Griechenland

Die Versorgung krankt noch immer

Erhöhte Kindersterblichkeit, Mängel in der ambulanten Versorgung, Materialnotstand: Die Folgen der Krise für das griechische Gesundheitssystem sind verheerend. Private Initiativen versuchen, die Not zu lindern.

Von Jana Kötter Veröffentlicht:
Griechische Fahne.

Griechische Fahne.

© Jürgen Priewe / fotolia.com

ATHEN. Es ist noch früh am Morgen, als die Sanitäter Dionysis Arvanitakis und Stefanos Kapetanios mit atemberaubender Geschwindigkeit zu ihrem ersten Einsatz rasen. Mit dem Krankenwagen geht es durch den Athener Verkehr zu einem neun Jahre alten Patienten, der zu seinem Kliniktermin gebracht werden muss.

Der Junge steht schon vor der Haustür bereit. Seine Mutter hat ein großes Kissen unter ihren Arm geklemmt. Beim letzten Besuch habe das Krankenhaus keine Kissen gehabt, sagt sie.

Fünf Jahre sind seit Beginn der Krise in Griechenland vergangen; jüngst gab es ein drittes Hilfspaket der internationalen Geldgeber. Doch die andauernden Sparmaßnahmen haben schon seit Langem verheerende Auswirkungen für die Griechen - etwa im Gesundheitswesen.

Kliniken: 50 Prozent weniger Geld

Griechenland - Innenansichten einer Krise

"Ärzte Zeitungs"-Redakteurin Jana Kötter berichtet aus Athen über die Situation im krisengeplagten Griechenland und konzentriert sich dabei auf die medizinische Versorgung.

In der Serie "Griechenland - Innenansichten einer Krise" fassen wir ihre Berichte zusammen.

"Die pauschalen Sparmaßnahmen haben Leistungen in allen Bereichen verringert und die Gesundheitsversorgung ganz unmittelbar verschlechtert", sagt Alexander Kentikelenis. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität von Cambridge und Experte für die Folgen von Finanzkrisen.

Einige Reformen des Gesundheitswesens waren seiner Ansicht nach zwar erforderlich, das Ausmaß der Kürzungen aber habe wichtige Gesundheitsindikatoren massiv verschlechtert. So sei etwa die Kindersterblichkeitsrate zwischen 2008 und 2010 um 43 Prozent gestiegen.

Da in Griechenland eine Krankenversicherung nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit abläuft, hatte die Wirtschaftskrise verheerende Folgen für die Gesundheitsversorgung: Inoffiziellen Schätzungen zufolge haben nun zwei bis fast vier der insgesamt rund elf Millionen Griechen keine Krankenversicherung mehr.

Etats der Krankenhäuser schrumpft

Auch in den Krankenhäusern fehlt es an Geld. Die Etats der öffentlichen Krankenhäuser seien seit 2009 um 50 Prozent geschrumpft, sagt Charalampos Economou, Professor für Gesundheitspolitik an der Panteion Universität in Athen.

Auch die Arbeitsbedingungen der rund 8000 Kassenärzte im Land haben sich dramatisch verschlechtert; Ärzte warten seit Monaten auf Rückzahlungen des staatlichen Gesundheitsträgers EOPYY.

Private Organisationen versuchen, die Löcher in der Gesundheitsversorgung zu stopfen, die die Austeritätsmaßnahmen aufgerissen haben. So wie der Hamburger "Förder- und Freundeskreis Elliniko", der die gleichnamige Sozialklinik in Athen unterstützt, oder die Ehrenamtlichen von "Das Lächeln des Kindes", für die sich auch die Sanitäter Arvanitakis und Kapetanios engagieren.

Während in Deutschland ein Rettungswagen - den gesetzlichen Vorgaben entsprechend - meist nach einigen Minuten am Einsatzort eintreffe, herrschten in Griechenland weit schlechtere Bedingungen, hat Christos Kammilatos vom Führungsteam der Organisation beobachtet.

In Griechenland müsse man zwischen 45 Minuten und einer Stunde warten. "In der Zeit stirbt man zweimal." Eine Stadt wie Athen mit 3,5 Millionen Einwohnern braucht seiner Meinung nach rund 300 funktionierende Krankenwagen - es gebe aber nur 100.

Auf private Spenden angewiesen

Mit ihren acht Krankenwagen in Athen, Thessaloniki und auf Kreta bietet "Das Lächeln des Kindes" eine Leistung, die dringend benötigt wird. Sie transportieren ausschließlich Kinder: Nach eigenen Angaben waren es 690 in den ersten sechs Monaten dieses Jahres.

Aufträge aus öffentlichen Kliniken sind demnach im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2014 um 40 Prozent gestiegen. Zudem bietet die Einrichtung weitere Hilfs- und Gesundheitsprogramme. 90 Prozent des Jahresetats der Organisation von rund 13 Millionen Euro kommen von privaten Spendern.

Derweil sind die Sanitäter Arvanitakis und Kapetanios unterwegs zu ihrer nächsten Patientin: der 13-jährigen Ioanna. Sie wachte eines Morgens vor einem Jahr mit einer Lähmung auf. Über die Ursache rätseln die Ärzte noch immer. Einmal wöchentlich muss sie zur Physiotherapie - doch der Transport wäre ohne fremde Hilfe fast unmöglich.

"Skepsis und Sorge"

Nach einer freundlichen Begrüßung heben sie das Mädchen auf die Trage. Kapetanios, der mit der 13-Jährigen hinten im Krankenwagen sitzt, wechselt den Radiosender zu ihrer Lieblingsstation; Ioanna liebt Popmusik. Für Ioanna ist der Transport sichtlich anstrengend. Doch sie ist entschlossen, schnell gesund zu werden - und wie ein normaler Teenager zur Schule zu gehen.

Bis sich die Zustände in ihrer Heimat wieder normalisiert haben, könnte jedoch noch Zeit vergehen: "Bei den Gesprächen mit den Mitarbeitern herrschte große Skepsis und Sorge um die weitere Entwicklung im Gesundheitssektor", erzählte Hinrich Stechmann vom "Freundeskreis Elliniko" im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". "Man rechnet nicht mit schnellen Hilfen und einer Verbesserung der Lage."

Erst vor wenigen Tagen war der Hamburger bei dem griechischen Initiator der Sozialklinik, Dr. Giorgos Vichas, um Bargeld und Medikamentenspenden zu übergeben. Und um den Mediziner wieder aufzurichten: Er war nach dem starken Anstieg unversicherter Hilfesuchender zusammengebrochen und tastet sich nun erst langsam wieder an das Engagement heran. (mit Informationen von dpa)

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