Forscher zeigen

Gesundheitsreform macht nicht gesünder

Anhand von Daten aus den Niederlanden sind Wissenschaftler der Frage nachgegangen, ob massive Mehrausgaben im Gesundheitssystem die Sterblichkeit senken. Die Ergebnisse sind ernüchternd.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Mehrausgaben fürs Gesundheitssystem senken nicht unbedingt die Sterblichkeit - das zeigt eine Studie aus den Niederlanden.

Mehrausgaben fürs Gesundheitssystem senken nicht unbedingt die Sterblichkeit - das zeigt eine Studie aus den Niederlanden.

© B. Wylezich/fotolia.com

ROSTOCK. Es ist der Traum eines jeden Gesundheitspolitikers: Eine Gesundheitsreform, die die Menschen länger leben lässt.

Wissenschaftler der Universitäten Rotterdam und Rostock sind der Frage nachgegangen, ob sich eine Verbindung zwischen höheren Gesundheitsausgaben in den Niederlanden und einer geringeren Sterblichkeit in der Bevölkerung herstellen lässt.

Dabei konnten sie auf Daten zurückgreifen, die regelmäßig im Rahmen der niederländischen Gesundheitsbefragung (Permanent Onderzoek Leefsituatie) erhoben werden. Sie verglichen dazu eine 7691 Personen umfassende Kohorte in den Jahren 2001/2002 mit einem Datensatz von 8362 Personen aus den Jahren 2007/2008.

Zusätzlich konnten die Forscher die Daten aus der Kohorte mit Routinedaten etwa zu Arztbesuchen, Arzneiverordnungen und zur Mortalität verbinden.

In der Zwischenzeit, also zwischen 2002 und 2007, waren die Gesundheitsausgaben in den Niederlanden nach mehreren Gesundheitsreformen ungewöhnlich stark gestiegen, und zwar von rund acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf schließlich 11,8 Prozent im Jahr 2011.

Enttäuschte Gesundheitspolitiker

In praktisch jedem Segment der Gesundheitsversorgung wurde nach den Reformen mehr Geld ausgegeben als zuvor. Doch die Ergebnisse der Studie sind widersprüchlich und dürften Gesundheitspolitiker enttäuscht zurücklassen (Peter F; Nusselder WJ; Mackenbach JP: Journal of Epidemiology and Community Health 2015; 69: 536-542. DOI: 101136/jech-2014-204906).

Um analysieren zu können, welche Gruppe vorrangig von den Mehrausgaben für Gesundheit profitiert hat, teilten sie die Kohorte in vier Gruppen ein. Dabei unterschieden sie, ob die Personen an einer oder mehreren chronischen Erkrankungen (zum Beispiel Diabetes oder Rheuma) und/oder an potenziell tödlich verlaufenden Erkrankungen (Krebs, Herzerkrankungen) litten. Auch die Zahl der Arztbesuche und der verschriebenen Medikamente wurden erfasst.

Die Wissenschaftler konnten anhand der Daten belegen, dass die Gruppe der am schwersten erkrankten Personen am stärksten profitierte. Ihr Sterberisiko war in der Kohorte 2001/2002 drei Mal so hoch wie das von gesunden Menschen. In der Kohorte 2007/2008 lag das Risiko nur noch eineinhalb-fach so hoch wie das bei Gesunden.

Dieser Rückgang konnte erwartet werden, weil ein Gesundheitssystem mit verbessertem und schnellerem Zugang zur Versorgung zumindest indirekt vor allem dieser Gruppe zu Gute kommen müsste. Allerdings ließ sich dieser positive Effekt auch nur in der Gruppe der Schwerkranken finden.

Höhere Sterblichkeit bei mehr Arztbesuchen?

Unklar blieb dabei, ob, und wenn ja in welchem Ausmaß, das (verbesserte) Versorgungsangebot tatsächlich Ursache für die gesunkene Sterblichkeit gewesen ist. Denn die Studienautoren fanden keinen Hinweis, dass die geringere Sterblichkeit mit einer Mehrnachfrage nach Gesundheits- und Versorgungsleistungen assoziiert ist.

Im Gegenteil: Die Personengruppe mit mehr Arztbesuchen und verschriebenen Medikamenten wies sogar ein höheres Sterberisiko auf. In den USA wird dieses sogenannte "Health Care Paradox" seit Jahren diskutiert und in Studien untersucht.

Die Vereinigten Staaten haben mit rund 16 Prozent (gemessen am BIP) weltweit die mit Abstand höchsten Gesundheitsausgaben - gesünder geworden sind die US-Amerikaner dadurch in den vergangenen Jahren nicht.

Das Nebeneinander von High-Tech-Medizin und einem durch Sparprogramme kraftlos gewordenen Sozialstaat hat sich in den USA offenbar als ungesunde Mischung erwiesen, heißt es in Studien.

Statistische Störfaktoren

Doch sind diese Hypothesen auf den niederländischen Wohlfahrtsstaat übertragbar? Die Studienautoren suchen die Schuld bei sich selbst: Es sei mit den verfügbaren Daten offenbar nicht ausreichend gelungen, statistische Störfaktoren auszuschalten, um die Fallgruppen von Personen und deren Nachfrage nach Versorgungsleistungen über die Jahre hinweg vergleichen zu können.

Man dürfe ihre Ergebnisse nicht so verstehen, warnen die Wissenschaftler, dass es einen Widerspruch gibt zwischen einer verbesserten Gesundheitsversorgung und einem Rückgang der Sterblichkeit.

Vielmehr seien weitere Studien mit präziseren Daten über Gesundheitsstatus und Nachfrage nach Versorgungsleistungen nötig - Gesundheitspolitiker können weiter hoffen, dass ihr Traum wahr wird.

Mehr zum Thema

Steigende Zahl von Opfern und Tätern

WHO: Jedes sechste Schulkind Opfer von Cybermobbing

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Lesetipps
Der Patient wird auf eine C287Y-Mutation im HFE-Gen untersucht. Das Ergebnis, eine homozygote Mutation, bestätigt die Verdachtsdiagnose: Der Patient leidet an einer Hämochromatose.

© hh5800 / Getty Images / iStock

Häufige Erbkrankheit übersehen

Bei dieser „rheumatoiden Arthritis“ mussten DMARD versagen