Studie enthüllt

Dominieren Lobbyisten den Gesundheitsausschuss?

Stimmt das Bild von der Gesundheitspolitik als "Haifischbecken"? Forscher haben die Arbeit des Gesundheitsausschusses jetzt vor dem Hintergrund bekannter Vorurteile analysiert. Mit überraschenden Ergebnissen.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Der Gesundheitsausschuss - hier bei einer Anhörung zur Praxisgebühr im Jahr 2011.

Der Gesundheitsausschuss - hier bei einer Anhörung zur Praxisgebühr im Jahr 2011.

© Deutscher Bundestag / Lichtblick / Achim Melde

BERLIN. Am 25. März werden die Verbände sich wieder ein Stelldichein im Gesundheitsausschuss geben: Die Anhörung zum Versorgungsstärkungsgesetz (VSG) gilt als fester Termin für Interessengruppen. Doch wessen Stimme zählt wirklich?

Ende der 1990er Jahre prägte die damalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) das Sprachbild vom "Haifischbecken" Gesundheitswesen, das bis heute herhalten muss, um die Eigenarten der Gesundheitspolitik zu beschreiben.

Das wiederkehrende Motto dabei: Einige wenige Lobbys beeinflussen die Arbeit im Gesundheitsausschuss des Bundestags stärker, als ihm gut tut.

Die Politikwissenschaftler Anna-Katharina Dhungel und Eric Linhart haben in der Legislaturperiode von 2009 bis 2013 die Arbeit sämtlicher Bundestagsausschüsse durchleuchtet (Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 4/2014, 743-762).

Das Datenmaterial bestätigt das oft gehörte Vorurteil nicht - und doch weist die Arbeit im Gesundheitsausschuss einige Besonderheiten auf.

Ein ganzes Heer von Experten

Anhörungen – Schaulaufen der Verbände

Die starke Konzentration von Interessenverbänden im Gesundheitsausschuss ist kein Zufall, sondern spiegelt eine vom Gesetzgeber selbst geschaffene Konstellation wider: Gesundheitsreformen geben in der Regel nur den gesetzlichen Rahmen vor. Vor allem dem „kleinen Gesetzgeber“, dem Gemeinsamen Bundesausschuss und seinen Interessen-„Bänken“, obliegt es, die gesetzlichen Vorgaben operativ gangbar zu machen. Von daher kann die starke Präsenz von GKV-Spitzenverband oder KBV in den Ausschussanhörungen nicht wundern. Selbst einladen können sich allerdings auch wichtige Verbände nicht.

Denn die Sachverständigen werden nach einem Schlüssel gemäß der Fraktionsstärke benannt – zumeist mit der Intention, bei der Anhörung genau die Position wissenschaftlich untermauert zu bekommen, die ohnehin der Fraktionslinie entspricht. Vor diesem Hintergrund dienen Anhörungen im Ausschuss primär der Informationssammlung und dem „Schaulaufen“ vom Experten, die bestimmte Positionen bekräftigen oder bestätigen. Wirksamer ist der Einfluss der Interessengruppen im direkten Gespräch mit Abgeordneten – ohne Öffentlichkeit. (fst)

Das zeigt sich beim Vergleich der Arbeit in anderen Ausschüssen des Bundestags. So traten etwa im Auswärtigen Ausschuss im Verlauf der vier Jahre 28 Experten auf und gaben Stellungnahmen ab.

Im Gesundheitsausschuss dagegen sprach ein ganzes Heer von Experten - und Lobbyisten - vor: 528 externe Fachleute gaben dort 1274 Stellungnahmen ab.

Nur im Finanzausschuss wurden sechs Dokumente mehr - insgesamt also 1280 - eingereicht. In rund der Hälfte der 119 Sitzungen des Gesundheitsausschusses wurden Experten eingeladen, die im Schnitt fast elf Stellungnahmen mitbrachten - auch das ist ein Rekord.

Will man etwas über die potenzielle Einflussnahme von Lobbyisten erfahren, ist nicht die bloße Expertenzahl, sondern vor allem ihre Herkunft relevant.

Nimmt man vom Agrar- bis zum Wirtschaftsausschuss alle Gremien in den Blick, dann stellen jeweils Verbände (37 Prozent) und Einzelsachverständige (36 Prozent) mehr als ein Drittel aller externen Gäste.

Unternehmen (acht Prozent), Institute (vier Prozent) oder Stiftungen (zwei Prozent) werden dagegen seltener zu Rate gezogen.

Ganz anders im Gesundheitsausschuss. Dort zeigt sich einmal mehr, dass das deutsche Gesundheitswesen ein Verbändeparadies ist: Fast 64 Prozent der Sachverständigen werden von dort entsandt, weniger als ein Viertel (24,4 Prozent) sind Einzelsachverständige.

In keinem anderen Ausschuss war zwischen 2009 und 2013 der Anteil der vorsprechenden Verbändevertreter so massiv.

Selbst im von großen Interessengruppen belagerten Sozialausschuss ist die Verteilung praktisch umgekehrt: Nur knapp 28 Prozent der Sachverständigen sind Verbandsvertreter gewesen, rund 64 Prozent waren Einzelsachverständige.

Die tatsächliche Bedeutung einzelner Verbände und ihre Einbindung in die Willensbildung in einem Ausschuss lässt sich erst dann erkennen, wenn die Häufigkeit untersucht wird, in der bestimmte Verbände von Abgeordneten gehört werden.

Auch hier stechen wieder der Finanz- und der Gesundheitsausschuss hervor: Im Letzteren war der GKV-Spitzenverband mit 41 Stellungnahmen am häufigsten präsent, gefolgt von der Bundesärztekammer (32), dem PKV-Verband (29), der Verbraucherzentrale Bundesverband (28), Deutscher Krankenhausgesellschaft (22) und KBV (20 Stellungnahmen).

Kakofonie der Stimmen

Keiner der Verbände legt somit im Laufe der Legislaturperiode mehr als zehn Prozent der Stellungnahmen vor.

Ganz anders das Bild beispielsweise im Sozialausschuss: Dort dominieren mit großem Abstand vor anderen Verbänden der DGB und die Arbeitgeberverbände die Reigen der Sachverständigen.

Den Gesundheitsausschuss beschreiben die Autoren Dhungel und Linhart als fragmentiert.

Es kommen dort viele Stimmen zu Wort, allerdings herrscht in diesem Ausschuss auch "ein besonders großes Ungleichgewicht zwischen häufiger und seltener zu Worte kommenden Verbänden".

Genau das beschreibt Seehofers Bild des "Haifischbeckens": Es wimmelt vor Interessenvertretern, von denen die einen wichtig, die anderen weniger wichtig sind.

Doch keiner der Verbände dominiert die Szenerie - was hoffentlich genug Platz für die Arbeit der Volksvertreter lässt.

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