Gröhes Reformküche

Manchmal Vanillepudding mit Kräuteressig

Kein Gesundheitsminister hat im ersten Amtsjahr so viele Gesetze angepackt wie Hermann Gröhe es getan hat. Enthält sein Menü wirklich die Zutaten, die Versorgung zu verbessern? Ein Leitartikel.

Wolfgang van den BerghVon Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:
Hermann Gröhes Gesundheits-Menü.

Hermann Gröhes Gesundheits-Menü.

© Tomicek

Wer einen Blick auf die gesundheitspolitische Agenda wirft, wird feststellen, dass die große Koalition exakt im Zeitplan liegt. Die Gesetze zur Pflegestärkung, zu Arzneimittelrabatten und zu GKV-Finanzen/Qualität stehen im Bundesgesetzblatt.

Die Entwürfe für das Versorgungsstärkungsgesetz und das Präventionsgesetz liegen vor. Am zweiten Pflegestärkungsgesetz wird Anfang 2015 wieder gearbeitet, wenn die Ergebnisse der Modellprojekte in mehreren Dutzend Pflegeheimen zur Pflegebegutachtung evaluiert sind.

Und obendrein gibt's noch den Kompromiss mit den Ländern zur Klinikreform. Zugegeben: Da sah die Jahresbilanz manch anderer Wunschkoalition schlechter aus.

Dennoch bleiben Fragen: Ändert diese Flut an Gesetzen etwas an den programmatischen Leerstellen vergangener Jahre? Sind die Schwerpunkte richtig gesetzt oder gibt es Ungleichgewichte?

Ideologen sitzen in der zweiten Reihe

Wir erinnern uns: Beide großen Parteien hatten im Wahlkampf für zwei völlig unterschiedliche Reformkonzepte zur Rettung des Gesundheitswesens geworben - die einen für die Bürgerversicherung, die anderen für den Erhalt des dualen Krankenversicherungssystems.

Doch längst sitzen die Anhänger beider Lager in der zweiten Reihe und hoffen darauf, dass ihre große Stunde noch kommen wird. Aber wann, mit welchen Mehrheiten, für welches Konzept?

Derweil nimmt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe ohne größeres Störfeuer innerhalb der Koalition eine Hürde nach der anderen. Diejenigen, die hinter Merkels Personal-Entscheidung eine Interims-Lösung vermutet hatten, sind bis heute Lügen gestraft worden.

Gröhe, der den Vorzug vor dem Gesundheitsexperten Jens Spahn bekam, ist einer nach Merkels Geschmack. Er ist ein Mann der leisen Töne, stets pflichtbewusst und zu einhundert Prozent loyal.

Schon 2008 war er als Kanzleramtsminister und rechte Hand Merkels zuständig für die Vermittlung zwischen Bund- und Länder-Angelegenheiten - ein Lernprogramm, von dem Gröhe beim jüngsten Klinik-Kompromiss profitieren konnte. Als Generalsekretär von 2009 bis 2013 hat er Erfahrungen sammeln können, wie man unterschiedliche Strömungen zusammenführt.

Dann der Bundesparteitag vor wenigen Wochen in Köln. Sein "Verzicht" auf einen Posten im Parteipräsidium ist eigentlich eine Folge der Frauenquote. Und trotzdem: Nur ein Kratzer in seiner Vita?

Gröhe managt, Gröhe moderiert, Gröhe entscheidet, auch wenn am Ende Unwuchten entstehen.

Portionen sind ungleich groß

Ein Blick in die Reformküche zeigt, welche "Stärkungs"-Gesetze (Menüs) derzeit in Vorbereitung sind oder angerichtet werden. Einige Portionen fallen klein aus, andere sind etwas größer.

Manche schmecken wie Vanillepudding mit Kräuteressig. Das führt unweigerlich zu Spannungen. Beispiel: die geplante Förderung von 7500 Weiterbildungsstellen in der Allgemeinmedizin.

Haus- und Fachärzte sehen darin zwar eine sinnvolle Regelung, Fachärzte glauben aber nicht, dass dadurch die hausärztliche Versorgung gesichert werden kann. Beide Gruppen sind sich auch einig, wenn es darum geht, die Sinnhaftigkeit von Terminservicestellen zu bewerten: Ablehnung auf breiter Front.

Was heißt das konkret? Die ambulante Grundversorgung ist die Achillesferse dieser Koalition. Eine einseitige Förderung der Allgemeinmedizin greift zu kurz und wird dem Anspruch einer flächendeckenden ambulanten Grundversorgung nicht gerecht.

Mit Blick auf den demografischen Wandel und auf eine zunehmende Versorgung pflegebedürftiger Patienten zu Hause oder in Einrichtungen wird es nötig sein, beide Grundversorger-Typen zu fördern: Haus- und Fachärzte.

Fachärzte geraten zunehmend unter Druck

Die Union und die SPD irren, wenn sie glauben, Fachärzte in Kliniken könnten den Job von Haus- und Fachärzten in unterversorgten Gebieten mitübernehmen. Dazu fehlen die Kapazitäten. Und dennoch fühlen sich ambulant tätige Fachärzte durch die Gesetzespläne unter Druck gesetzt.

Zusätzlich angeheizt wird die Diskussion durch den möglichen Aufkauf von Praxen in überversorgten Regionen. Die Flucht in die Privatmedizin, so wie sie jetzt schon erfolgt ist, gehört zu einem häufig gewählten Reaktionsmuster.

Das steht im Widerspruch zu der Absicht der Koalition, Patienten kürzere Wartezeiten beim Facharzt zu versprechen. Am Ende werden die weniger schweren Fälle den Zugang zum Facharzt blockieren, während sich die wirklich schwer Erkrankten mangels Kapazitäten werden hinten anstellen müssen.

Mitarbeiter in den Servicestellen werden überfordert sein, per Fern-Diagnosen Versorgungssteuerung zu praktizieren, ganz zu schweigen von der Bürokratie und den Kosten, die dadurch entstehen.

Doch diese Suppe haben sich Ärzte-Vertreter zum Teil auch selbst eingebrockt. Zunächst wurde das Problem geleugnet, und dann hielt man sich zurück, für gut funktionierende Systeme außerhalb der kollektivvertraglichen Versorgung zu werben - Stichwort Hausarztverträge.

Fakt ist: Solange der Gesetzgeber Versicherten den uneingeschränkten Zugang zum Facharzt ermöglicht, umso weniger wird das Problem der Wartezeiten gelöst. Klinikärzte hier einzubinden wäre versorgungspolitisch ein völlig falsches Signal.

"Wir brauchen eine bessere Verteilung der Ärztinnen und Ärzte", sagt Herman Gröhe. Wie Recht er doch hat. Versorgungssteuerung funktioniert aber nur auf der Grundlage einer fundierten sektorübergreifenden Bedarfsplanung und verbindlich geregelten Kooperationen zwischen Haus- und Fachärzten.

Schleppender Dialog

Gröhe verspricht den Menschen eine bedarfsgerechte, flächendeckende und gut erreichbare medinische Versorgung. Vielleicht wäre es aufrichtiger, die Menschen darauf einzustimmen, dass Versorgung in Zukunft mit weniger Ärzten und weniger Kliniken auskommen muss. Diese Knappheit erfordert neue, verbindliche Spielregeln auch für Patienten.

Leider wird diese Wahrheit von den Gesundheitspolitikern der Koalition bislang verschwiegen.

In einer solchen Phase braucht es starke Körperschaften und Verbände, die aufzeigen, welche Leistungen mit begrenzten Ressourcen erbracht werden können. Basis dafür ist die Wiederaufnahme des Dialogs mit der Politik. Doch das läuft eher schleppend.

Wie formulierte kürzlich ein Verbandschef sehr treffend mit Blick auf das Versorgungsstärkungsgesetz: "Die Ankündigung massiver Ärzteproteste macht sich für die Kulisse immer gut, ist aber realpolitisch angesichts unseres Mangels an parlamentarischen Verbündeten(...) zum Scheitern verurteilt."

Die Überschriften zu den Gesetzen sind sperrig, versprechen viel, vielleicht zu viel. Die Koalition mag im Zeitplan liegen, dennoch sollte am Ende wieder der alte Grundsatz gelten: Gründlichkeit vor Schnelligkeit.

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