Vereinigte Staaten

Aus von Obamacare macht Vielen Sorge

US-Präsident Trump will die Gesundheitsreform seines Vorgängers Obama abschaffen – und ein neues Versorgungssystem etablieren. Wie nehmen US-Bürger diese Ankündigung wahr? Die "Ärzte Zeitung" sprach vor Ort mit Betroffenen.

Von Jana Kötter Veröffentlicht:
Demonstration in Los Angeles: Zahlreiche US-Bürger gehen gegen ein Obamacare-Ende auf die Straße.

Demonstration in Los Angeles: Zahlreiche US-Bürger gehen gegen ein Obamacare-Ende auf die Straße.

© Palabiyikoglu / dpa

MINNEAPOLIS. Das Ende von Obamacare könnte – zumindest im Hintergrund des politischen Geschehens – Formen annehmen: Nach den Worten des neuen US-Präsidenten Donald Trump liegt ein erster Vorschlag für Amerikas neue "großartige Gesundheitsversorgung" vor. Ohne näher auf konkrete Inhalte einzugehen, versprach Trump bisher aber lediglich "niedrigere Zahlen" und "deutlich niedrigere Selbstbeteiligungen". Der Vorschlag sei bereits sehr weit ausformuliert, sagte er amerikanischen Medienberichten zufolge.

Der Mangel an konkreten Informationen und die Tatsache, dass die künftige Gesundheitsversorgung in den USA damit zunächst eine "Black Box" bleibt, bereitet aktuell vielen Bürgern Sorge. Das zeigt sich – trotz unterschiedlicher Gefühle auch in Bezug auf Obamas Gesundheitsreform – bei einer Umfrage der "Ärzte Zeitung" in den US-Bundesstaaten Minnesota und Wisconsin.

Bereits im Wahlkampf war das Ende der Gesundheitsreform seines Vorgängers Barack Obama ein zentrales Thema Trumps (die "Ärzte Zeitung" berichtete). Mit der Benennung von Tom Price, einem bekannten Obamacare-Gegner, zum neuen Gesundheitsminister erhärteten sich nach der Wahl dann die Hinweise auf ein Aus der Reform, die in den vergangenen Jahren etwa 20 Millionen Amerikanern zusätzlich Krankenversicherungsschutz verschafft hatte.

„Ich habe große Angst vor dem, was jetzt kommt“

Zelma Powler (64), Rentnerin in Minneapolis (Minnesota), ist über eine Obamacare-Police versichert. © Jana Kötter

Zelma Powler (64), Rentnerin in Minneapolis (Minnesota), ist über eine Obamacare-Police versichert. © Jana Kötter

© Jana Kötter

Zelma Powler hat große Sorgen, dass sich ihre Situation unter Präsident Donald Trump verschlechtern wird. Die 64-Jährige, die lange als Hausmeisterin für eine wohltätige Organisation gearbeitet hat, ist nach eigenen Angaben auf Obamacare angewiesen, seit sie in Ruhestand ist. Ihre Rente liegt bei 209 Dollar im Monat – hinzu kommen 667 Dollar staatliche Unterstützung. „Hätte ich nicht mein eigenes Haus, wäre meine Situation noch viel schlimmer“, erklärt die in Minneapolis geborene Rentnerin.

Bisher, erzählt Powler im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“, sei ihre Krankenversicherung durch die staatliche Unterstützung mit abgedeckt gewesen. „Jetzt habe ich aber einen Brief bekommen. In diesem steht, dass mir monatlich 143 Dollar abgezogen werden sollen, um davon Gesundheitsleistungen zu bestreiten“, sagt sie sichtlich verzweifelt. „Und das, wo ich doch ohnehin schon so wenig Einkommen habe.“ Aktuell sei sie daher am Klären, was genau es mit dem Brief auf sich habe.

Dass Trump Obamacare abschaffen will, macht Powler und vielen ihrer Bekannten große Sorge, erzählt sie. „Niemand weiß, was wirklich an die Stelle treten soll – und wie es damit für Menschen wie uns weitergeht.“ Bereits heute decke die Versicherung nur das Nötigste ab, oft sind drastische Zuzahlungen nötig. „Ich habe große Angst, dass sich meine Situation noch weiter verschlechtern wird.“

Powler ist eine von rund 20 Millionen Amerikanern, die über eine Obamacare-Police in die Krankenversicherung gelangt sind. Für Geringverdiener ist eine staatliche Unterstützung für die Policen möglich. Bald hat Powler aber eine neue Aussicht: Ab einem Alter von 65 Jahren können sich Rentner über das staatliche Programm Medicare – nicht zu verwechseln mit dem steuerfinanzierten Fürsorgeprogramm Medicaid – versichern. Medicare ist die öffentliche Versicherung für US-Bürger ab 65 Jahren oder mit Behinderung.

„Firmen sollten verpflichtet werden, Policen anzubieten“

Ethan Merther (37), Dachdecker in Minneapolis (Minnesota), ist gemeinsam mit seinen vier Kindern über die Anstellung seiner Frau versichert. © Jana Kötter

Ethan Merther (37), Dachdecker in Minneapolis (Minnesota), ist gemeinsam mit seinen vier Kindern über die Anstellung seiner Frau versichert. © Jana Kötter

© Jana Kötter

Ethan Merther ist – verglichen mit vielen seiner Landsleute – in einer glücklichen Situation. Der 37-Jährige ist gemeinsam mit seinen vier Kindern über seine Frau Sandy versichert. „Ich habe lange geprüft, was die günstigste Möglichkeit ist, aber über meine Firma würden wir noch mehr zahlen“, sagt der Dachdecker. Seine Frau ist Krankenschwester und damit in einer sicheren Anstellung. Für die Familienversicherung zahlt sie 600 Dollar im Monat, der Arbeitgeber gibt ebenso viel dazu. „Das ist schon eine Summe“, meint Ethan. „Vor allem, weil damit auch nur die Basisleistungen abgedeckt sind und wir dann noch weiter dazu zahlen müssen, wenn wirklich etwas ist.“

Oft habe er das Gefühl, dass das System gar keine richtige Versicherung sei. Trotzdem sei es wichtig, dass alle Amerikaner einen Versicherungsschutz hätten, sagt Merther. Soziale Programme wie Obamacare hält er aber nicht für den richtigen Weg: „Es wäre viel besser, wenn mehr Menschen in Anstellungen gebracht würden und die Arbeitgeber dazu verpflichtet wären, zu versichern“, sieht er eine mögliche Lösung. Denn aktuell ist es für Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern eine freiwillige Leistung, einen Versicherungsschutz anzubieten, was eine Lücke im System lässt und Versicherte in den für sie oft unübersichtlichen „Tarif-Dschungel“ leitet.

Dass Präsident Trump für das Problem die Lösung parat hat, sieht Merther aktuell nicht. Er hat Trump nicht gewählt, bemüht sich jedoch um Diplomatie: „Das Problem an seiner Person ist, dass Trump weiß, wie er Menschen begeistert“, erklärt Merther seinen Standpunkt. „Konkrete Konzepte dagegen fehlen bis jetzt, vor allem etwa bei der Abschaffung von Obamacare.“ Auch wenn er und seine Familie von der Abschaffung von Obamacare nicht betroffen wären, beobachtet der 37-Jährige aufmerksam, was sich unter dem neuen Präsidenten tun wird. „Man weiß ja nie, was noch kommt.“

„Obamacare-Policen sind für uns nicht erschwinglich“

Alex Leslie (32), Angestellte in Cable (Wisconsin), ist nicht über ihren Arbeitgeber krankenversichert – hofft aber, bald in die Versicherung ihres Ehemanns Tom einsteigen zu können. © Jana Kötter

Alex Leslie (32), Angestellte in Cable (Wisconsin), ist nicht über ihren Arbeitgeber krankenversichert – hofft aber, bald in die Versicherung ihres Ehemanns Tom einsteigen zu können. © Jana Kötter

© Jana Kötter

Alex Leslie ist in einer Situation, die viele Deutsche beunruhigen würde: Die 32-Jährige erwartet im Juli ihr erstes Kind. „Gleichzeitig ist es das erste Mal, dass ich keine Krankenversicherung über meinen Arbeitgeber habe“, sagt Leslie. Sie arbeitet für eine kleine Tourismus-Marketingagentur; wegen der Größe des Unternehmens wird keine Police angeboten. „Das ist in der Tat beängstigend“, bestätigt auch die Amerikanerin – obwohl ihr die „Vollkasko-Mentalität“ vieler europäischer Besucher von Haus aus fremd sei.

Für Leslie ist das Wichtigste, dass ihr Kind zunächst abgesichert sein wird. Ein staatliches Programm übernehme die Gesundheitsleistungen in den ersten Monaten, erklärt sie. Danach müsse sie gemeinsam mit ihrem Partner prüfen, ob eine Versicherung über ihn in Frage komme – doch das sei aktuell wegen der neuen Anstellung von Partner Tom, der noch in der Probezeit ist, nicht möglich. Das Paar ist kein Fan von Obamacare. „Das Ziel ist eine Gesundheitsversorgung, die für alle erschwinglich ist“, sagt Leslie. „Doch das ist es für uns als junges Paar eben nicht. Die Beiträge sind viel zu hoch, sie sind auch extrem gestiegen.“

Leslie und Tom wissen, wie problematisch der 2010 in Kraft getretene „Affordable Care Act“ gerade dann werden kann, wenn eine Vorerkrankung herrscht. Denn das Gesetz verbot Versicherungen zwar, Menschen mit Vorerkrankungen von einer Krankenversicherung auszuschließen – doch das System krankt an gestiegenen Versicherungsbeiträgen.

Wegen Toms Vorerkrankung – bei ihm war vor drei Jahren Prostatakrebs diagnostiziert worden – müssten sie als Paar etwa 1200 Dollar im Monat zahlen, sagt Leslie. „Das können wir uns nicht leisten.“ Sie verzichtet daher trotz Schwangerschaft auf einen Versicherungsschutz, Tom bezieht über seinen Arbeitgeber eine Basis-Police. „Unser System mit den verschiedenen Tarifen kann sehr verwirrend sein – auch für uns.“

„Ich finde es gut, dass Trump etwas Neues schaffen will“

Mike (52) aus St. Paul (Minnesota) jobbt in einem kleinen Café. Er hat aktuell keine Krankenversicherung. © Jana Kötter

Mike (52) aus St. Paul (Minnesota) jobbt in einem kleinen Café. Er hat aktuell keine Krankenversicherung. © Jana Kötter

© Jana Kötter

Mike, der weitestgehend anonym bleiben möchte, hat keine Krankenversicherung. Bis vor drei Monaten war der 52-Jährige, der in einem kleinen Café in St. Paul jobbte, über Obamacare abgesichert. Doch dann hat er wichtige Formulare mit Fragen zu seinem Gesundheitszustand nicht an den Krankenversicherer zurückgesendet. „Da haben sie mich einfach rausgeschmissen, und nehmen mich jetzt auch nicht wieder auf“, sagt Mike empört. Seinen Angaben zufolge wurden ihm die Papiere jedoch nie zugestellt.

Bei Mike hat sich nicht erst mit dem Rausschmiss aus der Krankenversicherung Resignation breitgemacht. „Obamacare ist Mist, Trump ist Mist“, meint er. Vor Kurzem musste er in eine Klinik, weil Magenbeschwerden auch nach Wochen nicht nachließen. „Ich konnte es mir aber auch nicht leisten, von der Arbeit fernzubleiben“, erklärt er. Die Rechnung betrug laut seinen Angaben 700 Dollar. „Für mich war das nicht einfach zu stemmen.“

Dass Trump Obamacare abschaffen und mit etwas Neuem ersetzen will, findet Mike zunächst gut. „Das System, so wie es aktuell läuft, funktioniert nicht. Viele – wie ich – können sich eine gute Gesundheitsvorsorge nicht leisten.“ Die Frage ist nur, was dann kommt: Dass Trump wirklich eine bezahlbare Versicherung für alle schafft, bezweifelt er. „Aber viel schlechter als jetzt kann es nicht mehr werden. Etwas Neues ist also erst einmal gut.“

Rund 45 Millionen US-Bürger sind wie Mike nach wie vor nicht krankenversichert – trotz Obamacare. Die Sozialreform sieht eine Versicherungspflicht vor, die in der Realität jedoch nicht umzusetzen ist. So können sich Schätzungen zufolge 56 Prozent der Nichtversicherten eine Krankenversicherung nicht leisten, erfüllen aber auch nicht die Voraussetzungen für ein staatliches Hilfsprogramm. Betroffen sind auch Frührentner, die noch zu jung für eine Versicherung bei Medicare (siehe Zelma Powler) sind.

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