Bereitschaftsdienst in Baden-Württemberg

"Männerschnupfen" als Notfall?

Der Bereitschaftsdienst ist reformiert, doch viele Patienten laufen in Baden-Württemberg immer noch in die Notaufnahmen. Für die bessere Steuerung der Patienten gibt es allerdings kein Patentrezept.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Männerschnupfen - ein Fall für die Notaufnahme? In Baden-Württemberg sollen Notfallpraxen die Kliniken entlasten.

Männerschnupfen - ein Fall für die Notaufnahme? In Baden-Württemberg sollen Notfallpraxen die Kliniken entlasten.

© 4FR / iStock

STUTTGART. Die Reform des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Baden-Württemberg ist geglückt. Doch für das, was jetzt in Baden-Württemberg ansteht, gibt es kein Rezept &#0150  die bessere Steuerung der Patienten.

In anderen Regionen sind KV-Vorstände mit dieser Aufgabe teils gegen die Wand gefahren &#0150 im Südwesten hat es geklappt. Zuerst war der Ärger groß, sagt KV-Vorstandsvize Dr. Johannes Fechner. "Jetzt erhalte ich nur noch Dankesmails", berichtet er.

Ehemals 380 teils winzige Notdienstbezirke gab es bis zur Reform. Jetzt sind daraus landesweit 120 Notfallpraxen geworden, die fast immer an Krankenhäusern angesiedelt sind.

Eine "Triple-win"-Situation

Vdek-Gutachten: Sind 1600 Portalpraxen die Lösung?

Die Zahl der "Irrläufer" geht bundesweit in die Millionen: Das Aqua-Institut in Göttingen hat für den Ersatzkassenverband vdek die Fehlsteuerung bei Notaufnahmen untersucht: 10,7 der 25 Millionen Patienten, die bundesweit im Jahr 2013 die Notaufnahme aufgesucht haben, hätten auch im ärztlichen Notdienst behandelt werden können.

Vieles von dem, was die Gutachter vorschlagen, ist in Baden-Württemberg längst umgesetzt: Die Notfallpraxen sind im Südwesten bereits ganz überwiegend an Krankenhäuser angedockt - mit wenigen Ausnahmen in Nordbaden. Auch integrierte Rettungsleitstellen sind bereits etabliert worden.

Der vdek-Bundesverband fordert, Portalpraxen flächendeckend auszurollen – an rund 1600 Krankenhäusern. Der Sicherstellungsauftrag der KV müsse sich auch auf die Portalpraxen erstrecken, fordert vdek-Chefin Ulrike Elsner.

Die KVBW hingegen setzt auf einzelne Modelle und verweist auf ungeklärte Finanzierungsfragen: Bei einer Klinik mit beispielsweise 150 Notfallpatienten am Tag bleiben – wenn man die krankenhauspflichtigen Patienten abzieht – 25 bis 50 Patienten pro Tag, rechnet KV-Vize Dr. Johannes Fechner vor. Davon könne man keine Portalpraxis betreiben. Daher müsse die KV übelegen, wie sie dem Vertragsarzt dort Umsatzgarantien finanzieren könne. (fst)

Fechner selbst sieht die KV bei einer "Zielerfüllung von 97 Prozent". Nur in Nordbaden müssten an wenigen Orten die Notfallpraxen noch an Kliniken verlegt werden. Viele Krankenhausmanager seien dankbar gewesen, dass ihnen Patienten abgenommen wurden, die ihnen wirtschaftlich keine Vorteile bescheren.

Am Ende habe eine "Triple-win"-Situation gestanden, resümiert Fechner: "Für die Versicherten, die KV-Mitglieder und die Krankenhäuser."

Das ist für Walter Scheller, Leiter der Landesvertretung des Ersatzkassenverbands vdek, die entscheidende Botschaft. Die Qualität der Versorgung sollte durch die Reform besser werden. "Und sie ist besser geworden", sagt er.

Erfolgsrezept sei eine große Offenheit im Reformprozess gewesen, die frühe Einbindung von Landtagspolitikern, Kommunalvertretern, Krankenhäusern &#0150 und dass KV und Kassen an einem Strang gezogen haben.

Radikalität und Transparenz nötig

Aus der Sicht von KV-Vize Fechner war die Verbindung "einer gewissen Radikalität mit großer Transparenz" das Erfolgsrezept. "Früher war die Organisation der Notdienste allein in der Hand der Ärzteschaften vor Ort &#0150  bis wir mit unseren Reformplänen angekommen sind".

Das habe nicht überall Begeisterung ausgelöst. Auch seine eigene Vertreterversammlung hätte er ohne die zwölf Millionen Euro, die die Kassen jährlich für den Notdienst zur Verfügung stellen, "nicht von der Reform überzeugen können", gibt Fechner zu.

Die Notdienstreform habe man in der KV noch nach einer klaren To-do-Liste abarbeiten können, sagt der KV-Vize. Nun aber "müssen wir an die Patientensteuerung ran", fordert vdek-Leiter Scheller. Und dafür habe man "kein bewährtes Rezept", ergänzt Fechner. Nötig sei daher jetzt ein "Trial and Error-Vorgehen".

Männerschnupfen? Raus aus der Notaufnahme!

Der "Männerschnupfen" müsse raus aus den Notaufnahmen der Kliniken, fordert Scheller. "Wenn es nach mir ginge, wäre ich für einen Zugang für Versicherte in die Notaufnahme nur noch über die Portalpraxis. Anders geht es nicht", so der vdek-Leiter.

Die KV Baden-Württemberg indes plant nach Angaben Fechners landesweit zwei oder drei Portalpraxen in Südbaden, in denen neue Modelle der Patientensteuerung erprobt werden sollen. Die Gespräche seien "schon weit fortgeschritten". Auch andernorts will die KV neue Wege gehen:

In Stuttgart möchte Fechner gerne einen Allgemeinarzt unmittelbar in eine Notfallaufnahme tagsüber integrieren. "Der Kollege könnte beim Krankenhaus angestellt werden, um am Freitag das Entlassmanagement der Patienten zu übernehmen."

Beim augenärztlichen Notfalldienst in Stuttgart erwägt die KV, "um den Facharzt herum vertragsärztliche tätige Kollegen zu gruppieren, die ihm taggleich die Patienten aus der Notfallpraxis abnehmen und dafür Termine freihalten". Wie und aus welcher Quelle das honoriert werden soll, ist noch unklar.

Gebühr für "One-stop-Shopping"

So einig sich KV- und Kassenverbands-Vertreter in vielen Punkten sind: Bei der Frage nach einer "Eintrittsgebühr" für die Notfallpraxis gehen die Meinungen auseinander. Gerade jüngere Patienten gingen ins Krankenhaus in der Erwartung, "in einem Aufschlag multidisziplinär versorgt zu werden", sagt Fechner.

Gegen diesen Trend zum "One-stop-Shopping" sei eine Gebühr der richtige Weg. Vdek-Leiter Scheller widerspricht: Diese Abkehr vom Sachleistungsprinzip würde gesetzliche Änderungen nötig machen.

"Zudem wäre ein Streit über die Umverteilung der so eingenommenen Gelder programmiert", warnt er. Krankenkassen seien in der Pflicht, ihren Versicherten stärker zu vermitteln, dass die Notaufnahme nur bei dringenden Behandlungsanlässen abseits der Sprechstundenzeiten angezeigt ist, fordert Scheller.

Notfallambulanz - "Staubsauger für die stationäre Patienten-Akquise"?

Reformbedarf sehen beide, KV- und vdek, im stationären Sektor. Bisher säßen viele Landräte "wie Glucken über ihren Krankenhäusern", moniert Scheller. Es gebe zu viele Betten und vor allem zu viele kleine Kliniken im Südwesten. Diese könnten oft kaum grundlegende Leistungen abdecken und versuchten stattdessen "alternative Geldquellen aufzutun".

Eine Notfallambulanz sei immer auch ein "Staubsauger für die stationäre Patienten-Akquise", sagt Scheller.

Aus Sicht von Fechner geht die jüngste Krankenhausreform in die komplett falsche Richtung. Kliniken hätten dank des "großzügigen Gesetzgebers" mehr Geld erhalten. Dieses komme aber nicht von den Kassen, sondern von den KV-Mitgliedern, kritisiert Fechner.

Bei den Verhandlungen über die neuen Notfallziffern im EBM säßen Klinikvertreter im Bewertungsausschuss mit am Verhandlungstisch &#0150 "eine Oberfrechheit".

Selbst wenn KV und Kassen an einem Strang ziehen: Neue Modelle der Patientensteuerung werden auch in Baden-Württemberg kaum ohne Konflikte zu haben sein.

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