Krise spitzt sich zu

350 Polikliniken in Griechenland geschlossen

Die Krise in Griechenland hat fatale Auswirkungen auf das Gesundheitssystem. Die angeblich nur vorübergehende Schließung der EOPYY-Polikliniken verschärft die Lage weiter.

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In Griechenland weht derzeit ein rauer Wind durchs Gesundheitswesen.

In Griechenland weht derzeit ein rauer Wind durchs Gesundheitswesen.

© Sugunya Srithongthae/Panthermedia

FRANKFURT. Griechenlands Gesundheitswesen kollabiert. Die rigide Sparpolitik des seit sechs Jahren kriselnden Landes hat verheerende Auswirkungen auf die medizinische Versorgung der Bürger.

Jeder dritte Grieche hat keine Krankenversicherung, die Säuglingssterblichkeit ist rasant gestiegen. Verschärft werde die Situation aktuell durch die Schließung von 350 Polikliniken der gesetzlichen Krankenversicherung, infolgedessen die gesamte Primärversorgung in Griechenland nun von Kliniken oder Privatärzten geleistet werden muss, so der Verein demokratischer Ärzte (VDÄÄ).

Viele ohne Versicherungsschutz

Dr. Bernhard Winter, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie in Offenbach, ist dieser Tage mit einer Delegation des VDÄÄ in Griechenland gewesen, um sich ein Bild von der Lage zu machen.

"Die Situation der breiten Bevölkerung ist durch eine massive Verarmung gekennzeichnet", sagt Winter.

"Beschäftigte wie Rentner haben die Hälfte ihres Einkommens verloren. 30 Prozent der Griechen leben am Rand oder unterhalb der Armutsgrenze.Allein in Athen leben 30.000 Menschen auf der Straße."

In Folge der strengen Sparpolitik, fügt Dr. Nadja Rakowitz, Geschäftsführerin des VDÄÄ in Maintal bei Frankfurt am Main, hinzu, seien etwa drei Millionen Griechen inzwischen ohne jeglichen Krankenversicherungsschutz.

Hilfe finden diese Menschen in so genannten "Solidarischen Kliniken", in denen Ärzte und Pfleger ehrenamtlich arbeiten, um die größte Not der Menschen zu lindern.

Rakowitz und Winter haben gemeinsam mit sechs Kollegen aus Hamburg mehrere dieser Einrichtungen besucht, von denen es in ganz Griechenland inzwischen etwa 40 gibt.

Zuzahlung ist unbezahlbar

Die Solidarische Klinik Ellinikon beispielsweise wurde auf einem ehemaligen Militärgelände der US-Army in der Nähe des alten Flughafens von Athen eingerichtet. Im Herbst 2011 gegründet, zähle sie inzwischen 20.000 Patientenkontakte im Jahr.

Die Klinik habe 250 ehrenamtlich tätige Mitarbeiter, davon 160 Ärzte, Therapeuten und Pharmazeuten. Geräte, Material und Medikamente stammten aus Sachspenden der Bevölkerung und internationalen Solidaritätsaktionen.

Die Zahl ihrer Patienten, berichteten die Ärzte, sei in den vergangenen Monaten weiter gestiegen. Die meisten seien Griechen ohne Krankenversicherung, Rentner und Migranten. Im Vergleich zum Vorjahr kämen jedoch auch immer häufiger Menschen, die zwar eine Krankenversicherung haben, sich die hohe Zuzahlung aber nicht leisten können.

Die allgemein schlechte Situation werde durch die aktuelle Schließung von 350 Polikliniken, die bislang für die ambulante Versorgung der Griechen zuständig waren, weiter verschärft, so der VDÄÄ.

In diesen Kliniken arbeiteten rund 5500 niedergelassene, bei der gesetzlichen Krankenversicherung (EOPYY) angestellte Ärzte und 3000 weitere Beschäftigte, die im Zuge der Schließung allesamt entlassen worden seien.

Die Schließung dieser Polikliniken sei zunächst auf einen Monat beschränkt, kündigte die Regierung an, 100 EOPYY-Praxen sollen nach Ablauf dieser Frist wieder öffnen. Das werde jedoch von vielen Ärzten bezweifelt, so Winter.

In der Vergangenheit waren 70 Prozent der für die EOPYY arbeitenden Ärzte nachmittags in der eigenen Privatpraxis tätig. Ihnen wird teilweise vorgeworfen, vormittags als Kassenärzte zu arbeiten und nachmittags die gleichen Patienten privat zu behandeln.

100 von 183 Krankenhäusern geschlossen

Im Zuge der Schließung und einer Neuorganisation der Polikliniken sollen sie sich nun entscheiden, ob sie künftig ausschließlich für die gesetzliche Krankenversicherung oder ausschließlich privat arbeiten.

Allerdings ist ungewiss, ob die EOPYY-Kliniken tatsächlich wieder öffnen und wie dann die neuen Vertragsbedingungen für Ärzte aussehen. Daher sehen sich viele gezwungen, sich tatsächlich privat niederzulassen. Kritische Kollegen vermuten, genau das könne die Absicht sein: eine Privatisierung des Gesundheitswesens.

Nach der Schließung der 350 Polikliniken müssten die Kliniken und Privatärzte die gesamte Primärversorgung der Griechen schultern. Von den 183 Krankenhäusern im Land seien aber seit Beginn der Krise vor sechs Jahren etwa 100 geschlossen worden, so Winter.

Allein zwischen 2009 und 2011, schreibt der Soziologe Alexander Kentikelenis von der Universität Cambridge in einer jüngst im "Lancet" veröffentlichten Studie ("Griechenlands Gesundheitskrise: Von der Sparpolitik zur Realitätsverweigerung", 383, 2014, 748), seien die Budgets der griechischen Krankenhäuser um mehr als ein Viertel gekürzt worden.

Die Europäische Union hat im September 2013 das Health-Voucher-Projekt gestartet, infolgedessen 230.000 Gutscheine für eine kostenlose Grundversorgung ausgegeben werden sollen, finanziert aus dem EU-Strukturfonds. (Smi)

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