Kathrin Vogler

"Wir brauchen eine öffentlich geförderte Pharmaforschung!"

Kathrin Vogler ist Gesundheitsexpertin der Linken. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" sagt sie: "Markt und Wettbewerb sind keine geeigneten Steuerungsinstrumente im Gesundheitswesen."

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Kathrin Vogler, Gesundheitsexpertin der Linksfraktion, ist seit 2009 Mitglied im Deutschen Bundestag.

Kathrin Vogler, Gesundheitsexpertin der Linksfraktion, ist seit 2009 Mitglied im Deutschen Bundestag.

© Stache / DPA

Ärzte Zeitung: Frau Vogler, Sie haben sich stark dafür eingesetzt, die aktuellen Strukturen der Unabhängigen Patientenberatung beizubehalten. Jetzt ist es anders gekommen…

Kathrin Vogler: Das hat mich von den Socken gehauen. Da bauen gemeinnützige Organisationen über Jahrzehnte hinweg in mühsamer Kleinarbeit, finanziert aus den Beiträgen ihrer Mitglieder, aus Spenden und manchmal auch aus öffentlichen Zuwendungen ein Netz von Beratungsstellen auf.

Wir haben uns ja auch stark gemacht für eine Verlängerung und für einen Ausbau der Förderung auf neun Millionen Euro im Jahr. Und an der Stelle kommt ein kommerzieller Anbieter ins Spiel, der nichts anderes als Geschäftsmodell hat als die Erschließung neuer, lukrativer Anlageformen.

Und der Patientenbeauftragte tritt dafür ein, diesem kommerziellen Anbieter den Zugang zur Patientenberatung und zu 63 Millionen Euro Versichertengeldern zu ermöglichen. Das ist ein Skandal.

Ist damit das Thema für Sie erledigt?

Vogler: Außer politischem Druck haben wir wenig Handhabe, daran etwas zu ändern. Meine Schlussfolgerung ist, dass man frühzeitig wieder an das Gesetz heran muss in den nächsten sieben Jahren.

Und dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Wir laufen Gefahr, einen großen Strukturverlust in der Patientenberatung zu erleben.

Frau Vogler, was bedeutet die Zuwanderung für die medizinische Versorgung? Was muss man tun?

Vogler: Eigentlich sind die Kommunen verantwortlich für die Versorgung dieser Bevölkerungsgruppe. Die können das aber gar nicht mehr leisten, weil in letzter Zeit so viele Stellen abgebaut worden sind, und der öffentliche Gesundheitsdienst auf dem letzten Loch pfeift.

Die fatale Entwicklung, den öffentlichen Gesundheitsdienst immer weiter herunter zu fahren, müsste daher völlig umgedreht werden. Es fängt ja schon bei den Eingangsuntersuchungen an.

Da fehlt es einfach. Ein weiteres Thema ist die Frage von Impfungen. Der Masernausbruch in Berlin hatte seinen Ausgang in Flüchtlingslagern. Wir haben jetzt wieder zwei Poliofälle.

Das kann man den Flüchtlingen nicht ankreiden. Man kann aber nachfragen: Ist denn der Öffentliche Gesundheitsdienst an der Stelle stark genug aufgestellt gewesen, um allen, die hier einreisen und dann in Massenunterkünften untergebracht werden, eine ordentliche Durchimpfung anzubieten? Das ist offensichtlich nicht der Fall gewesen.

Wie stehen Sie zur Ausgabe von Gesundheitskarten an Flüchtlinge?

Vogler: Wir setzen uns dafür ein, dass die Flüchtlinge eine Gesundheitskarte bekommen, mit der dann unbürokratisch abgerechnet werden kann.

Es ist ja ein Unding, wenn man vor dem Arztbesuch erst einem Beamten erklären muss, dass man wirklich krank ist. Die haben oft keine medizinische Ausbildung und können das gar nicht beurteilen.

Mehr Zuwanderung könnte ja auch Auswirkungen auf die Bedarfsplanung haben...

Vogler: …muss es auch…

Gleichzeitig hat das Statistische Bundesamt festgestellt, dass sich der Bevölkerungsschwund auch damit nicht stoppen lässt…

Vogler: Das Interessante ist ja, dass das Bundesamt Zahlen vorgelegt hat, die erstaunt haben, weil das in den Regionen sehr unterschiedlich ausfällt. Es gibt Regionen, in denen die Bevölkerung stark schrumpft, abzulesen zum Beispiel am Wohnungsmarkt.

Es gibt aber auch Kommunen, wo das überhaupt nicht der Fall ist, wo es jetzt schon positive Bevölkerungsprognosen gibt. Da muss man schauen, wie man damit umgeht. In meinem Wahlkreis ist das Krankenhaus derzeit geschlossen.

Wegen Insolvenz ist es auf null Betten herabgestuft worden. Gleichzeitig läuft die Landesbedarfsplanung, und es besteht die große Gefahr, dass das Haus geschlossen wird, obwohl es absehbar in der Zukunft wieder gebraucht wird.

Das muss man extrem kritisch betrachten. Wir werden nicht darum herum kommen, zu schauen, ob die Bedarfsplanung wirklich am Bedarf orientiert ist. Wir haben eine Schieflage.

Bei den niedergelassenen Ärzten ist das ja ganz offensichtlich. Der ländliche Raum, die armen Stadtteile sind extrem unterversorgt, während sich alles in den Zentren der Großstädte und in den Vierteln zusammenballt, wo viele Privatversicherte sich knubbeln.

Ich denke, da könnte man ruhig noch etwas verändern.

Wie können Sie als größte Oppositionspartei und -fraktion diese Punkte in den GBA-Prozess einspeisen?

Vogler: Es ist immer gut, wenn wir von außerhalb des Parlaments Unterstützung kriegen, sei es in Anhörungen, sei es durch Bürger, sei es durch Aktionen auf der Straße.

Das ist alles hilfreich. Unmittelbaren Einfluss auf den GBA haben wir als Politiker nicht. Das muss man so sagen.

Unser Ziel ist, die Vertretung der Patienten im GBA besser auszustatten, und so dafür zu sorgen, dass deren Stimme nicht mehr einfach übergangen werden kann.

Mit der Zuwanderung wachsen Ängste vor der Ausbreitung von Infektionskrankheiten, die wieder zu uns kommen und versorgt werden müssen. Damit zusammen hängt das Thema Antibiotikaresistenzstrategie. Wie beurteilen Sie die im Lichte der aktuellen Vorgänge?

Vogler: Grundsätzlich können wir viel von unseren Nachbarn in den Niederlanden lernen, zumindest, was das Krankenhaus angeht.

Man kann die Verbreitung von resistenten Keimen nicht eindämmen, wenn man nicht gleichzeitig etwas am Personalschlüssel ändert, wenn man nicht dafür sorgt, dass die Mitarbeiter genug Zeit haben, für die nötige Hygiene zu sorgen.

Das wird auch mit dem Krankenhausstrukturgesetz nicht besser. Zweitens muss man sehr kritisch auf die massenhafte Verfütterung von Antibiotika in der Tiermast gucken.

In meinem Wahlkreis tragen Leute, die aus der Landwirtschaft kommen, zu 100 Prozent resistente Keime. Der dritte Bereich ist, dass wir eine öffentlich geförderte Pharmaforschung brauchen.

Frau Fischer vom vfa meint, wir müssten das nicht nur aus Steuern finanzieren, sondern auch Abnahmegarantien geben. Wahrscheinlich kommt demnächst die Forderung, dass sich die Industrie von Haftungsrisiken freistellen lassen möchte.

Dann sollten wir lieber mit öffentlichen Mitteln selbst etwas entwickeln und dafür dann Lizenzen vergeben, als dem Erpressungskurs der Industrie zu folgen.

Ein Argument der Industrie ist, dass neue Antibiotika oft sehr kleine Einsatzgebiete haben…

Vogler: Machen wir uns nichts vor. Selbst wenn es Abnahmegarantien gibt, macht die Industrie doch nichts für Gottes Lohn, sondern nur, weil sie sich einen Profit erwartet. In den letzten Jahren hat die Industrie so gut wie gar nichts entwickelt.

Die Situation mit der massenhaften Verschreibung von Antibiotika hat auch damit zu tun, dass Pharmareferenten in den Praxen dafür geworben haben. Dann kann man nicht so tun, als hätte sie keine eigene Verantwortung für die jetzige Lage.

Es gibt eine nationale Antibiotikaresistenzstrategie. Halten Sie die für ausreichend?

Vogler: Nein, natürlich nicht. Da muss viel mehr passieren. Die Flüchtlinge bringen das Problem der antibiotikaresistenten Keime nicht mit. Das machen wir hier selbst.

Müssten die Aufnahmeländer die WHO darin stärker unterstützen, in den Lagern in Jordanien, Syrien, Irak zu impfen?

Vogler: Das wäre eine mögliche Strategie. Wäre aber zu spät. Für die Leute, die es bis hierher schaffen, sind wir ja ganz unmittelbar verantwortlich. Da müssen wir selber handeln.

Ein Problem ist natürlich, dass in von Krieg zerstörten Ländern als erstes das Gesundheitswesen den Bach runtergeht, und dort ganze Kindergenerationen aufwachsen, die noch nie einen Arzt gesehen haben. Und das Grundproblem des Kriegs kann man nicht über die WHO lösen.

Die Koalition arbeitet ein immenses Programm ab. Wie werten Sie das aus Sicht der Oppositionsführung. Was bleibt an Substanz übrig von diesem Feuerwerk an Gesetzen?

Vogler: Mangelnden Fleiß darf man diesem Ministerium wirklich nicht vorwerfen. Das Problem ist aber zweigestaltig. Man geht nicht an die Einteilung in gesetzlich und privat Versicherte heran.

Es werden große Gruppen nach wie vor nicht erreicht von unserem Gesundheitssystem, zum Beispiel Menschen ohne Wohnsitz, Zuwanderer aus Südosteuropa, Menschen, die sich trotz Versicherungspflicht eine Versicherung nicht leisten können.

Das andere Problem ist, dass in der Finanzreform die Arbeitgeberbeiträge eingefroren worden sind. Und alle künftige Steigerungen von den Arbeitnehmern bezahlt werden müssen.

Ein hoher Anreiz für das Ministerium und die Regierung auch die Interessengruppen großzügig aus den Mitteln der Kassen zu bedienen.

Geld soll auch in die Qualitätsausrichtung des stationären Sektors fließen…

Vogler: Da setzt die Regierung den fatalen Gedanken von Markt und Wettbewerb fort. Das sind Instrumente, die man bei Fernsehern und Kühlschränken anwenden kann, aber nicht bei Gesundheit.

Jetzt soll ein schlechtes Krankenhaus weniger Geld bekommen, damit eines mit guter Qualität mehr bekommen kann. Da stellt sich die Frage, was das soll.

Schlechte Krankenhäuser muss man einfach aus dem Markt nehmen. Sie werden garantiert nicht besser, wenn man ihnen das Geld kürzt.

Dann wird noch weniger Personal beschäftigt, der Arbeitsdruck und Fehler steigen. Das ist ein Grundfehler der Wahlperiode.

Warum stellt sich die Linke kategorisch gegen das E-Health-Gesetz?

Vogler: Da haben wir tatsächlich wenig Schnittstellen mit den anderen Parteien… Wir sind gegen den Aufbau einer zentralen Telematikinfrastruktur, in der Patientendaten von verschiedenen Stellen aus abrufbar sind. Das halten wir für anfällig.

Ich sehe zudem die Vereinfachung nicht. Wenn die eGK der Schlüssel zu all diesen Daten sein soll, und gleichzeitig - wie uns immer wieder beteuert wurde - der Patient die Hoheit über die Herausgabe seiner Daten behalten soll, dann ist ein Riesensicherheitsaufwand in den Arztpraxen, Krankenhäusern und Apotheken aufzubauen.

Und ich sehe noch gar nicht, wie Oma Schmitt mit 87 Jahren und einer fortschreitenden Makuladegeneration in einer Arztpraxis an einem so genannten Terminal ihre Daten verwalten soll.

Es gibt eine zunehmende Zahl von Menschen, die Gesundheits-Apps nutzen, die Daten bei Google hinterlegen oder bei Apple, weil sie kein Angebot über die Gesundheitskarte haben…

Vogler: Wenn man weiß, dass eine Firma an den Sicherheitssystemen für die Gematik-Infrastruktur mitgearbeitet hat, die zu dem Konzern gehört, für den Edward Snowden gearbeitet hat und für die National Security Agency der USA tätig war, dann stellt man sich die Frage, ob die Daten der Menschen in Deutschland auf den gematik-Servern sicherer liegen als bei Google.

Der Unterschied ist, dass ich als Patientin frei entscheiden kann, ob ich solche Apps nutze. Ich kann als gesetzlich Versicherte aber nicht mehr frei entscheiden, ob meine Daten in der gematik-Infrastruktur gespeichert werden, oder nicht.

Weil ich da als Kassenmitglied verhaftet bin. Meiner Ansicht nach gehören die Patientendaten in Patientenhand und bestenfalls noch in die Arztpraxis oder ins Krankenhaus und nicht in ein zentrales System.

Würden die Daten nicht eigentlich auch in die Forschung gehören?

Vogler: Das ist richtig. Das sollte aber nur anonymisiert gehen. Und es sollte gesichert sein, dass daraus ein öffentlicher Nutzen entsteht, dass also diese Forschung zum Allgemeinwohl beiträgt.

Mehr Daten für die Forschung unterstützen wir zum Beispiel bei Krebs- und anderen Registern.

Stichwort Antikorruptionsgesetz: Sie vertreten dort eine zweigeteilte Meinung. Ja zu einem Gesetz, aber…

Vogler: Ich finde es positiv, dass sich die Union an dieser Stelle sehr bewegt hat. In der letzten Wahlperiode haben die uns noch gesagt, dass es keinen Handlungsbedarf gäbe. Der Entwurf, den die Regierung jetzt vorgelegt hat, geht in die richtige Richtung.

Das sagen wir offen. Wir würden aber weiter gehen. Wir halten die Begriffe Bestechung und Bestechlichkeit für unzureichend. Bei der Bestechung muss man nachweisen, dass die Bestechung erfolgt ist, um ein bestimmtes Verhalten zum Nachteil der Patienten oder der gesetzlichen Kassen zu erzeugen.

Das wird schwierig, wenn wir nicht in jede Praxis einen Ermittler stellen. Deshalb hätten wir lieber die Tatbestände der Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung gesehen.

Das würde bedeuten, dass schon der Akt des Übereignens von Geschenken, denen keine Gegenleistung zugrunde liegt, erfasst wäre. Dann müsste man nur auf der Erscheinungsebene ermitteln.

Gibt es in der Gesundheitspolitik der Linken Anknüpfungspunkte, die eine Koalition in einer anderen Konstellation ermöglichen würden?

Vogler: Dass die SPD ihr Herz für die Parität wieder entdeckt hat, habe ich mit großer Freude wahrgenommen.

Da sie es waren, die die Parität gemeinsam mit den Grünen abgeschafft haben, muss man immer wieder überprüfen, ob solche Vorschläge ernst gemeint sind und ob sie nach den Wahlen noch gelten sollen.

Ich bin da skeptisch, weil ich an vielen Stellen auch bei SPD und Grünen sehe, dass die Elemente Markt und Wettbewerb bei der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens im Vordergrund stehen.

Das sind für uns als Linke keine geeigneten Steuerungsinstrumente im Gesundheitswesen.

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