Leitartikel

Wider die Dämonisierung der Gesundheitswirtschaft

Auch unter Ärzten geistert die Angst vor anonymen Kräften aus der Finanzindustrie, die sich der Medizin bemächtigt. Tatsache ist: Das Gesundheitssystem ist in wichtigen Teilen unterkapitalisiert, wertvolle Arbeit wird verschwendet.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

Es "findet ein schleichender Übergang statt in eine medizinische Realität, in der zunehmend nicht mehr medizinisch-fachliche oder medizinisch-ethische Kriterien die Therapie in erster Linie bestimmen, sondern die Gewinninteressen der Investoren, der gesetzlichen Krankenkassen und anderer Beteiligter. Das wiederum ist eine Folge dessen, was ich in meinem Buch ,Finanz-Feudalismus‘ genannt habe."

In einem Interview der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 17. Juni beklagt der Medizinhistoriker Professor Paul Unschuld, die globalen Finanzmarktstrukturen wirkten sich auf das Gesundheitswesen aus, "das seit geraumer Zeit ganz bewusst und explizit in eine industrielle Gesundheitswirtschaft umgeformt wird".

Berechtigte Sorge oder Dämonisierung einer Entwicklung, die in dieser Woche besondere Bedeutung erlangt? Die Gesundheitswirtschaft steht im Fokus des Hauptstadtkongresses, der von Mittwoch bis Freitag stattfinden wird und zu dem rund 8000 Ärzte, Gesundheitspolitiker, Manager und Funktionäre der Medizin zusammentreffen werden.

Erstaunlich, aber auch erklärlich ist, in welchem Ausmaß sich Ängste entwickeln und erhalten - auch bei Menschen, denen eine hohe Intelligenz nicht abgesprochen werden kann.

Wie im Falle des Medizinhistorikers Unschuld, der anonyme fremde Mächte in die Medizin einziehen sieht.

Das Problem wachsender Komplexität

In der Tat: Beängstigen kann die Komplexität der Gesundheitswirtschaft. Keine andere Branche verfügt über eine solche Vielfalt von Wirtschaftsformen: Es gibt Ärzte und Apotheker, die als Freiberufler auf eigenes Risiko mit wenigen Mitarbeitern tätig sind.

Das Spektrum reicht über Gemeinschaftspraxen und Medizinischen Versorgungszentren bis hin zu ärztlich geführten Labor-Unternehmen mit bis zu dreistelligen Millionen-Umsätzen. Eigentümer von Krankenhäusern sind Kommunen, Bundesländer, Kirchen oder private Kapitalgeber.

 Oder: Die Spannbreite in der pharmazeutischen Industrie reicht vom kleinen mittelständischen Unternehmen, das sich vielleicht auf eine Nische im Markt der Phytopharmaka spezialisiert hat und spezifische Patientenwünsche befriedigt, bis hin zu forschenden internationalen Unternehmen, für die der deutsche Markt nur einer unter vielen ist.

Wegen des besonderen und für den einzelnen nicht kalkulierbaren Risikos einer Erkrankung, bedarf die Gesundheitswirtschaft notwendigerweise der Versicherungswirtschaft, um die Kosten für den einzelnen kalkulierbar zu machen. Organisiert ist dies von privaten Versicherungsunternehmen und über hundert gesetzlichen Krankenkassen.

Dabei lässt sich folgender Zusammenhang feststellen: Das höchste Vertrauen genießen Personen und Institutionen, die - vor allem für Patienten - unmittelbar erfahrbar sind. Das gilt natürlich vor allem für Ärzte und Apotheker. Je größer und komplexer eine Institution wird, umso anonymer, weniger greifbar, weniger vertrauenswürdig wird sie.

Arbeitsverschwendung durch Kapitalmangel

Es ist freilich sinnlos, der Vergangenheit nachzutrauern, in der alles vertraut schien und eine dämonische Zukunft zu bejammern, die von vermeintlich anonymen Mächten gesteuert wird.

Allein aufgrund von Innovationen und wachsender Leistungsfähigkeit werden die Medizin und die Prozesse medizinischer Leistungserstellung komplexer. Die Zentrenbildung wird zunehmen, vor allem in der stationären Versorgung.

Und in der ambulanten Versorgung wird es in wenigen Jahren nicht mehr an jedem Ort den Hausarzt um die Ecke geben, sondern ein Versorgungszentrum. Und es werden immer weniger Ärzte bereit sein, in eine eigene Praxis zu investieren.

Das stellt die Akteure in der Gesundheitsversorgung vor zwei große Herausforderungen:

Erstens müssen sie das zweifellos noch vorhandene Vertrauen der Bürger sichern und einem möglichen Vertrauensschwund durch wachsende Anonymisierung und Komplexität entgegenwirken.

Dazu ist es erforderlich, dass sich Ärzte und Ökonomen verständigen. Ärzte werden begreifen müssen, dass bei begrenzten Ressourcen ökonomische Prinzipien wirksam werden müssen, um eine (unethische) Verschwendung zu vermeiden. Aber jede Ökonomie wird hohl, wenn sie nicht dazu dient, Leistung und ihre Qualität zu sichern.

Die zweite Herausforderung ist die Unterkapitalisierung von großen Teilen der medizinischen Versorgung. Traditionell wurde fast jede Praxis auf Kredit finanziert, in der Erwartung, über künftig verdiente Honorare Zins und Tilgung zu bedienen.

Viele Kliniken sind unterfinanziert

Viele junge Ärzte werden dazu nicht mehr bereit sein. Unterkapitalisiert sind aber auch viele, insbesondere kommunale Krankenhäuser. Wie sehr dort über Jahrzehnte hinweg aus der Substanz gewirtschaftet worden ist, wird der Krankenhaus-Ratingreport zeigen, der am Donnerstag beim Hauptstadtkongress vorgestellt werden wird.

Der Staat hat als Investor versagt. Und gerade dies verdeutlicht, wie notwendig private Investoren auch in der Gesundheitswirtschaft sind.

Ein Gutteil der Beschwernisse, über die Ärzte in Krankenhäusern klagen, sind verursacht durch einen Modernisierungsstau bei Bauten und Technik. Das führt zu unnötiger, ineffizienter Arbeit.

Es geht immerhin um die größte und beschäftigungsintensivste Branche Deutschlands. Dazu ein Vergleich.

Die Gesundheitswirtschaft trägt sieben Prozent zum deutschen Exportwert von 1,1 Billionen Euro bei. Der wichtigste Exporteur ist dabei die pharmazeutische Industrie mit 54 Milliarden Euro. Rüstungsexporte kommen lediglich auf 5,8 Milliarden Euro.

Nicht Panzer, sondern Gesundheit sind ein Exportschlager aus Deutschland.

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