Griechenland

Versorgung mit Arzneien steht auf dem Spiel

Über 60 Prozent der Griechen haben gegen weitere Sparmaßnahmen gestimmt. Das hat auch Folgen für die ohnehin schon dramatische Gesundheitsversorgung im Land.

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Gemeinsam gegen den Sparkurs: Am Sonntag hat die Mehrheit der Griechen mit „Nein“ gestimmt.

Gemeinsam gegen den Sparkurs: Am Sonntag hat die Mehrheit der Griechen mit „Nein“ gestimmt.

© Alexandre Resende/dpa

ATHEN/BRÜSSEL. Nach dem Referendum sucht die EU-Kommission nach Wegen, um eine Krise im griechischen Gesundheitssystem abzuwenden.

In Brüssel muss EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nun auch beraten, wie die Kommission mit Mitteln aus dem EU-Haushalt Engpässe in der Versorgung mit Medikamenten und medizinischem Material abfedern will.

Vor allem die Arzneimittelversorgung wird zum Problem. "Die staatlichen Kliniken haben gegenüber den Pharmaunternehmen über 1,5 Milliarden Euro Schulden", sagt Hinrich Stechmann, Vorstandsmitglied des Förder- und Freundeskreises Elliniko.

Der Verein unterstützt die gleichnamige soziale Arztpraxis in Athen, in der Patienten ohne Versicherung Hilfe bekommen.

Forderungsbestand von 1,1 Milliarden Euro

Allein bei Unternehmen, die dem Europäischen Verband der Pharmazeutischen Industrie (EFPIA) angehören, ist gegenüber Griechenland ein Forderungsbestand von 1,1 Milliarden Euro aufgelaufen, sagte der Verband der "Ärzte Zeitung". Er bestätigte, in Kontakt mit der EU-Kommission zu stehen, um die sich zuspitzenden Engpässe bei Arzneimittellieferungen zu bewältigen.

"Griechenland erhält seit Monaten kaum noch Medikamente", sagt Stechmann. Vor allem hochpreisige Arzneimittel wie Krebspräparate fehlten. Der Verein liefere deshalb Medikamente und Materialien an die Kliniken, inzwischen seien Geldspenden von über 150.000 Euro sowie medizinisches Gerät im Wert von 100.000 Euro nach Athen gebracht worden.

300 Ärzte, Krankenschwestern und Helfer arbeiten für den Verein ehrenamtlich auf dem alten Flughafen von Athen. "Ansonsten wäre die Versorgung schon vollständig zusammengebrochen."

Die Lage der Gesundheitsversorgung in Griechenland ist nach wie vor dramatisch. Nur noch vier Prozent des ohnehin kärglichen Bruttosozialprodukts gibt das Land für das Gesundheitssystem aus, in Deutschland sind es mehr als acht Prozent.

Ein Drittel der Bevölkerung hat inzwischen keine Krankenversicherung mehr. "Ich musste wegen eines Geschwürs zum Arzt gehen", sagt Vassilis Tsekouras (32). "Der hat 500 Euro verlangt, um mich zu behandeln. Als ich nicht bezahlen konnte, hieß es: ,Kommen Sie in drei Monaten wieder.‘ Ohne Bestechungsumschläge geht hier kaum noch etwas."

Wie in einem Entwicklungsland

Tatsächlich vergleichen Experten die Versorgungssituation in Griechenland heute mit einem Entwicklungsland. Die griechische Sektion der "Ärzte der Welt" hat 2012 all ihre Ärzte aus Uganda, Afghanistan und anderen Dritte-Welt-Ländern abgezogen, weil Griechenland seit den Kürzungen im Gesundheitsbereich vom offiziellen Kriterienkatalog des gemeinnützigen Vereins selbst zu den Katastrophengebieten zählt.

Allein das größte Krankenhaus von Athen "Evangelismos" benötige fünf Millionen Euro, um weiter einigermaßen funktionieren zu können, sagte der Vertreter der Gewerkschaft der Krankenhausärzte, Ilias Sioras, kürzlich. Landesweit seien 4500 Planstellen nicht besetzt.

Der Ausgang des Referendums wird die Lage wohl nicht verbessern. EFPIA-Präsident Richard Bergström läutete bereits vergangene Woche die Alarmglocke: "Es ist völlig unklar, wie die EU im Falle eines Grexit die Versorgung des Landes sicherstellen will." Im Falle des Ausscheidens Griechenlands aus der Eurozone würden die Preise von Importarzneien im Ägäis-Staat explodieren, sagte Bergström voraus.

In einem Brief an die EU-Kommission wies die EFPIA auf die Gefahren eines Grexit hin. Im bestehenden System führe ein rapider Währungsverfall zu einem exzessiven Parallelhandel. Folge sei "eine signifikante Bedrohung der öffentlichen Gesundheit".

Bereits seit einigen Jahren leidet das griechische Gesundheitswesen unter dem sogenannten Parallelhandel, das heißt dem Aufkauf von billigen in Griechenland hergestellten Arzneimitteln aus anderen EU-Ländern - auch aus Deutschland - um sie mit Preisaufschlägen auf dem EU-Markt weiterzuverkaufen.

Laut Statistischem Bundesamt hat sich die Zahl deutscher Billigimporte aus Griechenland von deutschen Pharmahändlern zwischen 2009 und 2014 von 1800 auf 7200 Tonnen mehr als vervierfacht - während Importe nach Griechenland von über 300 Millionen Warenwert auf rund 220 Millionen Euro pro Jahr schrumpften. (HL, jk, taf)

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