Schwanger im OP

Chirurginnen hinterfragen Mutterschutz

Ärztinnen wollen sich nicht mehr aus dem OP-Saal vertreiben lassen, nur weil sie schwanger sind. Stattdessen stellen sie die Auslegung des Mutterschutzes in Frage.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Stefanie Donner – im achten Monat – bei einer Arthroskopie.

Stefanie Donner – im achten Monat – bei einer Arthroskopie.

© Stefanie Donner

BERLIN. Bislang war es so: Chirurginnen, die schwanger wurden, durften nicht mehr operieren. Das Mutterschutzgesetz von 1952 verordnete ihnen eine Zwangspause vom OP-Saal und bremste somit die fachärztliche Ausbildung oder berufliche Entwicklung aus.

Dieser Automatismus dürfte sich mit dem aktuellen Positionspapier "Operieren in der Schwangerschaft" der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) ändern.

Dr. Maya Niethard und Dr. Stefanie Donner, beide Chirurginnen und beim Jungen Forum der DGOU aktiv, haben darin zusammengetragen, wie der Mutterschutz heute zeitgemäß auszulegen wäre und somit schwangeren Ärztinnen die weitere OP-Tätigkeit ermöglichen könne.

Einsatz im OP nicht ausgeschlossen

Das Positionspapier informiert zu allen Aspekten der Gefährdung und gibt Auskunft zu rechtlichen Fragen.

Eine Checkliste und eine individuelle Gefährdungsbeurteilung erleichtert es den betroffenen Frauen und ihren Arbeitgebern, gegenüber den zuständigen Aufsichtsbehörden die weitere OP-Tätigkeit einer schwangeren Chirurgin begründen zu können.

"In der Regel kommt es zu einem Beschäftigungsverbot, obwohl das Mutterschutzgesetz einen Einsatz im OP nicht explizit ausschließt. Zudem hat die moderne Medizin die Bedingungen im OP sicherer gemacht", sagt Niethard.

So seien intravenöse und regionale Anästhesieverfahren gute Alternativen zu Narkosegasen. Vor Röntgen-Strahlen könnten sich angehende Mütter schützen, in dem sie den OP verlassen. Die Gefahr einer Infektion wie etwa Hepatitis C und HIV könne durch schnell verfügbare Tests zum Patientenscreening geklärt werden.

Unter bestimmten Bedingungen können Ärztinnen in der Schwangerschaft demnach durchaus operieren, ohne sich selbst, das ungeborene Kind oder den Patienten zu gefährden. Maya Niethard und Stefanie Donner haben dies vorgemacht: Niethard war 2013 schwanger und stand bis zum sechsten Monat im OP.

Donner bekam 2014 während der fachärztlichen Weiterbildung ihr zweites Kind.

Nach Gesprächen mit ihrem Vorgesetzten und dem Betriebsarzt, Telefonaten sowie einer Besprechung vor Ort mit dem Gewerbeaufsichtsamt kehrte sie in der 30. Schwangerschaftswoche in den OP-Saal zurück, absolvierte ihre Facharztprüfung und arbeitete bis zum letzten Tag vor Eintritt in den Mutterschutz.

"Ich hatte mir Arthroskopien ausgewählt und es ging mir während des Operierens und Assistierens körperlich sehr gut. Auch das Stehen bereitete mir keine Schwierigkeiten", berichtet Donner.

Mehr Sicherheit statt "Grauzone"

88 Prozent der Chirurginnen wollen laut einer deutschlandweiten Erhebung auf eigenen Wunsch auch während einer Schwangerschaft am OP-Tisch stehen. Niethard und Donner helfen mit ihrem Engagement, sie aus der "Grauzone" zu holen und für mehr Sicherheit für alle Beteiligten zu sorgen.

"Die meisten Fachärztinnen geben ihre Schwangerschaft erst in der 14. Woche bekannt, Oberärztinnen sogar erst in der 20.Woche," sagt Maya Niethard.

Das sei im Grunde unlogisch, da in den ersten Schwangerschaftswochen Mutter und Kind am verletzlichsten seien und am meisten Schutz bedürften. "Künftig sollte die Frau frei entscheiden können. Einen Zwang zum OP-Einsatz darf es aber nicht geben", sagt Niethard

Die zentrale rechtliche Frage, so die Berliner Juristin Rebecca Mohr, sei, wer in einem Schadensfall die Haftung übernimmt.

Mohr sieht den Gesetzgeber in der Pflicht, über seine Aufsichtsbehörden für bundesweit einheitliche Standards bei der Genehmigung der OP-Tätigkeit zu sorgen. Der Arbeitgeber hätte dann mehr Rechtssicherheit.

Ein Schadensfall, etwa eine Infektion im OP, könnte als Arbeitsunfall gewertet werden und wäre über die Versicherung zu klären.

Das Positionspapier sowie weitere Informationen finden sich auf der Homepage www.OPidS.de.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Mutige Pionierinnen

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