HINTERGRUND

US-Rentner klagen über immer höhere Arznei-Zuzahlungen

Von Claudia Pieper Veröffentlicht:
Höhere Zuzahlung? Beratung beim US-Apotheker.

Höhere Zuzahlung? Beratung beim US-Apotheker.

© Foto: Photodisc

Robin S. hat Multiple Sklerose. Das Arzneimittel, mit dem sie behandelt wird, ist teuer: Auf 1900 US-Dollar im Monat belaufen sich die Kosten. Da Frau S. über die Health Maintenance Organization (HMO) Kaiser Permanente versichert ist, hat sie bis Dezember 2007 davon nur einen Bruchteil bezahlt - 20 Dollar "Co-Payment".

Als sie jedoch im Januar ihr Medikament in der Apotheke abholen wollte, verlangte der Mann an der Kasse 325 Dollar von ihr. Die schockierte Patientin musste feststellen, dass Kaiser zum Jahreswechsel ein neues Zuzahlungssystem für Arzneimittel eingeführt hatte. Ihr Medikament fiel jetzt in eine neue Kategorie - "Tier 4" genannt - in der Zuzahlungen anteilig zum Preis festgesetzt werden. Ein Viertel bis ein Drittel der Kosten müssen Patienten in dieser Zuzahlungsgruppe typischerweise selbst bezahlen - im Fall von Frau S. bis zu einer Obergrenze von 325 Dollar pro Monat.

Immer mehr ältere Menschen sind betroffen

Laut "New York Times" steht Frau S. mit ihrer Erfahrung nicht allein. Die Zeitung berichtet, dass 86 Prozent der Arzneimittelprogramme für Medicare-Versicherte (überwiegend Senioren) mittlerweile eine "Tier 4"-Kategorie haben. Manche fügen eine fünfte Kategorie hinzu, für die die Zuzahlungsraten noch höher sind.

Der New York Times zufolge wird das anteilige Zuzahlungssystem vermehrt auch von Privatversicherungen eingesetzt, die mit Arbeitgebern Verträge abschließen. Vor fünf Jahren sei die "Tier 4"-Kategorie in diesem Bereich noch fast unbekannt gewesen. Mittlerweile werde sie in rund zehn Prozent der von Arbeitgebern unterstützten Versicherungspolicen eingesetzt.

Für die Versicherungen ist die neue Zuzahlungsmethode ein Mittel, Beiträge stabil zu halten. Karen Ignani, Präsidentin der Versicherungslobby AHIP, sagte der Zeitung, die Versicherungen hätten mit dem erweiterten System auf die Nachfrage von Arbeitgebern reagiert, die sich nicht mit ständig wachsenden Zuzahlungskosten abfinden wollten. Neue, vielversprechende Arzneimittel für chronische Krankheiten wie Multiple Sklerose, Rheumatoide Arthritis und diverse Krebserkrankungen kosten in den USA nicht selten 100 000 Dollar und mehr pro Jahr. Diese Innovationen nützen Patienten, treiben allerdings die Versicherungsbeiträge in die Höhe.

Viele Patienten verschulden sich

Das anteilige Zuzahlungssystem verringert ohne Zweifel den Kostendruck auf die allgemeinen Beiträge, bedeutet aber für die betroffenen Patienten eine hohe finanzielle Belastung. Die wenigsten können vier- bis fünfstellige Mehrkosten pro Jahr einfach so wegstecken. Vielen bleibt nichts anderes übrig, als sich langfristig zu verschulden. Im schlimmsten Fall müssen sie ganz auf das Medikament verzichten - mit möglicherweise verheerenden Folgen für ihre Gesundheit.

Dan Mendelson vom Forschungsunternehmen Avalere Health beklagt, dass das anteilige Zuzahlungssystem das traditionelle Konzept der Krankenversicherung erodiere. Statt die Krankheitskosten auf alle Versicherten zu verteilen, trage der Kranke unter dem neuen System doppelte Lasten - neben der Bürde der Krankheit jetzt noch die der Kosten, sagte Mendelson zur "New York Times". Ignani findet es ungerecht, der Versicherungsindustrie die Schuld in die Schuhe zu schieben. Sie verweist auf hohe Preise der Arzneimittel, die den neuen Zuzahlungsregeln unterliegen. In einem Editorial der Tageszeitung "USA Today" äußerte Ignani die Ansicht, dass sich der Gesetzgeber in die Misere einmischen sollte - etwa durch Gesetze, die die Entwicklung preisgünstiger Generika fördern.

Betroffenen Patienten nützen solche Vorschläge zumindest kurz- und mittelfristig wenig. Ihnen bleibt zunächst nichts anderes übrig, als auf ein Umdenken bei Versicherungen (und Arbeitgebern) zu hoffen.

Die negativen Reaktionen in den Medien könnten hier unter Umständen nachhelfen. Frau S. zumindest bekam vor kurzem ermutigende Nachrichten. Kurz vor Veröffentlichung der Story in der "New York Times" ließ ihre Versicherung sie wissen, dass das neue Zuzahlungssystem vorerst rückgängig gemacht wird. Bis zum Ende des Jahres werde Kaiser die anteilige Zuzahlung noch einmal unter die Lupe nehmen und dann neu entscheiden, sagte eine Sprecherin.

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