Montgomery

Pharmaindustrie soll nur mit offenen Ärzten kooperieren

Ärztepräsident Professor Montgomery fordert von Pharmaunternehmen, die Zusammenarbeit mit Ärzten zu beenden, die einer Veröffentlichung der Kooperation nicht zustimmen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Erstmals hat die Pharmaindustrie offengelegt, wie viel Geld sie Ärzten für die Teilnahme an klinischen Studien und Anwendungsbeobachtungen, aber auch für Vorträge und Kongressteilnahmen bezahlt.

Die aggregierte Summe für alle Zuwendungen eines Teils der Industrie an Ärzte und weitere Fachkreise beziffert der Verein für die freiwillige Selbstkontrolle der Arzneimittelindustrie (FSA) auf 575 Millionen Euro.

Da lediglich ein Drittel der Ärzte, die befragt worden seien, ob sie einer Veröffentlichung ihrer Bezüge und wofür das Geld der Industrie geflossen ist, zustimmten, würden die Daten auf den Internetseiten der Unternehmen transparent machen, hat FSA-Geschäftsführer Dr. Holger Diener angekündigt.

Die 54 Mitgliedsunternehmen des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) müssen nun bis Ende des Monats ihre jeweiligen Zuwendungen an Ärzte, andere Fachkreisangehörige und medizinische Einrichtungen beziffern.

Damit setzen sie eine Vereinbarung des Transparenzkodex um, auf den sich die Industrie seit 2004 schrittweise europaweit geeinigt hat.

Wenige schwarze Schafe

Die Reaktionen aus der Ärzteschaft fielen positiv aus. "Die übergroße Mehrheit der Ärzte lässt sich nichts zu Schulden kommen und muss deshalb Transparenz nicht fürchten", sagte der Präsident der Bundesärztekammer Professor Frank Ulrich Montgomery am Dienstag der "Ärzte Zeitung".

Die Ärzte wollten auch nicht von wenigen schwarzen Schafen in Misskredit gebracht werden. Er fordere daher prospektiv die Veröffentlichung der Geldflüsse an die Ärzte unabhängig von deren Zustimmung zu machen. Alternativ sollten Unternehmen auf die Zusammenarbeit mit Ärzten verzichten, die nicht genannt werden wollten, sagte Montgomery.

Der Ärztepräsident verwies darauf, dass die Ärzteschaft eine gesetzliche Regelung nach dem Vorbild des US-amerikanischen "Physician Payment Sunshine Act" befürworte.

Danach müssen alle Zuwendungen detailliert veröffentlicht werden."Schade, dass man sich der Transparenz entziehen kann", kommentierte der Unionspolitiker Michael Hennrich (CDU) die Veröffentlichung der Industrie. "Die Ehrlichen sind die Dummen", sagte er am Dienstag der "Ärzte Zeitung".

"Sinnvoller Schritt"

"Im Sinne der Transparenz ist der Schritt der Pharmaunternehmen sinnvoll", sagte die stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Regina Feldmann.

Für die Entwicklung innovativer Arzneimittel müssten Forschungen betrieben werden, in die der Sachverstand der Ärzteschaft einfließe. Die Unternehmen müssten ein ureigenes Interesse daran haben, dass Anwendungsbeobachtungen nicht unter Generalverdacht gestellt würden.

Für Deutschland als zweitwichtigsten Standort für klinische Studien hinter den USA sei der Wissensaustausch zwischen Ärzten und medizinischen Einrichtungen sowie der Industrie essentiell, betonte vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer.

Was der Transparenzkodex leistet

Geltung: Beschlossen wurde der Kodex 2014 vom Europaverband der forschenden Industrie und wenig später vom deutschen vfa. Er bindet nur die rund 50 Mitgliedsunternehmen, nicht andere Teile der Pharma-Industrie.

Individualisierte Veröffentlichung von Zahlungen oder geldwerten Vorteilen an Ärzte: Das ist nur vorgesehen für Berater- und Vortragstätigkeiten für Unternehmen sowie die Unterstützung bei der Teilnahme an Fortbildung, etwa Erstattung von Tagungsgebühren, Reisekosten und Bewirtungen. Aus datenschutzrechtlichen Gründen müssen Ärzte einer individualisierten Veröffentlichung zu stimmen. Fehlt diese Zustimmung, werden die Zahlungen aggregiert publiziert.

Aggregierte Veröffentlichung: Sie ist vorgesehen für Honorare, die Unternehmen den Ärzte im Bereich der Forschung und Entwicklung zahlen. Das betrifft klinische Studien (etwa als Grundlage der Arzneimittelzulassung), aber auch Anwendungsbeobachtungen bereits zugelassener Arzneimittel. Bei Zulassungsstudien, an denen ganze Ärzteteams arbeiten, fließen Mittel nicht selten der Institution zu, an der die Ärzte arbeiten.

Transparenzverpflichtung der Ärzte: Dies existiert in Deutschland - anders als in den USA - nicht. Der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Frank Ulrich Montgomery, hat sich mehrfach für einen "Psysician‘s Sunshine Act" nach dem US-Vorbild ausgesprochen. Dies würde dazu führen, dass Ärzte verpflichtet wären, Honorare von Industrie oder anderen von sich aus offenzulegen.

Pharma-Außendienst: 15.000 Pharmavertreter, so behauptet dpa unter Berufung auf nicht näher bezeichnete Experten, würden jährlich 20 Millionen Arztbesuche machen, um Produkte ihrer Firma "anzupreisen". Die Zahl ist etwa 15 Jahre alt.

Aufgrund der Rabattverträge haben viele Hersteller ihre Außendienste nahezu komplett abgebaut oder zumindest stark reduziert, auch forschende Unternehmen. Zugenommen hat hingegen die Bedeutung gesundheitspolitischer Außendienste für Kontakte zu Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen. (HL)

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