Versorgungsgesetz

KV Hamburg befürchtet Kahlschlag

Der Entwurf für das neue Versorgungsstärkungsgesetz sorgt bei niedergelassenen Ärzten in der Hansestadt für große Aufregung.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:

HAMBURG. Hamburger Patienten "müssen sich auf eine massive Verschlechterung der ambulanten medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung" einstellen. Das ist das Resümee der KV Hamburg (KVH) zum Entwurf des neuen Versorgungsstärkungsgesetzes.

Der faktische Zwang für die KVen, im Falle von Überversorgung Praxen aufzukaufen, werde in Hamburg zu einem Kahlschlag in der ambulanten Versorgung führen, erklärte KVH-Vorsitzender Walter Plassmann in Hamburg. "Für Hamburg ist das ein einschneidendes Ereignis, wie wir es noch nie hatten. Es gibt nicht ein einziges Fach, wo nicht gestrichen werden müsste." So müsse jeder zweite Radiologe vom Netz gehen. "Was das mit der Versorgung macht, darf man sich gar nicht überlegen!"

Es müssten insgesamt 938 Arztsitze verschwinden - ein Viertel aller Zulassungen, so die KVH. Unter anderem 81 Hausärzte, 15 Kinderärzte, 155 Internisten, 15 Gynäkoogen und 331 Psychotherapeuten. "Das ist Wahnsinn" kommentierte Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender der KVH-Vertreterversammlung. Nicht nur die Patienten in Hamburg seien betroffen, sondern auch Patienten aus dem Speckgürtel der Stadt, von denen viele in die Praxen der Hansestadt kommen.

"Kompletter Irrsinn"

Plassmann und Heinrich machten den Architekten des Gesetzes heftige Vorwürfe. Die Rede war von "schizophrenen Absichten", "komplettem Irrsinn", "Wahnsinn" und "nahezu apokalyptischen Vorstellungen". Hintergrund des Zorns ist der Umstand, dass das Gesetz einerseits Praxen "vernichtet", andererseits zur Errichtung von Servicestellen verpflichtet, um Patienten schneller zu Terminen zu verhelfen. "Wie man schneller Termine vergeben kann, wenn das Angebot massiv zusammengestrichen wird, muss die Regierung noch erklären", sagte Heinrich.

Zudem sei der Praxenaufkauf kein Mittel, um Ärzte in unterversorgte Gebiete zu bringen. Erstens gebe es in Hamburg keine Überversorgung, sagte Plassmann, zweitens sei ein aufgekaufter Praxissitz weg und werde nicht an anderer Stelle wiedererstehen, um dort die Versorgung zu verbessern. Unklar sei überdies, von welchem Geld die KVen die Sitze eigentlich bezahlen sollten, ganz zu schweigen von den vielen Arbeitsplätzen die mit den über 900 Sitzen wegfallen würden. Plassmann rechnet "mit einer Klagewelle".

Auch die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung, wie das neue Gesetz sie vorsieht, kritisierten Plassmann und Heinrich: "Man will die niedergelassene Medizin austrocknen zugunsten der Krankenhäuser", hieß es. Für die Patienten bedeute das im Zweifel kalte Flure, harte Bänke und unerfahrene Assistenzärzte. "Eine Auskunft vom Oberarzt bekommt man höchstens per Telefon. Das ist keine Verbesserung der Versorgung."

Sturm der Entrüstung

Ebenso katastrophal wie die "Praxenvernichtung" sei die Beschädigung der ärztlichen Freiberuflichkeit durch die zahllosen Detailvorschriften des neuen Gesetzes. "Wenn die Freiberuflichkeit weiter zurückgedrängt wird, dann wird das Ganze in einen Systemwechsel münden", erklärte Plassmann. Der Vertragsarzt deutscher Prägung rutsche "immer weiter nach links und wird zum beamteten Arzt, wie in England", so Plassmann.

Seit Wochen laufen die KVen Sturm gegen den Entwurf des Versorgungsstärkungsgesetzes, um Druck auszuüben auf die anstehenden Beratungen des Gesetzentwurfes.

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