Abstimmung

Einheitsversicherung, oder nicht?

Am Sonntag haben die Schweizer die Wahl: Künftig nur noch eine öffentliche Krankenkasse? Das Referendum hat im Vorfeld eine verbissene Debatte ausgelöst.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Mit Plakaten beziehen Verbände Stellung zur Abstimmung.

Mit Plakaten beziehen Verbände Stellung zur Abstimmung.

© Komitee "Nein zur Einheitskasse"

BERN. Am Sonntag stimmen die Eidgenossen in einem Referendum darüber ab, ob die bisher 61 privaten Krankenversicherungen durch eine Kasse ersetzt werden sollen.

Die Debatte wird im Nachbarland seit Monaten mit großer Verbissenheit geführt. Eine von Sozialdemokraten, Grünen und Verbraucherorganisationen getragene Volksabstimmung hat das Ziel, das Krankenversicherungssystem auf völlig neue Füße zu stellen.

Nur noch eine nationale und öffentlich-rechtliche organisierte Krankenkasse soll danach die für alle Schweizer obligatorische Grundversicherung anbieten.Warum der Aufstand im wohlstandsverwöhnten Nachbarland?

 In internationalen Vergleichen zeigen Outcome-Indikatoren, dass die Schweiz ein teures, aber auch eines der leistungsfähigsten Gesundheitssysteme weltweit hat.

Bislang ist dieses System dezentral und wettbewerblich organisiert. Die Befürworter der Kampagne sprechen dagegen von einem "Pseudowettbewerb zulasten der Versicherten", 325 Millionen Franken (etwa 269 Millionen Euro) würden jährlich für Marketing und Wechselkosten verschwendet, heißt es.

Versicherte seien einem "Telefonterror" von Versicherungsagenten ausgesetzt, die auf der Jagd nach "guten Risiken" seien.

Dass der Staat beim Wettbewerb der Versicherungsfirmen nicht genau hingeschaut hat, gibt auch der sozialdemokratische Gesundheitsminister Alain Berset zu: "Meine Autoversicherung wird durch den Staat besser beaufsichtigt als meine obligatorische Krankenversicherung", sagte er der "Neuen Züricher Zeitung".

"Es braucht keine Einheitskasse"

Der in Bayreuth lehrende Gesundheitsökonom Professor Volker Ulrich hält den Therapieansatz der Befürworter einer Einheitskasse für falsch.

Um das Problem der Risikoselektion anzugehen "braucht es keine Einheitskasse. Der Risikoausgleich muss weiterentwickelt werden - und dies ist in der Schweiz schon seit Jahren Gegenstand fortwährender Reformen", sagt Ulrich, der selbst Schweizer Staatsbürger ist.

Auch Sicht der sozialdemokratischen Nationalrätin Jacqueline Fehr stehen die schweizweit rund 300.000 verschiedenen Krankenversicherungsprodukte "nicht für Wettbewerb, das ist Chaos" Ihr Versprechen lautet,  eine öffentliche Krankenkasse führe zu einem "einfacheren, gerechteren und günstigeren System".

Das System der Versicherungsprämien ist stark ausdifferenziert, bestätigt Gesundheitsökonom Ulrich, unterschieden werde etwa nach den 26 Kantonen, nach Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen sowie nach anderen Faktoren.

"Ob das durch eine übergeordnete Einrichtung besser gemanaged werden kann, scheint mir zweifelhaft." Die Befürworter einer Einheitskasse versprechen auch niedrigere Verwaltungskosten - sie liegen bisher im Schnitt bei 5,4 Prozent.

Ulrich ist skeptisch: "Die Bürokratiekosten staatlicher Monopole werden hier systematisch unterschätzt."

Mächtige Gegenbewegung

Gegen die Unterstützer der Einheitskasse hat sich mit der "Alliance Santé" eine mächtige Gegenbewegung formiert. Krankenversicherungen, Parlamentarier und andere Akteure investieren Millionen Franken in eine Kampagne, um die Wähler vom Systemwechsel abzuhalten.

Zwei Milliarden Franken, heißt es in einem von der Alliance Santé initiierten Gutachten, würde schweizweit der Wechsel zu einer Einheitskasse kosten - rund 1000 Franken (etwa 828 Euro) für eine vierköpfige Familie. Dabei wäre etwa der nötige Transfer der Sozialdaten ein EDV-technisches Mega-Projekt, das zehn bis 15 Jahre dauern könne.

Auch Ulrich warnt, die Systemumstellung würde "die Gesundheitspolitik auf Jahre - wenn nicht Jahrzehnte - blockieren". In der Übergangszeit, wenn beide Systeme parallel betrieben werden müssten, würde es zu Verwerfungen kommen, "Versorgungslücken inklusive".

Bereits zum dritten Mal binnen elf Jahren ist die Einheitskasse Thema einer Volksabstimmung.

Ein Grund dafür sei der "Rösti-Graben", die kulturelle Trennlinie zwischen der deutschsprachigen Schweiz und der Romandie, erläutert Ulrich: "Früher sind die Prämienunterschiede zwischen den deutschsprachigen Kantonen und der Westschweiz sehr groß gewesen - im Westen höher als im Osten."

Mit der Einheitskasse wurde bereits in der Vergangenheit die Hoffnung verbunden, die Deutschschweiz stärker an der Finanzierung zu beteiligen. Denn einen Finanzkraftausgleich wie in Deutschland gibt es zwischen den Kantonen nicht.

Die Schweizer Ärzteschaft ist in der Frage der Einheitskasse gespalten. Ein Ärztekomitee, das mehrere Hundert Unterstützer verzeichnet, hält es für "das einzig Vernünftige, eine einheitliche öffentliche Krankenkasse einzuführen.

Solidarität wird untergraben

Die Solidarität zwischen Gesunden und Kranken, Jungen und Alten werde durch den "Pseudowettbewerb der Krankenversicherungen zusehends untergraben", heißt es in dem Aufruf.

Gleichzeitig haben sich Ärzte unter dem Dach der "Alliance Santé" zusammengeschlossen und warnen, sie hielten "eine radikale Abkehr vom heutigen System für unverantwortlich". Dadurch würde die "hohe Qualität unseres Gesundheitswesens ohne Not aufs Spiel gesetzt".

Dass viele Ärzte die Einheitskasse unterstützten, liege an deren Sympathie für Managed Care-Modelle, erläutert Gesundheitsökonom Ulrich. Denn die Befürworter der Volksinitiative hätten angekündigt, solche Strukturen im Rahmen einer Einheitskasse auszubauen.

Unterm Strich hält Ulrich die Idee einer öffentlichen Krankenkasse bei seinen Landleuten nicht für mehrheitsfähig. "Bisher haben die Schweizer ein dezentrales Gesundheitssystem mit Wahlfreiheiten geschätzt. Es sollte mich wundern, wenn sich diese Grundhaltung stark verändert hätte."

Unabhängig vom Ausgang des Referendums könnte schon der Oktober für viele Schweizer schlechte Nachrichten bringen. Dann müssen alle Kassen ihre Versicherten über die Prämienanpassung für 2015 informieren.

Kassenexperten mutmaßen, die Prämiensteigerung im vergangenen Jahr sei mit durchschnittlich 2,2 Prozent viel zu niedrig ausgefallen, da die Kosten tatsächlich stärker gestiegen seien.

Die Schweizer sind hier schon gebrannte Kinder: Von 2007 bis 2009 zwang der damalige Gesundheitsminister Pascal Couchepin die Versicherer zu moderaten Prämienanpassungen - viele Unternehmen lösten dafür ihre Reserven auf.

2010 kam dann ein Prämienschock mit einem Anstieg um 8,7 Prozent, der vor allem Familien finanziell hart getroffen hat.

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