Abschlussbericht über Germanwings-Absturz

Montgomery will keine Aufweichung der Schweigepflicht

Gegen eine "generelle Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht" hat sich BÄK-Präsident Montgomery ausgesprochen. Er reagierte auf Forderungen der französischen Untersuchungskommission BEA mit Blick auf Konsequenzen aus der Flugkatastrophe, bei der ein psychisch kranker Pilot eine Germanwings-Maschine vorsätzlich zum Absturz gebracht hatte.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:

PARIS. Auf mehr als 120 Seiten hat die französische Untersuchungsbehörde BEA jetzt ihren Abschlussbericht zur Germanwings-Katastrophe am 24. März 2015 in den französischen Alpen vorgelegt.

Eine schonungslose Analyse bis ins letzte Detail mit einem verblüffenden Schwerpunkt: Die Kommission rückt die ärztliche Schweigepflicht in Deutschland in den Fokus.

Zur Erinnerung: Der psychisch kranke Copilot Andreas Lubitz hatte den Airbus A320 absichtlich zum Absturz gebracht, 150 Passagiere starben. Ohne mögliche Maßnahmen auf EU-Ebene abzuwarten, sollten die Bundesärztekammer und das Bundesverkehrsministerium konkrete Richtlinien herausgeben, so die Forderung der Kommission:

- Ärzte sollten daran erinnert werden, dass sie die ärztliche Schweigepflicht brechen können, wenn die Gesundheit eines Verkehrspiloten möglicherweise die öffentliche Sicherheit gefährdet.

- Die angemahnten Richtlinien sollten Definitionen für die Begriffe "bevorstehende Gefahr" und "Bedrohung der öffentlichen Sicherheit" im Zusammenhang mit der Gesundheit von Piloten enthalten. Die Kommission verweist in ihrem Bericht ausdrücklich auf Paragraph 34 StGB (rechtfertigender Notstand), der Straffreiheit in extremen Notsituationen vorsieht.

- Juristische Konsequenzen für Gesundheitsdienstleister müssten mit Blick auf die ärztliche Schweigepflicht begrenzt werden. Voraussetzung: Die Verletzung sei im guten Glauben erfolgt, dass mit diesem Verhalten die Bedrohung der öffentlichen Sicherheit verringert oder eliminiert werde.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Frank Ulrich Montgomery, hat diesen Forderungen inzwischen eine Absage erteilt. Der Abschlussbericht zeige durchaus, dass "in verschiedenen Bereichen" Handlungsbedarf bestehe. "Eine generelle Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht gehört aber nicht dazu", so Montgomery in einer Mitteilung.

Die Untersuchungskommission weist darauf hin, dass ein privater Arzt den Copiloten einen Monat vor dem Unfall an einen Psychotherapeuten und Psychiater überwiesen habe.

Zwei Wochen später habe dieser eine mögliche Psychose diagnostiziert. Außerdem sei auch nachgewiesen worden, dass der Psychiater dem Piloten Antidepressiva und ein Schlafmittel verschrieben habe. Lubitz war zum Zeitpunkt der Katastrophe krankgeschrieben.

Kein Arzt, kritisiert die Untersuchungskommission, habe medizinische Bedenken an die Behörden gemeldet.

"Es ist wahrscheinlich, dass diese Ärzte das mit dem Bruch der ärztlichen Schweigepflicht insbesondere für sich selbst verbundene Risiko höher eingeschätzt haben, als das, den Piloten nicht den Behörden zu melden", heißt es in dem etwas umständlich formulierten Bericht. Dieser sei, wie es im Vorwort heißt, "als Geste der Höflichkeit" in die deutsche Sprache übersetzt worden.

Die BEA bestätigte außerdem, dass Lubitz Germanwings vor dem Unglücksflug nicht über seine Krankschreibung informierte. Der Copilot habe vermutlich auch finanzielle Einbußen befürchtet für den Fall, dass er seine Verkehrspiloten-Lizenz verlieren würde.

Die Kommission weist darauf hin, dass es in einigen Ländern wie etwa Kanada, Israel und Norwegen Datenschutzbestimmungen zum Offenlegen von personenbezogenen Daten gibt, die speziell Piloten betreffen.

Diese Vorschriften stellten klare und sichere juristische Rahmenbedingungen für alle Gesundheitsdienstleister bereit. Darüber hinaus gebe es Länder, in denen für Piloten sogar vorgeschrieben sei, beim Arzt ihren Beruf zu nennen - aus Sicht der Kommission eine sinnvolle Regelung, mit der mehr Transparenz ermöglicht werde.

Die BEA hat ihre Empfehlungen inzwischen an die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) und die EU-Mitgliedsstaaten geschickt. (mit dpa)

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