"Substituierende Ärzte stehen mit einem Bein im Knast"

In Niedersachsen soll ein Arbeitskreis von Experten dazu beitragen, dass Ärzte, die drogenkranke Patienten behandeln, nicht wie zuletzt Strafverfolgung oder Regresse fürchten müssen.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Die Substitution von Drogenabhängigen bleibt für Ärzte ein heikles Geschäft.

Die Substitution von Drogenabhängigen bleibt für Ärzte ein heikles Geschäft.

© Foto: do

HANNOVER. Regresse und Strafverfahren - die Substitution von Drogenabhängigen bleibt für Ärzte ein heikles Geschäft. Das zeigte der "Arbeitskreis Substitution und Rechtssicherheit in Niedersachsen", der sich Mitte Oktober in der Ärztekammer erstmals traf. "Wir konnten endlich das Problem der Politik zu Gehör bringen", sagte Dr. Theresia Lautschlager. Sie betreibt eine der 220 Praxen in Niedersachsen, die insgesamt 6000 abhängige Patienten substituieren. Zu diesem ersten Runden Tisch waren unter anderem Landtagsabgeordnete, Vertreter der Polizei, der Apothekerkammer, der KV und der Landesstelle für Suchtfragen gekommen. Lautenschlagers Kollege Dr. Reinhard Lehmann aus Verden sagte zu Beginn des Treffens: "Die Substitutionsbehandlung ist eine befriedigende Aufgabe mit guten Ergebnissen. Allerdings stehen wir Substitutionsärzte immer mit einem Bein im Gefängnis."

2008 hat sich gezeigt, dass diese Worte einen realen Hintergrund haben. Die KV Niedersachsen (KVN) hatte von den substituierenden Ärzten die Behandlungsunterlagen sehen wollen und daraufhin 104 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) der Staatsanwaltschaft gemeldet, sagte KVN-Sprecher Detlef Haffke. Die KV war aktiv geworden, nachdem die Kassen in Niedersachsen vier Ärzte wegen Verstößen gegen das BtMG angezeigt und von der KV eine Überprüfung erbeten hatten.

Eine damals angezeigte Ärztin sitzt heute in Haft. Umstritten ist dabei vor allem die Handhabung der so genannten "Take-Home-Regelung". Die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) lege klar fest, unter welchen Umständen den Patienten mehr als die Tagesdosis zur selbstständigen Einnahme verschrieben werden darf, so Haffke. "Dies gilt etwa nur dann, wenn es sich um eine gefestigte Persönlichkeit handelt, die in festen Familienstrukturen lebt." "In solchen besonderen Fällen kann der Arzt seinem Patienten ein Rezept über höchstens sieben Tagesdosen mitgeben, das dieser dann in Apotheke einlösen kann - und zwar in Tagesdosen und in sicher verpackter Form, wie Uwe Schreiber vom Niedersächsischen Zweckverband zur Approbationserteilung (NiZzA) der "Ärzte Zeitung" mitteilte. Seit Juli 2009 können zudem auch nicht-take-home-fähige Patienten unter bestimmten Voraussetzungen Verschreibungen für bis zu zwei Tage erhalten, hieß es. Allerdings: Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen 94 der gemeldeten Verstöße fallengelassen, unter anderem deshalb, "weil sie laut Staatsanwaltschaft niemandem geschadet haben", erklärte Haffke.

Zum Stichtag 30. September waren noch zehn Fälle anhängig. Der Polizeivertreter erinnerte daran, den Patienten mit dem Substitutionsmedikament für mehrere Tage auch einen - im übrigen längst vorgeschriebenen - Behandlungsausweis mitzugeben, um Missverständnisse bei der Take-Home-Regelung auszuschließen.

"Ein schwieriges Arbeiten" nannte Lautenschlager die Substitution. "Einerseits werden immer neue Verfahren angestrengt, andererseits fordert die KV Honorare zurück." In der Tat erschweren auch Regresse derzeit substituierenden Ärzten das Leben. Dort dreht es sich um die Frage, ab wann die Substitution als persönlich durch den Arzt vorgenommen gelten und entsprechend abgerechnet werden darf. Laut KV habe man derzeit in 14 Fällen Rückforderungen erhoben. Auch wenn Patienten das Substitutionsmedikament nicht direkt aus der Hand des Arztes erhalten, sondern unter seiner Aufsicht aus der Hand einer Praxisangestellten, sei es fraglich, ob dieses Vorgehen nicht auch als "persönlich verabreicht" gelten müsse, argumentierte Lautenschlager.

Die Unsicherheit in Niedersachsen hat nach Angaben der Ärzte 40 Praxen dazu gebracht, sich von der Substitution zu verabschieden.

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