Masern

Impf-Debatte tobt auch in den USA

Nicht nur in Deutschland treibt die Impfpflicht-Debatte Politiker undÄrzte um. Auch in den USA ist das Thema auf der Agenda - auch wenn dort von der Masernwelle weit weniger Menschen betroffen sind.

Von Claudia Pieper Veröffentlicht:

WASHINGTON. Nicht nur in Berlin, auch in den USA macht sich derzeit eine Masernwelle breit. Der Ursprung des Ausbruchs war ironischerweise "der glücklichste Ort auf Erden", wie sich der Freizeitpark Disneyland in Kalifornien gerne nennt.

Dort hatten sich im Dezember mehrere Dutzend Menschen angesteckt und das Virus dann in Flugzeug und Auto mit nach Hause genommen.

Das Ausmaß ist dabei zwar wesentlich geringer als in Deutschland: 141 Masernerkrankungen hat die Seuchenkontrollbehörde CDC für 2015 bis Mitte Februar gemeldet, und zwar nicht nur in Kalifornien, sondern auch in 16 weiteren Bundesstaaten und Washington, D.C.

Für die USA ist die neueste Infektionswelle aber mehr als ein Ärgernis. Im Jahr 2000 hatte man nämlich stolz erklärt, die Masernkrankheit ausgemerzt zu haben.

Hohe Impfraten hatten dies möglich gemacht, unter anderem auch deshalb, weil die Schulen vor der Einschulung Impfnachweise verlangen.

So verzeichnete man 2013 bei Schulanfängern eine durchschnittliche Masern-Impfrate von 94,7 Prozent - nah dran an dem Benchmark von 95 Prozent, den die WHO als Mindestzielquote zur Eliminierung der Krankheit gesetzt hat.

Große regionale Unterschiede

Das Problem im Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Nicht überall ist die Impfrate imponierend.

In fast allen Bundesstaaten ist es nämlich erlaubt, aus religiösen Gründen eine Ausnahme geltend zu machen, und immerhin 18 Bundesstaaten erlauben zudem eine Ausnahme aus "philosophischen", sprich nicht-spezifischen persönlichen Gründen.

Aufgrund dessen variiert die Impfrate stark. So wurde 2013 im Bundesstaat Mississippi, wo außer medizinischen keine Ausnahmen erlaubt sind, eine Masernimpfquote von 99,7 Prozent ermittelt.

In Colorado dagegen, wo man sein Kind auch einschulen darf, wenn es nicht geimpft ist, lag die Quote beispielsweise bei mickrigen 81,7 Prozent - weit unter dem für eine Herdenimmunität notwendigen Wert.

Was einem Masernausbruch außerdem zuträglich ist: Meist leben Landsleute mit ähnlichen Überzeugungen in nächster Nähe zueinander und schicken ihre Kinder auf die gleichen Schulen.

Ein Beispiel aus dem Bundesstaat Washington: Dort wurde auf der ländlich geprägten Olympischen Halbinsel vor Kurzem die Masernimpfquote an diversen Schulen veröffentlicht, nachdem in einem Kreis die ersten Krankheitsfälle gemeldet worden waren.

Impfquoten von unter 65 Prozent

In fast allen Schulen lag die Impfquote weit unter dem nationalen Durchschnitt (auch Washington erteilt Ausnahmegenehmigungen aus persönlichen Gründen); besonders gering war die Impfquote allerdings in kleinen Privatschulen und alternativen Lernprogrammen, von denen zwei gar eine Quote von unter 65 Prozent angaben und andere sich weigerten, sie preiszugeben.

Fast alle Ausnahmegenehmigungen an diesen Schulen waren aus "philosophischen Gründen" gewährt worden.

Kein Wunder, dass die Seuchenschützer vor Ort angesichts der Krankheitsfälle in Panik ausbrachen: Die Gesundheitsbehörde im Kreis Jefferson machte zum Beispiel letzte Woche bekannt, dass nicht-geimpfte Kinder 21 Tage vom Unterricht ausgeschlossen würden, sobald der erste Masernfall an ihrer Schule gemeldet werde.

Die neueste Masernwelle hat auch die politische Diskussion um Sinn und Sicherheit von Impfungen neu entfacht.

Während sich Präsident Obama und die potenzielle demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton eindeutig für Impfungen aussprachen, taten sich einige republikanische Kollegen schwerer im Spagat zwischen ihrer konservativen Klientel, die staatlichen Vorgaben gegenüber generell skeptisch eingestellt ist, und der politischen Mitte.

Senator Rand Paul aus Kentucky, von Haus aus Mediziner, sagte, er persönlich halte es zwar für eine gute Idee, sich impfen zu lassen, finde aber, es müsse dem Einzelnen überlassen bleiben, sich dafür oder dagegen zu entscheiden.

Der hartnäckige Glaube, dass Masernimpfungen Autismus auslösen können, ist nicht der einzige Grund, warum einige Amerikaner Impfungen ablehnen.

Eines der neuen Sprachrohre der Verweigerungsbewegung ist ein Arzt: Der Kardiologe Dr. Jack Wolfson, der mittlerweile in Arizona holistische Medizin praktiziert, wetterte unlängst im Nachrichtensender CNN: "Es ist nicht meine Pflicht, mein Kind mit Chemikalien vollzupumpen."

Er selbst sei erst spät zu dieser Erkenntnis erlangt, sagte er an anderer Stelle. Mittlerweile zeigt er sich überzeugt: Wer seine Kinder impfen lasse, ohne sich über die "schädlichen" Dinge zu informieren, die in den Impfstoffen enthalten seien, verdiene den Titel "Rabenmutter".

Während Impfskeptiker Wolfson zujubeln, sind Kollegen über die Äußerungenentsetzt. Er werde Wolfsons "unverantwortlicheund gefährliche Äußerungen" bei der Ärztekammer zur Prüfung einreichen, meinte ein Kritiker.

"Als Kinderarzt habe ich ungeimpfte Kinder an Krankheiten sterben sehen, die durch Impfung vermeidbar gewesen wären. 2013 ging wegen sinkender Impfraten eine Keuchhustenwelle durch meine Praxis. Dr. Wolfson verdient es nicht, als Arzt zugelassen zu sein."

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