtig erachtet und im gleichen Atemzug die verbleibenden Praxen mit einem völlig praxisfernen Bürokratiemonster traktiert", erklärte Frank Dastych, Vorsitzender der KV Hessen in Frankfurt.

Auch KV-Vize Dr. Günter Haas zeigte sich empört: "Die Einrichtung der Servicestellen dürfte bundesweit rund 100 Millionen Euro verschlingen - Geld, das der Versorgung mutwillig entzogen wird." (di/cben/bee)

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