Alterndes Deutschland

Hausärzte in der Schlüsselrolle

Ein rasant steigender Anteil an Hochbetagten – bei gleichzeitig bereits heute ausgereizten Kapazitäten: In seinem aktuellen Buch skizziert Fachjournalist Raimund Schmid enorme Herausforderungen für die Pflege. Doch er zeigt auch Lösungswege auf.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Um die Gesundheit vieler Hochbetagter ist es nicht gut bestellt.

Um die Gesundheit vieler Hochbetagter ist es nicht gut bestellt.

© kikovic / Fotolia

Er ist Hausarzt in Nittendorf, einer 9300 Einwohner zählenden Gemeinde im Landkreis Regensburg in Bayern, wo vor allem alte Menschen leben, viele von ihnen pflege- oder betreuungsbedürftig: Dr. Frederik Mader ist einer von fünf Allgemeinärzten, die in der Region tätig sind. Für seine Patienten ist er Internist und Schmerztherapeut, bei Hausbesuchen oft auch Seelsorger. Viele seiner hochbetagten Patienten blühen unter der "Droge Arzt", die er ihnen verabreicht, regelrecht auf. "Immer wenn Sie gehen, geht es mir wieder besser", gibt ihm ein 88-jähriger Witwer mit auf den Weg.

"Auch wenn Hausärzte bei ihren Hausbesuchen nicht alles richten und nicht alles klären können und vielfach eher als Sozialarbeiter unterwegs sind, sind sie doch gerade für sehr alte und multimorbid kranke Menschen ein wahrer Segen", schreibt der Aschaffenburger Fachjournalist Raimund Schmid in seinem Buch "Wehe, du bist alt und wirst krank". "

Buchtipp

Raimund Schmid: Wehe, du bist alt und wirstkrank. Beltz, Weinheim 2017. 264 Seiten. 19,95 Euro. ISBN 978-3-407-86436-9.

Denn allein der Hausarzt kann entscheiden, ob ein alter Mensch aus medizinischen Gründen nicht mehr zu Hause bleiben kann, und allein er kann Verordnungen ausstellen oder Unterstützungsleistungen veranlassen, die ein Verbleiben im eigenen Heim ermöglichen." In unserer alternden Gesellschaft, so Schmids Fazit, müsse die Position der Hausärzte dringend gestärkt werden. Mit einer hausarztzentrierten Versorgung könne nicht zuletzt Geld gespart werden, wie Erhebungen aus Baden-Württemberg belegten. Daher schlägt Schmid einen vergünstigten Hausarzttarif für Versicherte vor, die grundsätzlich erst ihren Hausarzt aufsuchen und so dazu beitragen, die Zahl der unkoordinierten Facharztbesuche zu verringern.

Es ist eines von "20 Rezepten für die Politik bis 2020", die der Journalist und Diplom-Volkswirt, der lange als Redakteur im Ressort Gesundheitspolitik der "Ärzte Zeitung" tätig war, am Ende seines Buches auflistet.

2020 – dieses Datum ist nicht zufällig gewählt. Im Herbst wird bekanntlich ein neuer Bundestag gewählt, und die Weichen für eine altersgerechte Versorgung in einer sich demografisch radikal verändernden Gesellschaft müssen in der nächsten Legislaturperiode bis 2020 gestellt werden, sonst ist es womöglich zu spät. Schmids Diagnose ist schonungslos:

  • Alten Menschen werden zwar viele Medikamente verordnet, aber kaum einer hält nach, ob die Patienten ihre Arzneien auch in der empfohlenen Weise einnehmen.
  • Die Pflege erfolgt in der Regel im Eiltempo und orientiert sich an Zeitvorgaben und finanziellen Zwängen.
  • Mangels Fürsorge daheim kommt es oft zu vermeidbaren Krankenhausaufenthalten.
  • In den meisten Kliniken wiederum sind die Notfallaufnahmen so überfüllt, dass auf die speziellen Bedürfnisse alter Patienten nicht eingegangen werden kann, zudem sind die geriatrischen Abteilungen meist viel zu klein, und viele alte Patienten werden allzu schnell entlassen.

Die Herausforderungen, die Schmid skizziert, sind gewaltig: 2000 waren 3,1 Millionen Bundesbürger über 80 Jahre alt (vier Prozent der Gesamtbevölkerung), 2020 werden es doppelt so viele sein. Bis 2060 sind neun bis elf Millionen Bürger über 100. Um die Gesundheit der Hochbetagten ist es nicht gut bestellt: Von den durchschnittlich noch 20 verbleibenden Lebensjahren ab 65 können Deutsche sich auf 6,5 gesunde einstellen (Schweden: 13,5; Norwegen: 15). Die Pflegekapazitäten sind schon heute vielerorts ausgereizt, doch nach Prognosen kommen pro Jahr etwa 45.000 Pflegebedürftige hinzu.

Schmid legt den Finger in die Wunden, mixt jedoch auch die Salbe, die die Symptome zumindest lindern. Bei seinen Recherchen landauf, landab hat er viele Initiativen, Modelle und vor allem Menschen kennengelernt, die Wege aus dem Dilemma aufzeigen. Dr. Frederik Mader ist einer von ihnen. Auch Beatrice Fölsing, Gemeindekrankenschwester aus Eberstadt, gehört dazu. Oder die Versorgungsassistentinnen in der Arztpraxis, die nicht nur Ärzte entlasten, sondern auch für alte und kranke Patienten menschlich eine große Bereicherung sind. "Nur müssen diese ganzen Modelle jetzt auch rasch und bundesweit etabliert werden", fordert Schmid. Denn die Zukunft ist nicht morgen, sie hat längst begonnen.

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