Beispiel Diabetes

DMP liefern Grundlage für gute Versorgungsforschung

Warum etwas Neues erfinden, das es schon gibt? In Disease-Management-Programmen sind Daten erhoben worden, die sinnvoll zusammengeführt werden müssten, um Versorgungsstrategien zu entwickeln - das wäre ein Beitrag zur Versorgungsforschung.

Wolfgang van den BerghVon Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:
"Wir brauchen eine Diabetes-Gesamtstrategie, um die Versorgungsqualität zu verbessern", Professor Monika Kellerer (2.v.r.) im Gespräch mit Birgit Fischer (l.), Dr. Rolf-Ulrich Schlenker (2.v.l.) und Dr. Thomas Ulmer.

"Wir brauchen eine Diabetes-Gesamtstrategie, um die Versorgungsqualität zu verbessern", Professor Monika Kellerer (2.v.r.) im Gespräch mit Birgit Fischer (l.), Dr. Rolf-Ulrich Schlenker (2.v.l.) und Dr. Thomas Ulmer.

© Barmer GEK

STUTTGART. Der von SPD und Union geplante Innovationsfonds wird der Versorgungsforschung einen neuen Schub verleihen.

Auch wenn mit 75 Millionen Euro nur ein Teil der 300 Millionen Euro für die Versorgungsforschung bereitgestellt wird, sollten jetzt Versorgungsziele definiert werden, um auch künftig den jährlichen Mitteleinsatz zu rechtfertigen.

Darüber waren sich Experten beim dritten Forum zur Versorgungsforschung, das die Barmer GEK Baden Württemberg und der Pharmapolitische Arbeitskreis Süd organisiert hatten, schnell einig. Am Beispiel Diabetes wurden mögliche Versorgungsziele dekliniert.

Barmer GEK Vize-Chef Dr. Rolf-Ulrich Schlenker sowie die Diabetologin und Klinikdirektorin Professor Monika Kellerer erinnerten in diesem Zusammenhang an Disease-Management-Programme, die zum Diabetes 2002 ins Leben gerufen worden waren.

Die über Jahre gesammelten Daten könnten eine ideale Grundlage für den Aufbau eines strukturierten Diabetes-Registers sein, sagte Kellerer.

Der Kassen-Vize räumte ein, dass man lediglich über Grunddaten verfüge, die wissenschaftlich aufbereitet werden müssten. Von den etwa 700.000 Diabetikern, die bei der Barmer GEK versichert sind, werden 400.000 in einem DMP versorgt.

Datenschatz wird nicht genutzt

Bundesweit seien etwa 50 Prozent aller Diabetiker in Programme eingeschrieben, so Monika Kellerer weiter. "Wir haben einen unglaublichen Datenschatz, den wir nicht nutzen." Erkenntnisse über Blutdruck- und HBA1c-Einstellungen wären so wichtig für eine bessere Versorgung von Diabetikern. Sie lieferten darüber hinaus Hinweise, ob Patienten leitlinienkonform behandelt werden.

Schlenker erinnerte an eine Untersuchung, die die Barmer GEK zusammen mit dem Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Uni Köln 2011 aufgelegt hatten. Darin wurden eingeschriebene und nicht eingeschriebene Diabetiker miteinander verglichen.

Schlenker: "Für die DMP-Gruppe wurde nicht nur eine erheblich geringere Sterberate verzeichnet, es traten auch diabetische Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt, Nierenversagen oder Amputationen nach vier Jahren seltener auf." Grund genug für den Kassen-Vize, "größere Anstrengungen" über alle Kassen hinweg zu fordern.

Aktuell analysiert die Barmer GEK, inwiefern es einen Nutzeneffekt gibt, wenn Diabetiker, die von Hausärzten betreut werden, temporär auch von diabetologischen Schwerpunktpraxen mitversorgt werden.

Faire Bedingungen beim Einsatz neuer Diabetes-Präparate gefordert

Auch die pharmazeutische Indus-trie werde ihren Beitrag zur Versorgungsverbesserung von Diabetikern leisten, versicherte Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa).

Sie plädierte für faire Bedingungen beim Einsatz neuer Präparate in der Diabetes-Therapie. Es sei für sie nur schwer nachzuvollziehen, dass es bei der Nutzenbewertung neuer Arzneimittel international immer noch unterschiedliche Standards gebe.

Beispiel: der Einsatz von Gliptinen. Sie habe den Eindruck, dass oft ökonomische Interessen die Chance für eine Verbesserung der Therapie überlagerten.

Damit spielte die vfa-Chefin auf die Rolle des Spitzenverbandes an, dessen strategischer Einfluss etwa auf eine preisgünstige Vergleichstherapie zurückgefahren werden müsse. Wenn das AMNOG ein "lernendes System" sei, müssten den Worten Taten folgen.

Monika Kellerer bestätigte Verordnungsbeschränkungen in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern. Beim Stichwort Nebenwirkungen verwies sie auf ein Beispiel aus Italien, wo etwa 200.000 Diabetes-Patienten mit einer akuten Pankreatitis darauf hin untersucht worden sind, ob diese auf eine Inkretin-Exposition zurückzuführen gewesen sei.

Die Untersuchung habe gezeigt, dass ein erhöhtes Risiko ausgeschlossen werden konnte, so Kellerer.

EU: Versorgung mit Mängeln

Wie gehen andere Länder mit der Diabetes-Epidemie um? Die Tatsache, dass es in mehr als der Hälfte der 28 EU-Mitgliedsländer nationale Diabetes-Strategien gibt, führe nicht zwangsläufig zu einer besseren Versorgung, sagte Dr. Thomas Ulmer, niedergelassener Arzt und Mitglied im Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments.

EU-weit gibt es etwa 56 Millionen Diabetiker - Tendenz steigend. Die Zahl werde bis 2035 auf etwa 70 Millionen klettern, so Ulmer: Hunderttausende werden schlecht versorgt, was auf schlecht organisierte Gesundheitssysteme und zum Teil auch auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen sei.

Hinzu kämen lange Wartezeiten sowie die in jedem Land unterschiedliche Anzahl der zur Verfügung stehenden Medikamente.

Ulmer plädierte für länderübergreifende Strategien etwa bei Themen wie Prävention, Aufklärung, Schulungen, Forschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe sowie beim Zusammenführen epidemiologischer Daten.

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