Psychogeriater: "Ich bräuchte diese AMG-Novelle nicht!"

Die vierte AMG-Novelle will die Forschung mit schwer Demenzkranken erleichtern. Professor Johannes Pantel aus Frankfurt / Main hält dies jedoch für problematisch. Die Betroffenen könnten in Situationen gelangen, die sie bei klarem Verstand nicht gewollt hätten.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Bei Kindern ist die gruppennützige Forschung seit 2004 bereits möglich, was spricht dagegen, sie unter strengen Kriterien auch bei Demenzkranken zu ermöglichen?

Professor Johannes Pantel: Die geplante AMG-Novelle bedeutet eine Aufweichung der bisherigen Schutzrechte. Hier muss man zunächst fragen, wozu ist eine solche Forschung nötig und mit welchem überragenden Nutzen für das Gemeinwohl lässt sich die Aufweichung rechtfertigen? Ich kann mir nicht wirklich eine klinische Studie vorstellen, die zu wesentlichen Fortschritten führt und ausschließlich mit einer solchen Gesetzesänderung möglich wäre.

Ein Beispiel wären Studien mit PET-Tracern gegen Tau- und Amyloidablagerungen im Gehirn. Sie geben Aufschluss über den Krankheitsverlauf. Die Patienten in den Studien hätten davon selbst zwar keinen Nutzen, künftige Demenzkranke von den gewonnenen Erkenntnissen vielleicht schon.

An solche Studien können schwer Demenzkranke, die nicht mehr einwilligungsfähig sind, tatsächlich nicht teilnehmen. Aber wäre dies denn unbedingt nötig? Würde es nicht genügen, nur Patienten mit leichter oder moderater Demenz aufzunehmen, die noch einwilligungsfähig sind? Dann bräuchten wir keine Gesetzesänderung und könnten die nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten weiterhin gut schützen. Auch in der Arzneimittelforschung mit Anti-Amyloid-Ansätzen stehen nicht die schwer Erkrankten im Mittelpunkt. Niemand glaubt, dass in einem bereits schwer geschädigten Gehirn durch die Entfernung von Amyloid noch Regenerationsprozesse in Gang kommen. Die Musik spielt hier bei Patienten mit leichter Demenz oder solchen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen. Und diese Forschung ist mit den geltenden Vorschriften problemlos möglich.

Ist deswegen die pharmazeutische Industrie auch nicht an der Gesetzesänderung interessiert?

Die macht fast nur noch Studien an Patienten in leichten Stadien oder mit Prädemenz.

Als Argument für die Änderungen werden auch Pharmakokinetik-Studien angeführt. Vielleicht verstoffwechseln Demenzkranke bestimmte Medikamente anders.

Hier stellt sich die gleiche Frage: Was sollte beim Stoffwechsel von schwer Demenzkranken qualitativ anders sein, als bei dem von leicht Betroffenen, die noch einwilligungsfähig sind, und welche wesentlichen Erkenntnisse sollte man aus solchen Studien ziehen? Ich kann mir solche Unterschiede nur schwer vorstellen. In der Pharmakokinetik kommt es weniger auf die Hirnpathologie an, sondern vielmehr auf die Funktion von Nieren und Leber, und die hängt nicht von der Schwere der Demenz ab.

Möglicherweise braucht aber die Grundlagenforschung Patienten mit schwerer Demenz.

Dominieren im Gehirn von schwer Demenzkranken etwa qualitativ andere Krankheitsprozesse als im Gehirn von leicht Erkrankten? Das ist doch eher unwahrscheinlich.

Sie sehen letztlich also keinen Bedarf für eine Gesetzesänderung?

Man muss solche Dinge nicht unbedingt an nicht einwilligungsfähigen Personen untersuchen. Doch selbst wenn jemand eine Frage aufwirft, die sich nur in einer Studie mit schwer Demenzkranken beantworten lässt, müssen wir abwägen: Ist der daraus resultierende Gruppennutzen wirklich so erheblich, dass dafür das individuelle Schutzrecht aufgeweicht werden darf? Bei der Relativierung des Schutzrechts geht es schließlich um etwas Grundsätzliches. Das sollte man nicht ohne Dringlichkeit machen. Unsere Gesetzgebung hat hier durchaus Vorbildcharakter. Das strenge Verfahren in Deutschland sehe ich eher als Fortschritt.

Was wäre aber daran verwerflich, wenn jemand im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte in einer Verfügung festlegt, dass er sich im Falle einer schweren Demenz an Studien zum Nutzen künftiger Generationen beteiligen möchte? Wenn er also aus altruistischen Motiven auf eben dieses Schutzrecht verzichtet?

Das ist sicher ein ehrenhaftes Motiv. Doch welches Bild haben die Menschen dabei im Kopf? Die meisten denken sicher an therapeutische Forschung, um das Leiden zu verhindern, zu heilen oder rechtzeitig zu diagnostizieren. Da sind wir wieder bei den Studien, die man nicht im schweren Stadium beginnt. Zudem habe ich meine Zweifel, ob eine solche vorverlagerte Zustimmung praktikabel ist.

Weshalb?

Wir müssten die künftigen Studienteilnehmer im Vorfeld über Untersuchungen aufklären, die noch gar nicht geplant sind. Wir könnten dann nur allgemein auf Risiken hinweisen. Wenn die Studie jedoch stattfindet, sind die relevanten und konkreten Details für die Teilnehmer nicht mehr nachvollziehbar. Damit besteht die Gefahr, dass Dinge getan werden, die der Betreffende so nicht gewollt hat. Überhaupt: Wie viele würden wohl eine Verfügung unterschreiben, bei der sie nicht genau wissen, was auf sie zukommt? Für eine vernünftige Studie brauchen Sie eine große Zahl von Teilnehmern. Schon nach geltendem Recht ist es schwer, für Demenzstudien Probanden zu gewinnen, weil die Angehörigen diese völlig zu Recht schützen wollen. Die fragen hundertmal nach, was da genau gemacht wird. Ich kann mir daher nicht vorstellen, dass eine größere Zahl von Personen vorab einen solchen Blankoscheck unterzeichnet.

Trotzdem machen sich gerade akademische Verbände wie der Medizinische Fakultätentag und der Verband der Universitätsklinika Deutschlands für die Novelle stark. Dabei wird auch auf die Gefahr hingewiesen, die Forschung in Deutschland könnte ohne die Änderung leiden.

Weshalb das der Fall sein soll, ist bislang nicht überzeugend dargelegt worden. Ich jedenfalls bräuchte diese Novelle nicht. Auch von anderen in Bereich Demenz forschenden Kollegen habe ich noch nie gehört, wir könnten bestimmte Studien nicht machen, weil die Gesetzeslage bei uns so streng ist. Auch auf Kongressen hat mir noch keiner gesagt, in Deutschland könnten wir nicht so zum Wohle von Demenzkranken forschen, wie wir das gerne tun würden.

Gäbe es denn Alternativen zur Gesetzesänderung, um auch Patienten mit fortgeschrittener Demenz eine Teilnahme an gruppennützigen Studien zu ermöglichen?

Demenzkranke sind mit einer Aufklärung, wie sie üblicherweise für Studien erfolgt, natürlich schnell überfordert und gelten dann als nicht einwilligungsfähig. Da wird in einer komplizierten Sprache geredet, die Teilnehmer werden mit Informationen überschüttet und müssen viel Kleingedrucktes lesen. Das fällt auch schon Patienten ohne Demenz schwer. Durch bestimmte Maßnahmen lässt sich jedoch auch bei Demenzkranken noch eine informierte Einwilligung erzielen. Unsere Arbeitsgruppe ist an einem europäischen Forschungsprojekt beteiligt, bei dem es um die Entwicklung und Bewertung von solchen Methoden geht. Wir sprechen hier von "enhanced consent procedures". Sie zielen nicht nur auf die Einwilligung in Forschungsprojekte, sondern auch in allgemeinmedizinische Maßnahmen. Die Verfahren schöpfen die noch vorhandenen Ressourcen optimal aus. Damit ermöglichen sie es auch Demenzkranken, selbstbestimmt einzuwilligen. Das geht bei sehr schwerer Demenz natürlich nicht mehr, davor aber schon. Wenn wir mehr Demenzpatienten eine Teilnahme an Forschungsprojekten ermöglichen wollen, wäre dies eine noch wenig erschlossene Option. Sie wäre weitaus besser als eine vorab ausgestellte Verfügung.

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