Großbritannien

Die Probleme überdauern den Ärzte-Streik

Die Regierung Cameron will Englands Assistenzärzten einen neuen Arbeitsvertrag aufzwingen. Der Ärger darüber wächst: Erstmals in der Geschichte des staatlichen Gesundheitswesens ist jetzt die Notfallmedizin bestreikt worden. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:

LONDON. Britische Krankenhäuser dürften am Donnerstag einen wahren Patientenansturm erleben. Kliniken zwischen London und Liverpool hatten am Mittwoch vorsorglich Patienten gewarnt, in den Kliniken des staatlichen Gesundheitsdienstes (National Health Service, NHS) "viel extra Zeit" mitzubringen, da mit besonders langen Wartezeiten zu rechnen sei.

Der Grund dafür ist nicht etwa eine späte Grippewelle oder andere plötzlich auftretenden Massenerkrankungen - der Grund ist ein 48-stündiger Ärztestreik, der Mittwochabend um 17 Uhr zu Ende ging.

Zwei Tage lang hatten am Dienstag und Mittwoch im gesamten Königreich rund 45.000 staatliche NHS-Assistenzärzte die Arbeit niedergelegt.

Erstmals in der Geschichte des staatlichen Gesundheitswesens waren auch Notoperationen sowie Intensivstationen betroffen. Und: Die Zahl der Streikenden war deutlich höher, als dies angenommen worden war.

Die NHS-Kliniken erwarten nach Streikende nun einen Patientenansturm, da an den beiden Streiktagen viele Patienten bewusst einen Gang ins Krankenhaus vermieden hatten, um den Service nicht noch zusätzlich zu belasten. Dieser Rückstau muss jetzt abgearbeitet werden.

Der Streik der Junior Doctors bedeutet zugleich eine Zäsur nicht nur in der britischen Nachkriegsgeschichte; er zeigt auch deutlich, wie verbittert sich inzwischen die britische Ärzteschaft und die Gesundheitspolitiker gegenüberstehen - zum Leidwesen der Patienten...

Dienstag und Mittwoch waren in Großbritannien rund 100.000 fachärztliche Konsultationen sowie mehr als 13.000 routinemäßige Operationen vorsorglich abgesagt worden, weil landesweit Zehntausende Assistenzärzte nicht zur Arbeit erschienen waren.

Plakat "Feuert den Gesundheitsminister!" zu sehen

Stattdessen positionierten sich viele Jungärztinnen und -ärzte vor den Kliniken, um mit Plakaten gegen die Reformpläne der Regierung Cameron zu protestieren. "Rettet unseren NHS" und "Feuert den Gesundheitsminister!" stand da zu lesen.

Umstritten ist in erster Linie ein neuer Arbeitsvertrag für die Assistenzärzte. Gesundheitsminister Jeremy Hunt besteht darauf, diesen Vertrag gegen den Willen der Ärzteschaft durchzusetzen. Der Vertrag regelt Arbeitszeiten, Wochenenddienstbereitschaft, Vertretungsdienste, Honorare und anderes und er wird von der britischen Ärzteschaft strikt abgelehnt.

Die Ärzte argumentieren, die Arbeitszeiten würden durch den Vertrag deutlich verlängert.

Das sei "unfair" und "gefährdet Patientenleben", da überlange Arbeitszeiten leichter zu Kunstfehlern führten, da die Ärzte übermüdet seien. Das Londoner Gesundheitsministerium argumentiert dagegen, dass Großbritannien im Jahr 2016 "ein 24-stündiges, gut funktionierendes Gesundheitswesen" brauche und dass die Ärzteschaft diesem Ziel entgegenstünde.

Vor dem jüngsten Streik hatten die britischen Assistenzärzte bereits viermal für dasselbe Ziel, nämlich den neuen Arbeitsvertrag zu kippen, gestreikt.

Damals aber waren die Notfall-und Intensivstationen nicht betroffen. Die Tatsache, dass sich die Ärzte jetzt dafür entschlossen, auch die Notfallmedizin zu bestreiken, zeigt, wie ernst es den Medizinern ist, den neuen Arbeitsvertrag zu stoppen.

"Die Ärzteschaft ist es leid, immer länger zu arbeiten, dafür nicht angemessen honoriert zu werden und somit die schmutzige Spar-Arbeit der Regierung zu erledigen, so ein Sprecher des größten britischen ärztlichen Berufsverbandes (British Medical Association, BMA) am Mittwoch gegenüber der "Ärzte Zeitung".

Und: "Wir werden nicht nachgeben und notfalls immer wieder die Arbeit verweigern."

Ärztschaft zieht geschlossen an einem Strang

Erstaunlich ist vor allem, wie radikal die Assistenzärzte inzwischen auftreten. Dabei muss gesagt werden, dass weder die BMA noch die britischen Assistenzärzte bislang als besonders streik- oder konfrontationsfreudig gelten.

"Ich habe nie viel von Ärztestreiks gehalten, denn ich finde, Ärzte haben eine große Verantwortung ihren Patienten gegenüber", sagte die Londoner Assistenzärztin Caroline Bradby der "Ärzte Zeitung". "Aber dieser neue Arbeitsvertrag und die damit verbundenen, viel zu langen Arbeitszeiten lassen mir keine andere Wahl."

Klar ist bislang zweierlei: Zum einen hat es in der britischen Gesundheitspolitik der vergangenen 30 Jahre selten ein Thema gegeben, bei dem die Ärzteschaft derart massiv und geschlossen an einem Strang zieht. Die BMA kündigte am Mittwoch bereits weitere Streiks an.

Gleichzeitig ist klar, dass die britische Öffentlichkeit auch nach den jüngsten Arbeitsniederlegungen in den Kliniken weiterhin mehrheitlich auf der Seite der Ärzte steht.

Jüngste Meinungsumfragen zeigen zwar, dass die Zustimmung im Vergleich zum Jahresbeginn leicht gesunken ist - aber sie liegt immer noch deutlich über 50 Prozent.

Unklar ist hingegen, wie es jetzt weiter geht. Zwar bot Gesundheitsminister Jeremy Hunt den Ärzten am Mittwoch erneut Gespräche zur Lösung des Konflikts an. Allerdings stellte der Minister fest, dass er den neuen Arbeitsvertrag "in jedem Fall" und "notfalls gegen den Willen" der Assistenzärzte durchsetzen werde. Damit ist ein Ende der Ärztestreiks in Großbritannien nicht in Sicht...

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