HINTERGRUND

Österreichs Ärzte drohen mit Praxisschließungen

Von Sabine Schiner Veröffentlicht:

In Österreich machen die niedergelassenen Ärzte gegen die von der Regierung geplante Gesundheitsreform mobil. Für den 27. Mai planen die Wiener Ärzte einen Krisengipfel, zu dem mehr als 1000 niedergelassene Ärzte erwartet werden. Eine Großdemonstration ist für den 3. Juni geplant. Und auch Praxisschließungen während der Fußball-Europameisterschaft sind im Gespräch. Die Ärzte fürchten, dass die geplante Reform die ambulante Versorgung gefährdet.

Für den Vizepräsidenten der Ärztekammer in Wien, Johannes Steinhart, sind die Proteste "die einzige Möglichkeit, um auf den Wahnsinn der rund um die sogenannte Gesundheitsreform passiert, aufmerksam zu machen." In den vergangenen Monaten hatten die Ärzte bereits viele Patienten über die Reformpläne der Regierung aufgeklärt und mobilisiert. Seit Anfang Februar lagen in Wien beispielsweise in allen Praxen Unterschriftenlisten aus. Über 146  000 Patienten haben seitdem gegen die geplante Kürzungen im Gesundheitssystem unterschrieben. "Ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann", sagt Steinhart. Das Patientenbegehren soll demnächst der Regierung übergeben werden.

Ärzte warnen vor Zweiklassen-Medizin

Die Ärzte fürchten, dass die Regierung eine Zweiklassen-Medizin einführen will. Und sie kritisieren den Sparkurs der Regierung - und das mit gutem Grund. Nach Berichten der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) müssen die Vertragsärzte, für die die Krankenkassen jährlich etwa zwei Milliarden Euro ausgeben, mit Einsparungen von 163 Millionen Euro rechnen. Vergangene Woche war der Entwurf des Gesetzes zur Kassensanierung von Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky (Österreichische Volkspartei) und Sozialminister Erwin Buchinger von der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ) vorgestellt worden. Der Entwurf soll noch vor dem Sommer beschlossen werden.

Eine Sparsumme von 163 Millionen Euro bedeutet Leistungskürzungen.

Zu den umstrittenen Änderungen gehören die Aut-idem-Regelung, wonach Ärzte ihren Patienten künftig nur noch Wirkstoffe verschreiben dürfen. Zudem sollen sie allen Patienten Quittungen über die erbrachten Leistungen ausstellen, Einzelverträge mit den Krankenkassen abschließen und mit der elektronischen Gesundheitsakte arbeiten.

Österreichs Kammerpräsident Dr. Walter Dorner ist mit diesen Vorgaben nicht einverstanden. Er warnt unter anderem vor der Zerschlagung der Gesamtverträge mit den Ärzten. Einzelverträge gefährdeten die Existenzsicherheit der niedergelassenen Mediziner. Durch Einzelverträge "mit ein paar Ärzten hier und da" sei die wohnortnahe Versorgung der Patienten nicht sicherzustellen, so Dorner in einer Mitteilung. Die von der Regierung geplante Sparsumme von 163 Millionen Euro im niedergelassenen Bereich heiße nichts anderes als Leistungskürzungen. "Die Patienten werden damit in die Privatmedizin oder in die überfüllten Spitäler abgedrängt", sagt Dorner. "Dort haben wir jetzt schon zum Bersten volle Ambulanzen". Für Dorner sind die Patienten die Leidtragenden der Reform. Sie müssten sich darauf einstellen, dass es in naher Zukunft manche Leistung nur noch eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr auf Kassenkosten gibt. Und durch die geplante Aut-idem-Regelung würden Patienten ständig mit wechselnden Medikamenten konfrontiert.

Erbost reagieren viele Ärzte auch auf die Vorgabe, jedem Patienten eine Quittung auszustellen. Dies sei eine bürokratische Zusatzaufgabe, die keinen Sinn mache.

Die Ärztekammer Salzburg hat - als Antwort auf den Entwurf der Regierung - ein Grundsatzpapier zur "Zukunft der Arztpraxis" erarbeitet. Ihre Forderungen: Erster Ansprechpartner im Gesundheitswesen soll grundsätzlich immer der Allgemeinmediziner sein, die freie Arztwahl soll bleiben. Um den Service zu verbessern, sollen Kooperationen im niedergelassenen Bereich gestärkt werden. "Optimale Lösungen sind Netze und Gemeinschaftspraxen", heißt es in dem Positionspapier. Eine weitere Forderung der Ärzte: Die Verträge mit den Kassen sollen künftig flexibler gestaltet werden. Die derzeit angestrebte Kürzung der Arzthonorare durch die Krankenkassen wird von den Ärzten strikt abgelehnt.

STICHWORT

Reform in Österreich

Geplant sind unter anderem folgende Änderungen:

  • Aut idem-Regelung: Ab 2012 sollen Ärzte keine Medikamente mehr verschreiben dürfen, sondern nur noch Wirkstoffe (Paragraf 350 des Sozialversicherungsgesetz). Ausgenommen sind chronisch Kranke.
  • Leistungsquittungen: Der Paragraf 340 b sieht vor, dass Vertragsärzte den Versicherten "unmittelbar nach jeder Inanspruchnahme einen Nachweis über die erbrachten Leistungen" ausstellen.
  • Einzelverträge: Krankenkassen dürfen künftig mit Ärzten einzelne Verträge abschließen und nicht, wie bisher, nur mit den Ärztekammern.
  • Verpflichtende Teilnahme für alle Ärzte an der elektronischen Gesundheitsakte.
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