Landtagswahl im Saarland

Hohe Morbidität, geringe Bedeutung im Wahlkampf

Am Sonntag wählen die Bürger im Saarland ihren neuen Landtag. Die Gesundheitspolitik spielt im Wahlkampf eine Nebenrolle – obwohl der Krankenstand ungewöhnlich hoch ist.

Von Michael Kuderna Veröffentlicht:

SAARBRÜCKEN. Die Dramaturgie im Superwahljahr 2017 könnte kaum spannender sein. Das kleine Saarland (Werbe-Slogan: "Großes entsteht immer im Kleinen") macht am 26. März den Auftakt, im Mai folgen Schleswig-Holstein und das bevölkerungsstarke Nordrhein-Westfalen. Den Abschluss bildet dann die Bundestagswahl im September.

Bis zur Ausrufung von Martin Schulz zum neuen SPD-Hoffnungsträger schien im eher beschaulichen Saarland alles klar: Umfragen fanden nicht die geringste Wechselstimmung, die große Koalition unter der populären CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer schien zum Weiterregieren geradezu verdammt. Doch nun könnte es doch noch einmal spannend werden. Vize-Regierungschefin Anke Rehlinger (SPD) freut sich über den Rückenwind aus Berlin und hält sich auch eine rot-rote oder rot-rot-grüne Koalition offen.

Nachdem sich die Länder gerade noch rechtzeitig mit dem Bund über eine Neuordnung der Finanzbeziehungen geeinigt hatten, schien Anfang des Jahres das wichtigste Thema für die saarländische Politik abgeräumt und die Eigenständigkeit mittelfristig gesichert.

Allerdings ist man sich in dem hoch verschuldeten Bundesland klar, dass wegen der Schuldenbremse noch zwei bis drei harte Sparjahre bevorstehen, bevor die vereinbarten zusätzlichen Finanzhilfen für Entlastung sorgen und sich wieder mehr Gestaltungsspielräume öffnen.

So fehlen im Wahlkampf die großen Themen, zumal auch die Flüchtlingspolitik nicht polarisierte. Früh spezialisierte man sich auf syrische Flüchtlinge. Der als "Macher" über Parteigrenzen hinweg geachtete Innenminister Klaus Bouillon (CDU) sorgte für eine sehr schnelle Verteilung aus dem Erstaufnahmelager Lebach auf die Kommunen. Selbst die AfD tut sich schwer, landespolitische Angriffspunkte zu finden.

Krank und teuer

Auch die Gesundheitspolitik spielt kaum eine Rolle – und das, obwohl die Saarländer nach allen Statistiken überdurchschnittlich krank sind, entsprechende Kosten verursachen und von mehr Ärzten und Kliniken versorgt werden als anderswo. Dennoch wird auch im neuen Parlament kein Abgeordneter aus einem Gesundheitsberuf sitzen.

Immerhin haben es ein paar Themen doch noch auf die Agenda geschafft, vor allem die Pflege, die Krankenhauslandschaft und die ambulante Medizin in ländlichen Gebieten. Die größte Mobilisierungskraft entfaltet dabei die Diskussion um die personelle Ausstattung und die Arbeitsbedingungen in der Pflege, zumal die Gewerkschaft Verdi diese Auseinandersetzung bundesweit führt. Gleichzeitig wird dabei aber auch klar, warum solche Themen im Saarland derzeit nur begrenzt zu Streit taugen.

Tauchen Probleme auf, sucht Gesundheits- und Sozialministerin Monika Bachmann (CDU) mit großer Empathie nach Lösungen. Gemeinsam mit ihrem Staatssekretär Stephan Kolling (44), der als früherer enger Mitarbeiter des damaligen Gesundheitsministers und heutigen GBA-Vorsitzenden Josef Hecken Umtriebigkeit gewohnt ist, entfaltet die 67-jährige CDU-Politikerin dann oft eine nur noch schwer zu überblickende Fülle von Initiativen. Beispiele sind der Pflegepakt, Image-Kampagnen, ein Eckpunktepapier zur Pflegeassistentenausbildung, eine Verordnung für den Bereich der Praxisanleitung und eine Erklärung zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf sowie zur Förderung der Gesundheit von Beschäftigten in Gesundheits- und Pflegefachberufen. Es werden sogleich Programme aufgelegt, Bundesratsinitiativen eingeleitet und Personalvorgaben im Rahmen des nächsten Krankenhausplans angekündigt – und fast alle denkbaren Partner umarmt.

Diese Strategie macht inzwischen auch den Gewerkschaften Kopfzerbrechen. So lobte Verdi zwar Bachmanns Versprechen, mit Hilfe des neuen Krankenhausplans eine verpflichtende Mindestausstattung mit Pflegekräften und Ärzten durchzusetzen, berichtete aber auch offen vom Misstrauen an der Basis, sich vor der Landtagswahl zu stark vereinnahmen und zähmen zu lassen.

Landärzte-Programm läuft an

Auch das gerade erst in Kraft gesetzte und gemeinsam mit KV und Hausärzteverband vorgestellte Landärzte-Programm (die "Ärzte Zeitung" berichtete) stieß allerseits auf Zustimmung. Nur die FDP, die nach fünfjähriger Pause wieder in den Landtag strebt, schüttete Wasser in den Wein. Sie sieht in einer einmaligen Unterstützung von Hausarzt-Niederlassungen im ländlichen Raum einen Fehlanreiz. Stipendien für Medizinstudierende im Gegenzug zu einer fünfjährigen Verpflichtung zur späteren Arbeit als Landarzt seien "ebenso unsinnig wie teuer."

Beim Blick in die Wahlprogramme zeigt sich, dass die CDU auf jahrelange Ressort-Erfahrung zurückgreifen kann. Neben Hinweisen auf Erfolge finden sich Punkte wie mehr Kooperation und Spezialisierung im stationären Bereich, das angestrebte Modellprojekt für Blanko-Verordnungen in Physio-, Ergo- und Logopädie, ein Fernstudium Pflege, digitale Lösungen zur Entlastung von Dokumentationspflichten und ein Ausbau der Gesundheitsforschung.

Der Koalitionspartner SPD will mit "guter Arbeit in Gesundheitsfachberufen" punkten, Pflegestützpunkte ausbauen, die Telemedizin fördern und das System der Versorgungsassistenten ausweiten. Die Linke, größte Oppositionspartei an der Saar, widmet sich nur wenig länderspezifischer Gesundheitspolitik, hat aber ein Alleinstellungsmerkmal: Nur sie greift eine ältere Gewerkschaftsforderung auf, den Zusammenschluss aller saarländischen Krankenhäuser zu einem Verbundklinikum mit mehreren Standorten zu prüfen.

FDP will mehr Medizinstudienplätze

Detaillierter als andere Parteien legen die Grünen ihre Vorstellungen dar. Dazu gehören MVZ als "Herzstück der Versorgung vor Ort", integrierte Versorgungssysteme mit Krankenhäusern als Zentren, ein stärkerer Kampf gegen die Ausbreitung resistenter Keime und eine größtmögliche Öffnung von psychiatrischen Stationen. Vielfältig sind auch die FDP-Positionen, etwa sektorenübergreifende geriatrische Versorgung für alle alten Patienten in Akutkrankenhäusern, Telekooperation aller Gesundheitsdienstleister, mehr Medizinstudienplätze, eine Neuausrichtung der Uniklinik und eine stärkere Vermarktung des Gesundheitsstandortes Saarland.

Zwei Parteien fallen völlig aus dem Rahmen. Die Piraten, die vor ihrem Abschied aus dem Landtag stehen, bieten im Programm ein wildes Sammelsurium aus Forderungen wie gleichberechtigte Zulassung von Homosexuellen und Sexarbeitern zur Blutspende, das Verbot einer Beschneidung von Kindern ohne medizinischen Grund und der Anerkennung des Berufs der Operationstechnischen Assistenz (OTA) zumindest auf Landesebene. Bleibt die AfD: In ihrem 40-seitigen Wahlprogramm findet sich kein Kapitel zur Gesundheitspolitik.

Wie wird es also mit diesem Sektor nach der Wahl weitergehen? Manche glauben: wie bisher. Ein Regierungswechsel ist aber ebenso gut möglich, falls der gegenwärtige Höhenflug der SPD anhält. Die Linken mit ihrem Fraktionschef Oskar Lafontaine stünden als Partner bereit.

Eine der spannendsten Fragen des Wahlabends wird es aber sein, ob die möglicherweise als dritter Partner gebrauchten Grünen überhaupt den Wiedereinzug in den Landtag schaffen – das letzte Mal kamen sie genau auf fünf Prozent – und ob die FDP nach fünfjähriger außerparlamentarischer Zeit wieder zurückkehrt. Die AfD dürfte nach allen Umfragen an der Saar nicht so stark werden wie in anderen Bundesländern. Und als Koalitionspartner ist sie sowieso für alle Mitbewerber tabu.

Landtagswahl im Saarland

- Termin: 26. März 2017

- Wahlberechtigt: rund 800.000 Menschen

- Legislaturperiode: Fünf Jahre

- Landtag: 51 Abgeordnete

- Bewerber: 370 Kandidaten auf 16 Listen

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