Cannabis in der GKV

Nutzen oder Risiko?

Von "erheblichem Nutzen" bis "keine erkennbare Notwendigkeit" - die geplante Verordnungsmöglichkeit cannabishaltiger Medikamente wird bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss kontrovers beurteilt.

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Cannabisarzneimittel sollen laut Entwurf von der Zulassung freigestellte Rezepturarzneimittel sein.

Cannabisarzneimittel sollen laut Entwurf von der Zulassung freigestellte Rezepturarzneimittel sein.

© William Casey / fotolia.com

BERLIN. Ärzte, Psychologen, Juristen und Verbände beurteilen die geplante Verordnungsmöglichkeit cannabishaltiger Medikamente kontrovers. Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Verordnungsfähigkeit von Cannabisblüten zu Lasten der GKV ermöglichen würde. Bisher müssen Patienten nach einem positiv beschiedenen Antrag bei der Bundesopiumstelle die Kosten für den Medizinalhanf selbst tragen.

Unmittelbar in der Versorgung tätige Sachverständige beurteilten den Gesetzentwurf am Mittwoch bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss überwiegend positiv. Für den Bundesverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin (BVSD) begrüßte Verbandsvorstand Professor Joachim Nadstawek "uneingeschränkt" den Entwurf.

"Erheblicher Nutzen" vs. "keine erkennbare Notwendigkeit"

Der zu erwartende Mehrwert für die Patienten sei "erheblich". Es gebe viele Patienten mit chronischen Schmerzen, die auf Opioide überhaupt nicht ansprächen, so Nadstawek. Er plädierte dafür, die Verschreibung aber in die Hände "erfahrener Schmerztherapeuten zu legen".

Professor Kirsten Müller-Vahl von der Medizinischen Hochschule Hannover betonte, die klinischen Erfahrungen mit cannabis-haltigen Medikamenten seien so eindeutig positiv, dass nicht mehr behauptet werden könne, diese Medikamente seien unwirksam. Sie habe in ihrer klinischen Praxis keinen Fall erlebt, in dem ein Patient von cannabis-basierten Medikamenten abhängig geworden sei.

Völlig anders ist die Position der Deutschen Schmerzgesellschaft. Es gebe "keine erkennbare Notwendigkeit", Medizinalhanf verschreibungsfähig zu Lasten der GKV zu machen. Denn es gebe keine Hinweise, dass Cannabispräparate "wirksamer oder nebenwirkungsärmer" sind "als die definierten chemischen Substanzen".

Cannabisarzneimittel als freigestellte Rezepturarzneimittel?

Dagegen geht der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe der Entwurf nicht weit genug. Moniert wird, die für eine Verordnung in Frage kommenden Patienten müssten "austherapiert" sein. Dieser "Flaschenhals" sei zu eng, da vorausgesetzt wird, dass die Patienten zuvor alle vorhandenen schulmedizinischen Behandlungsverfahren durchlaufen haben müssen. Der GKV-Spitzenverband hingegen verweist auf die Sicherheitsrisiken für Patienten, die mit der geplanten Ausnahmeregelung einhergehen können.

Cannabisarzneimittel sollen laut Entwurf von der Zulassung freigestellte Rezepturarzneimittel sein, für die es weder Fachinformationen noch Packungsbeilagen geben werde.

Auch Bundesärztekammer und die Arzneimittelkommission der Ärzteschaft lehnen die Verordnungfähigkeit von Medizinalhanf aufgrund der bisher fehlenden Evidenz ab. Skeptisch werden von der BÄK wie auch von der KBV die Perspektiven für die geplante "Begleiterhebung" gesehen.

Bundestag berät am 10. November

Anonymisierte Daten von Patienten, denen Medizinalhanf verschrieben wird, sollen laut Entwurf an das BfArM übermittelt werden.

Die von solch einer Beobachtungsstudie zu erwartenden Erkenntnisse werden nur einen geringen Evidenzgrad haben, vermutet die KBV. Besser wäre es, alle Anwendungen von Cannabis in einem Register zu erfassen.

Der Bundestag will am 10. November das Gesetz abschließend beraten. (fst)

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