Drogentote

Amerikas Drogenkrise fordert immer mehr Todesopfer

Die Zahl der Drogentoten in den Vereinigten Staaten ist in den vergangenen Jahren nach oben geschnellt. Trotzdem setzt sich nur langsam die Erkenntnis durch, dass die Süchtigen dringend Hilfe brauchen.

Von Claudia Pieper Veröffentlicht:
Imemr mehr Drogentote sind in den USA zu beklagen.

Imemr mehr Drogentote sind in den USA zu beklagen.

© yacobchuk / iStock

Washington. Jim Hood lebte den amerikanischen Traum. In zweiter Ehe verheiratet , Vater von vier Kindern, Abschlüsse von zwei renommierten Universitäten, gute Karriere. Doch dann begann der Albtraum: Sein ältester Sohn Austin, Kind aus erster Ehe, fing an, ihm Sorgen zu machen: Mit 14 trank er Alkohol, dann kam Marihuana dazu. Wenig später stieg Austin auf härtere Drogen um.

Jim Hood, der ein enges Verhältnis zu seinem Sohn hatte, kümmerte sich, bezahlte für ambulante Therapien, dann auch Klinikaufenthalte, gab nach eigenen Angaben eine halbe Million Dollar aus, in der Hoffnung, dass sein Sohn geheilt würde. Endlich, im Alter von 20 Jahren, schien es Austin besser zu gehen. Er sprach davon, zurück an die Uni zu gehen, sogar einen Masterabschluss anzustreben. Doch dann kam der Anruf, der laut Hood "alle Eltern in die Knie gehen lässt": Sein Sohn war tot, an einer Drogenüberdosis gestorben.

Hood ist mit seiner tragischen Geschichte nicht allein. Millionen von Angehörigen fürchten sich in den Vereinigten Staaten vor solch einem Anruf, weil jemand, dem sie nah stehen, abhängig ist.

52.404 Menschen starben im Jahr 2015 in den USA an einer Überdosis – das sind 144 Tote am Tag.

21.823 Todesfälle wurden durch illegale Drogen verursacht – ein steiler Anstieg im Vergleich zu 8408 im Jahr 2010.

29.728 Überdosisopfer starben an den Folgen eines Medikamentenmissbrauchs (22.134 im Jahr 2010).

Austins Fall spiegelt wider, was sich im Leben vieler amerikanischer Abhängiger abspielt: Erst missbrauchen sie verschreibungspflichtige Medikamente, später steigen sie auf illegale Drogen um.

Ein tödliches Comeback

Vor allem Heroin hat in den USA ein tödliches Comeback erlebt. Lange war es einfach, an allzu lax verschriebene Schmerzmittel zu gelangen, bis eine strengere Regulierung dem breiten Zugang einen Riegel vorschob. Seitdem sehen sich Abhängige nach anderen Opioiden um, und Heroin ist eine vergleichsweise günstige, auf dem Schwarzmarkt leicht erhältliche Droge. Hauptsächlich aus Mexiko und Südamerika eingeschmuggelt, ist ein Päckchen Heroin schon für unter zehn Dollar zu haben. Der niedrige Preis und hohe Rauschfaktor machen die Droge attraktiv: Zwischen 2007 und 2014 hat sich die Zahl der Amerikaner, die zum ersten Mal Heroin ausprobierten, von 106.000 auf 212.000 verdoppelt.

Obwohl sie billig an Heroin herankommen, bezahlen Nutzer einen hohen Preis: Geschätzte 23 Prozent sind gleich nach dem ersten Schuss abhängig; ein Wegkommen von der Droge ist so schwer, dass der Rückfall vorprogrammiert ist: Unter denen, die sich in Drogentherapie begeben, waren 78 Prozent schon einmal in Behandlung, 27 Prozent davon sogar fünfmal oder öfter.

Außerdem ist Heroin die bei weitem tödlichste Droge. Über 10.500 Menschen starben im Jahr 2014 an den Folgen einer Heroinüberdosis, obwohl die Zahl der Heroinabhängigen zehnmal geringer ist als die der Medikamentenabhängigen.

Eine neue Gefahr stellt die Beimischung anderer Stoffe dar. Fentanyl, ein bis zu 100 mal stärkeres Schmerzmittel als Morphin, sorgt bei Heroinabhängigen für noch intensivere Rauscherfahrungen, ist aber so potent, dass es selbst bei erfahrenen Heroinnutzern oft zum Atemstillstand führt. Fentanyl wird mit verantwortlich gemacht, dass die Todesfälle durch Heroin in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt sind: von 2010 bis 2014 um 248 Prozent.

Trumps Wähler-Klientel

Von der Überdosiskrise am schlimmsten betroffen sind der Mittlere Westen und Nordosten der USA. Die "Drogen-Epidemie" ist dort so allgegenwärtig, dass sie neben privatem Unheil auch politische Implikationen mit sich gebracht hat: Wählerstatistiken haben nach der Präsidentschaftswahl ergeben, dass Donald Trump in Landkreisen, die besonders von der Drogenkrise betroffen sind, viel besser abgeschnitten hat als sein Vorgänger Mitt Romney.

Mögliche Erklärung: Trump erwähnte den Mauerbau an der Grenze zu Mexiko und Pläne zur Ausweisung illegaler Immigranten immer wieder im Zusammenhang mit Drogenkartellen. Im Juni sagte Trump in Ohio, einem der am schlimmsten betroffenen Bundesstaaten: "Wir brauchen die Mauer. (...) Wir werden es nicht länger zulassen, dass massenweise Drogen in unser Land gebracht werden und unsere Jugendlichen kaputt machen." Und kurz vor der Wahl in New Hamphire: "Eine Mauer wird nicht nur gefährliche Drogendealer fernhalten, sondern auch (...) das Heroin, das unsere Jugendlichen vergiftet."

Die Rhetorik scheint in den krisengeschüttelten Wahlkreisen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Die Frage ist: Kann das Drogenproblem gelöst werden, indem aggressiv gegen das Drogenangebot vorgegangen wird – ganz zu schweigen von der Frage, ob Mauerbau und breite Ausweisung wirklich die Verringerung des Drogenangebots mit sich bringen?

Erkenntnis: Sucht ist eine Krankheit

Experten sind sich einig, dass der effektivere Kampf gegen die Drogen auf der Nachfrageseite beginnen muss. Hier schneiden die Vereinigten Staaten äußerst schlecht ab. Von den mehr als 27 Millionen Drogenabhängigen in Amerika ist nur ein Zehntel in Behandlung. Sehr langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Sucht eine Krankheit ist, die es zu heilen gilt.

Jahrzehntelang sind Drogenabhängige nach Delikten, wie zum Beispiel Drogenbesitz oder kleinem Diebstahl, statt in der Therapie im Gefängnis gelandet, nur um nach abgesessener Zeit gleich wieder ins Milieu zurückzukehren. Behandlungszugang im Gefängnis gibt es selten.

Es gibt aber hoffnungsvolle Zeichen der Veränderung: In seltener zwischenparteilicher Einigkeit verabschiedete der Kongress im Juli 2016 ein Gesetz, das eindeutig einen Wandel anstrebt. Der "Comprehensive Addiction and Recovery Act" (CARA) soll unter anderem dafür sorgen, dass Süchtige nach kleinen Delikten vom Gerichts- und Vollzugssystem in die Therapie umgeleitet werden, behandlungsunterstützende Medikamente wie Methadon und Buprenorphin in der Therapie breiter zugänglich sind und das nach Überdosen lebensrettende Mittel Naloxon nicht nur von Polizisten und Sanitätern, sondern auch Privatpersonen wie Angehörigen eingesetzt werden kann.

Im November veröffentlichte der US-Sanitätsinspekteur Dr. Vivek H. Murthy den bahnbrechenden Bericht "Facing Addiction in America", der ebenfalls zu einem Paradigmawandel aufruft. Abhängigkeit sei bisher zumeist als moralische Verfehlung oder gar als rebellische Verweigerung gesellschaftlicher Normen missverstanden worden, so Murthy. Jetzt sei es an der Zeit, das Suchtproblem als Krankheit anzuerkennen und dementsprechend anzugehen.

Der Kongress agierte im Dezember erneut in Einigkeit und machte im Rahmen des "21st Century Cures Act" für die nächsten zwei Jahre eine Milliarde Dollar für die Suchtbekämpfung der Bundesstaaten locker.

Jim Hood fragt sich, ob sein Sohn heute noch leben würde, wenn ihn nicht Stigma und Scham daran gehindert hätten, nach dem letzten Rückfall Hilfe zu suchen. Hood engagiert sich mittlerweile in Vollzeit für die Sache: Er hat die gemeinnützige Organisation "Facing Addiction" mitgegründet, die es sich zum Ziel gesetzt hat, nicht nur Süchtige und ihre Familien zu unterstützen, sondern auch den gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit der Sucht weiter voranzutreiben.

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