DGIM-Kongresspräsident Hasenfuß

Klinische Forschung muss gestützt werden!

In seiner Präsidentenrede am Sonntag auf dem DGIM-Kongress geht Professor Gerd Hasenfuß nicht nur auf die Herausforderungen und die Chancen der Digitalen Medizin oder die Initiative "Klug entscheiden" ein. Am Herzen liegt ihm ebenfalls die klinische Forschung und dabei auch das Thema Ökonomisierung. Wir dokumentieren Auszüge seiner Rede, deren Manuskript uns vorab vorlag.

Von Gerd Hasenfuß Veröffentlicht:
Professor Gerd Hasenfuß - hier bei der Eröffnung von "Chances".

Professor Gerd Hasenfuß - hier bei der Eröffnung von "Chances".

© Andreas Henn

(...) Eine Verweigerung, ja auch schon eine Passivität der Medizin gegenüber der digitalen Revolution ist absolut kontraindiziert. Kontraindiziert, weil wir damit eine riesige Chance vergeben würden, den Weg mit zu bestimmen. Kontraindiziert auch deshalb, weil wir Qualität der Datenerhebung und Übermittlung beurteilen und unsere Patienten beraten müssen. (...)

Und schließlich ist eine Passivität der Medizin gegenüber der digitalen Welt auch deshalb kontraindiziert, weil sich die Menschen und unsere Patienten selbst entscheiden, wohin die Reise gehen soll, und sie haben das bereits getan.

(...) Gesundheitsdaten können ohne Praxisbesuch erhoben und kontinuierlich übermittelt werden. MobileHealth wird damit in Zukunft Patienten entlasten, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Und MobileHealth wird zur Schließung von Versorgungslücken in ländlichen Regionen beitragen.

Mit noch mehr Optimismus kann man sich davon auch erhoffen, dass wir durch MobileHealth wieder mehr Zeit für die direkte Interaktion mit unseren Patienten gewinnen.

(...) Wir stehen noch ganz am Anfang und Datenschutz, Qualitätssicherung und Haftungsüberlegungen stehen häufig auf der Bremse. Umso erfreulicher ist es, dass unsere Gesundheitspolitik (...) die Zeichen der Zeit erkannt und innerhalb des letzten Jahres die Weichen in Richtung Digitale Medizin mit dem eHealth-Gesetz gestellt hat. (...)

Die Inhalte sind erfreulich aber das Tempo darf nicht so bleiben. Bereits 2004 hat das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehen, dass bis spätestens 2006 die Erweiterung der elektronischen Krankenversicherungskarte zur elektronischen Gesundheitskarte erfolgen soll.

Das Argument, keine gläsernen Patienten zu wollen, hat das ganze um mehr als eine Dekade verzögert. (...)(...) Die DGIM will die Digitale Medizin aktiv mitgestalten und ihre Mitglieder mitnehmen. (...) Wir wollen zur Qualitätskontrolle beitragen im Hinblick auf Reproduzierbarkeit von Messungen, Datensicherheit und Risiken der Manipulation.

Und wir wollen unsere Patienten mit einbeziehen. Und in diesem Rahmen werden wir auch ein hochdotiertes Forschungsprojekt zum Thema Digitale Medizin ausloben und fördern. (...)

Wissenschaft und Forschung fördern

Die DGIM dient der Förderung von Wissenschaft und Forschung. So steht es prominent in unserer Satzung.

Gerade die klinische Forschung muss mit allem, was in unseren Kräften steht, gestützt werden. Heute, wo sie so existenziell gefährdet ist. Die klinische Forschung ist eine elementare Voraussetzung für den Fortschritt in der Medizin. Sie ist aber nur dann möglich, wenn Ärztinnen und Ärzte fundierte Kenntnisse im wissenschaftlichen Arbeiten besitzen und auch bereit dazu sind, Klinik und Forschung zu kombinieren.

Ein erheblicher Teil der klinischen Forschung wird im deutschen System von Ärztinnen und Ärzten in der Weiterbildung durchgeführt. Sie hat deshalb nur eine Zukunft, wenn Medizinerinnen und Mediziner willens sind, Weiterbildung und Forschung parallel durchzuführen und in der Regel zusätzlich auch noch Lehraufgaben zu übernehmen.

Die Habilitation und die Apl-Professur sind in unserer medizinischen Wissenschaftskultur in Anbetracht unserer finanziellen Möglichkeiten ein wesentlicher Stimulus für die klinische Forschung. Und ich sage das bewusst und entgegen der Empfehlung des Wissenschaftsrates.

Die Phase fällt in einen Lebensabschnitt der Ärztinnen und Ärzte, in dem auch die Familienplanung fällig ist. Und darüber hinaus wird eine vernünftige Work-Life-Balance eingefordert.

Das alles unter einen Hut zu bekommen ist schwierig und funktioniert ohne neue Strukturen nicht. Entsprechend ist die Unzufriedenheit groß. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage vom Bündnis Junge Ärzte der DGIM und des BDI hat das auch gezeigt: mehr als zwei Drittel der Befragten sind mit den Bedingungen für Weiterbildung und wissenschaftliches Arbeiten in Deutschland nicht zufrieden.

"Mit Druck geht da gar nichts"

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Weitere Berichte vom Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Mannheim finden Sie hier: aerztezeitung.de/dgim2016

Manche von Ihnen höre ich jetzt sagen, das war schon immer so, die müssen halt die Zähne zusammenbeißen wie wir auch.

Weit gefehlt. Denn erstens steuern wir auf einen gigantischen Ärztemangel und damit Bewerbermangel insbesondere in der akademischen Medizin zu.

Und zweitens kommt nach der Generation Y die Generation Z, das sind die nach 1995 Geborenen, die sich jetzt also gerade im Medizinstudium befinden, und mit Druck geht da gar nichts.

Und so wie sich Industrieunternehmen auf die Generationen Y und Z einstellen, müssen das auch die Kliniken machen. Ich zitiere hierzu drei Empfehlungen einer renommierten Personalagentur:

1. Kommunizieren Sie auf Augenhöhe, die Zs reagieren empfindlich auf Bevormundung.

2. Schenken Sie ihnen Gehör und öffnen Sie sich ihrer Arbeitsweise und ihren Anliegen, und

3. Erwarten Sie wenig Verständnis für harte Kritik. Rechnen Sie Ihrerseits aber damit, hart kritisiert zu werden.

Das eben Genannte liefert die Grundkultur, die natürlich nicht nur von den klinischen Abteilungen, sondern auch von den Fakultäten und den Verwaltungen verstanden werden muss. Und hier wäre auch das Allerweltsthema Bürokratieabbau zu platzieren.

Wichtig ist daneben ein strukturiertes Weiterbildungs- und Forschungskonzept, ein Curriculum für die klinisch Forschenden, für wissenschaftlich und klinisch tätige Ärzte, für die Clinician Scientists.

Dabei geht es nicht nur um geschützte Zeit und Freistellung für die Forschung, sondern auch um klare Strukturen in der Weiterbildung.

Die Forschenden möchten nicht riskieren, dass sie während der Forschungsfreistellung von anderen überholt werden oder im Nadelöhr der Schwerpunktfunktionsbereiche stecken bleiben.

Die DGIM hat ein solches Curriculum entwickelt (...). Das Curriculum "Facharztweiterbildung Innere Medizin (Schwerpunkt) und Habilitation" soll als Strukturvorschlag und Anregung für wissenschaftsaktive internistische Abteilungen verstanden werden. (...)

Ökonomisierung der Medizin

Meine Damen und Herren, eine ganz wesentliche Bedrohung der klinischen Forschung sehe ich auch in der Ökonomisierung der Medizin und der Unterfinanzierung der Universitätskliniken begründet. (...)

Die deutschen Universitätskliniken sind hoffnungslos unterfinanziert. Zusammen akkumulieren sie jährlich ein Defizit im dreistelligen Millionenbereich. Und obwohl es zumindest andeutungsweise im Koalitionsvertrag steht, hat sich bisher nichts Wesentliches getan.

Der erforderliche Systemzuschlag, wie ihn Unikliniken in anderen Europäischen Ländern erhalten, wird bei uns von der Politik abgelehnt. Die alternativ von der zuständigen Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorgeschlagene Zusatzfinanzierung der Hochschulambulanzen ist in ihrem Effekt noch völlig unklar und in weiter Ferne.

Die Auseinandersetzung mit den Nebenwirkungen der Ökonomisierung in der Medizin ist eines der priorisierten Themen im DGIM-Programm 2020.

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