G8-Gipfel

Schulterschluss für den Kampf gegen Demenz

Die G8-Nationen haben beim Demenz-Gipfel am Mittwoch ein Zeichen gesetzt: Die Vertreter schworen sich darauf ein, gemeinsam den Kampf gegen Demenz zu forcieren - und mehr Geld in die Forschung zu investieren.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Daniel Bahr (2.v.r.) erläuterte beim G 8-Gipfel die Demenz-Versorgung aus deutscher Sicht.

Daniel Bahr (2.v.r.) erläuterte beim G 8-Gipfel die Demenz-Versorgung aus deutscher Sicht.

© Department of Health

LONDON. Er sei Demenzpatient, denke in der Gegenwart und wolle gerne wissen, was das Gipfeltreffen für ihn konkret bringen werde, fragte ein älterer Mann am Mittwoch bei der Abschlusspressekonferenz zum G8-Gipfel in London.

Der britische Gesundheitsminister Jeremy Hunt geriet bei seiner Antwort ein wenig ins Schleudern. Er sprach von Aufbruchstimmung, die G8-Staaten wollten viel mehr Geld in die Forschung stecken als bisher, sagte Hunt. Eine Vision für die Zukunft - dafür konnte sich der alte Mann nichts kaufen.

Großbritanniens Ministerpräsident David Cameron hatte zuvor die zerstörerische Kraft der Demenz auf den Punkt gebracht: "Die Krankheit stiehlt Leben, bricht Herzen und zerstört Familien", sagte er.

Alle vier Sekunden wird inzwischen irgendwo auf der Welt bei einem Menschen Demenz diagnostiziert. "Wir müssen handeln, das Prinzip business as usual funktioniert nicht mehr", warnte auch WHO-Chefin Margaret Chan.

Nicht nur Industrieländer betroffen

Die Fakten sind bekannt: Mindestens 35 Millionen Menschen leiden inzwischen an Demenz, 1,4 Millionen sind es in Deutschland. Dies ist kein spezifisches Problem der Industrieländer, warnten Experten.

62 Prozent der Betroffenen leben in Entwicklungsländern und wirtschaftlich schwachen Staaten, ihre Gesundheitssysteme sind nicht im geringsten auf die Herausforderungen dieser Patienten eingestellt.

"Demenzerkrankungen betreffen in einer alternden Bevölkerung immer mehr Menschen. Das ist eine Herausforderung auch für die sozialen Sicherungssysteme", stellte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr in London klar.

Bevor neue wirksame Therapien entwickelt werden könnten, müsse die Grundlagenforschung verstärkt werden. Für eine zukünftige Entwicklung von Medikamenten sei die weitere Erforschung der molekularen Mechanismen neurodegenerativer Erkrankungen eine wesentliche Voraussetzung, so Bahr weiter.

Dei G8-Staaten haben sich vorgenommen, alles zu tun, damit bis 2025 eine wirksame Therapie entwickelt werden kann.

Dazu soll mehr Geld in die Forschung fließen, zugleich sollen Demenz-Studien weltweit forciert werden. Geplant ist außerdem ein internationaler Aktionsplan und ein konsequenter Austausch von Forschungsergebnissen.

Wissenschaftler versuchen inzwischen weltweit, mehr Aufschlüsse über die Entstehung der immer noch rätselhaften Krankheit zu bekommen. Ein Medikament, das eine Verzögerung des Verlaufs bewirken könte, wäre ein Risenerfolg.

Zukunftswerkstatt und Leuchtturm-Projekt

Deutschland habe die Herausforderungen der Demenzerkrankung bereits seit Jahren zum Thema gemacht. Von einem internationalen Austausch könnten alle Beteiligten profitieren., sagte Bahr.

"Wir können unsere Erfahrungen aus dem Leuchtturmprojekt Demenz, der Zukunftswerkstatt Demenz und der Allianz für Menschen mit Demenz sowie dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz einbringen."

Als besonders beispielhaft nannte Bahr das von der Bundesregierung gegründete Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen.

Dieses erste deutsche Zentrum der Gesundheitsforschung arbeite mit dem Ziel einer umfassenden Aufklärung der Ursachen dieser Erkrankungsform und beschäftige sich mit der Entwicklung von Präventionsmaßnahmen und innovativen Therapien.

Das Zentrum sei europaweit einzigartig. "So gezielt wird nirgendwo sonst in Europa Demenzforschung betrieben", erläuterte der Minister. Insgesamt fördere die Bundesregierung die Demenzforschung mit einem jährlichen Gesamtvolumen von rund 90 Millionen Euro."

Schlechte Diagnoseraten

Der britische Gesundheitsminister Jeremy Hunt beklagte schlechte Diagnoseraten in seinem Heimatland. Tatsächlich würde bei weniger als der Hälfte der an Demenz erkrankten Briten eine korrekte Diagnose gestellt, sagte er.

Darüber hinaus würden betroffene Patienten in seinem Land immer noch stigmatisiert. Eine Million Menschen sollen in Zukunft in Großbritannien Basiskenntnisse über die Krankheit erhalten, um sich landesweit als "Botschafter" gegen eine Stigmatisierung von betroffenen Patienten stark zu machen.

Immer noch würden die Krankheit auch im Alltagsleben schlecht verstanden, kritisierte Hunt. Symptome von Demenz würden als eine "normale Entwicklung" fehlinterpretiert, die man im Alter eben akzeptieren müsse.

In Großbritannien gibt es derzeit etwa 800000 Demenzpatienten, bis 2040 soll sich diese Zahl verdoppeln. Die jährlichen Kosten liegen bei etwa 23 Milliarden Pfund pro Jahr.

Hunt hofft, dass die Demenz-Konferenz eine ähnliche Wirkung entfalten kanne wie der Gipfel 2005 im schottischen Gleneagles, als die G-8-Staaten sich dem Kampf gegen Aids verschrieben hatten.

"Heute sollte ein Tag sein, der zuversichtlich stimmt", sagte der Minister der BBC. "Wir sind alle entschlossen, dass wir angesichts der alternden Gesellschaft etwas unternehmen."

Stiftung Patientenschutz hat Vorbehalte

Skeptisch über die Ergebnisse aus London äußerte sich der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch.

"Wenn Gesundheitsexperten auf dem G8-Gipfel Zahlen zusammentragen, Prognosen austauschen und feststellen, dass Demenz die Geißel des 21. Jahrhunderts ist, so helfen sie damit nicht den heute und zukünftigen Betroffenen", kritisierte Brysch in einer Mitteilung.

Schon lange gebe es nicht mehr ein Erkenntnis- sondern allein ein Umsetzungsproblem.

Viele deutsche Bundesregierungen hätten das Thema schon auf der Agenda, ohne praktische Lösungen anzubieten. Brysch: "Seit Jahren gibt es verbindliche, wissenschaftliche Standards bei der Versorgung von Demenzkranken. Was fehlt ist ihre praktische Umsetzung, denn die verlangt einen Systemwechsel bei der Gesundheitsversorgung von Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz."

Immer noch würden Krankenhäuser und Ärzte in den G8-Staaten darauf trainiert, Krankheiten zu heilen. Er plädiere nicht gegen Forschung, sondern fordere zur praktischen Hilfe und gesellschaftlichen Akzeptanz auf.

"Wann endlich wird die Gesellschaft so tolerant sein, kognitive Einschränkungen als Teil der Lebenswirklichkeit zu erkennen? Wir brauchen Begleitung und Hilfe statt Ausgrenzung und Abschiebung. Nur so wird es gelingen, der Angstdiskussion tatsächlich zu begegnen.", sagte Brysch. (mit dpa)

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