Schweiz

Eine Kasse für alle Eidgenossen?

Im Herbst fürchten viele Schweizer stark steigende Krankenversicherungsprämien. Zugleich will eine Volksinitiative das Gesundheitssystem umkrempeln. Ziel: nur noch eine Kasse.

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BERN. Im Schweizer Gesundheitssystem wird mit Zahlen Politik gemacht. 2015 könnten die Krankenversicherungsprämien der Eidgenossen stark steigen. Experten sehen darin ein von der Politik gemachtes Problem.

Im September 2013 hatte das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) frohe Botschaften für die Landsleute: Die durchschnittliche Standardprämie - die Grundversicherung eines Erwachsenen mit 300 Franken Selbstbehalt - steigt im laufenden Jahr nur um 2,2 Prozent oder etwas mehr als acht Franken (rund 6,50 Euro).

Für Gesundheitsminister Alain Berset ist das eine Erfolgsstory: Schon im Jahr 2012 legten die Prämien um 2,2 Prozent zu, im vergangenen Jahr waren es sogar nur 1,5 Prozent. Doch das dicke Ende könnte 2015 kommen, warnt der Krankenkassenexperte Felix Schneuwly vom Internetvergleichsportal comparis.ch.

Anstieg um 6,7 Prozent im Jahr 2013

Nach noch unveröffentlichten Kostenprognosen des BAG sind die Gesundheitsausgaben der 61 Krankenversicherer in der Schweiz um 6,7 Prozent gestiegen.

Ähnlich sehen die Zahlen bei der Helsana AG, einem der großen Krankenversicherer für das Jahr 2013 aus: Um 6,2 Prozent haben die Versicherungsleistungen laut dem Geschäftsbericht zugelegt. Dies habe mit der Umstellung auf ein neues Vergütungssystem für Krankenhäuser zu tun, heißt es zur Erläuterung.

"Ein weiterer Grund für die Kostensteigerung ist die Zunahme ärztlicher Behandlungen verursacht durch die steigende Zahl der Ärzte. Die Zahl der abrechnenden Ärzte stieg 2013 sprunghaft - insbesondere bei den frei praktizierenden Spezialärzten -, da der Zulassungsstopp 2012 aufgehoben wurde."

Nach Angaben von Kassenexperte Schneuwly steigen die Prämien somit nicht einmal halb so stark wie die tatsächlichen Leistungsausgaben. Die Schweiz hat mit dieser Taktik schlechte Erfahrungen gemacht.

Im Jahr 2010 schossen die Prämien um 8,7 Prozent in die Höhe, nachdem sie in den Jahren zuvor künstlich niedrig gehalten wurden. Schneuwly vermutet, dass viele Versicherer 2015 nicht mehr genug Reserven haben werden, um den Kostenschub abzufedern.

Volksinitiative "Für eine Kasse"

Niedrig gehalten werden sollen die Erhöhung der Prämien auch aus einem strategischen Grund: Vermutlich im Laufe dieses Jahres werden die Eidgenossen über die Volksinitiative "Für eine öffentliche Krankenkasse" abstimmen.

Der Schweizerische Bundesrat - die Bundesregierung der Eidgenossenschaft - hat diesen fundamentalen Kurswechsel in der Krankenversicherung bereits im September 2013 abgelehnt. Auch im Ständerat, in dem die Kantone repräsentiert sind, stimmten nur 13 Räte für die Vorlage, 28 lehnten den Vorschlag einer Einheitskasse ab.

Die Befürworter der Initiative finden Umfragen zufolge - anders als es die klare Abstimmung in den Kammern nahelegt - in der Bevölkerung wachsende Zustimmung.

Sie argumentieren unter anderem: Gibt es statt 61 Versicherungen mit rund 300.000 verschiedenen Tarifen nur noch eine Kasse, dann "entfällt der jährliche Wechselwahnsinn und Ärztinnen und Ärzte müssen sich nicht mehr mit Versicherungen und ihren Klauseln herumschlagen, sondern können sich wieder mehr um die Patienten kümmern".

"Alliance santé" gebildet

Unterstützt wird die Initiative unter anderem von der Sozialdemokratischen Partei (SP) der Schweiz. Dort heißt es, in der Gesundheitspolitik sei die Zeit "reif für einen Systemwechsel".

Nach fast 20 Jahren solle das "teure und unsoziale Experiment" namens "Wettbewerb im Gesundheitswesen" beendet werden, so die SP.

Krankenversicherer, Privatkliniken, zahlreiche Ärzte sowie Parlamentarier halten dagegen und haben sich zur "Alliance santé" zusammengeschlossen. Rückenwind erhoffen sie sich von der Abstimmung des Nationalrats, der großen Kammer des Parlaments, am 5. März. 124 Abgeordnete lehnten die Volksinitiative ab, 61 befürworteten sie.

Nun haben die Eidgenossen das Wort: Der Termin der Abstimmung ist selbst zum Politikum geworden. Gegner der Initiative schlagen den 28. September 2014 vor. Die Befürworter der Einheitskasse werben für den 30. November.

Mit Bedacht: Im Oktober werden die Prämienerhöhungen für das nächste Jahr bekannt gegeben. Steigen die Kosten für die Krankenpolice 2015 so stark wie von Experten befürchtet, wäre das, so die "Neue Züricher Zeitung", für die Verteidiger des bestehenden Krankenversicherungssystems "ein Albtraum". (fst)

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