Interview mit BG Klinik-Chef

"Wir arbeiten noch am Behandlungserfolg, wenn andere aufgegeben haben"

Seit Januar arbeiten die Berufsgenossenschaftlichen Kliniken unter einem Unternehmensdach. Die "Ärzte Zeitung" sprach mit Geschäftsführer Reinhard Nieper über die Rolle des neuen Klinikkonzerns in der stationären Versorgung.

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Reinhard Nieper ist Chef der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken. Diese arbeiten seit diesem Jahr unter einem Dach.

Reinhard Nieper ist Chef der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken. Diese arbeiten seit diesem Jahr unter einem Dach.

© Stephanie Pilick

Ärzte Zeitung. Mit den BG Kliniken gibt es einen neuen Player im Gesundheitswesen. Wer steckt dahinter?

Reinhard Nieper. Dahinter stehen neun Unfallkliniken, verteilt über die ganze Bundesrepublik. Dazu kommen zwei Kliniken für Berufskrankheiten und zwei kleinere, aber sehr interessante ambulante Einrichtungen, die sogenannten Unfallbehandlungsstellen. Die insgesamt 13 Einrichtungen gehören faktisch zu 100 Prozent den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen in Deutschland. Die Holding der BG Kliniken hält seit der Fusion die Mehrheitsanteile und steuert von Berlin aus zukünftig die strategische Ausrichtung dieser Kliniken.

Beim Hauptstadtkongress stellt sich der Klinikkonzern erstmals gemeinsam der Fachöffentlichkeit vor. Mit welcher Botschaft gehen Sie in diese erste Vorstellungsrunde?

Mit zwei Botschaften. Die erste lautet schlicht: Wir sind da. Wir sind eine der größten Klinikgruppen im Land. Vom Umsatz her stehen wir auf Platz vier. Was die durchschnittlichen medizinischen Schweregrade angeht, die bei uns behandelt werden, stehen wir noch vor den Universitätskliniken auf Platz eins. Wir sind also ein großes und leistungsfähiges Gesundheitsunternehmen, das als solches in der Vergangenheit wenig wahrgenommen wurde. Jeder kennt eine BG Klinik in seiner Region. Aber wenn man nachgefragt hat, was dahinter steckt, erntete man häufig Schulterzucken.

…und die zweite Botschaft?

Wir stellen eine Alternative zu anderen Klinikkonzernen dar. Nicht insofern, dass wir alles besser könnten. Aber wir machen vieles anders. Der Unterschied zwischen uns und den vorhandenen Klinikträgern ist, dass wir nicht nur ein weiterer Player am Krankenhausmarkt sind, sondern dass wir inhaltlich eine andere Ausrichtung haben.

Wie sieht die denn aus?

Den BG Kliniken gelingt als einziges Krankenhausunternehmen eine echte Verzahnung von Akutversorgung und Rehabilitation. Und wir sind der größte nicht kommerzielle Klinikkonzern in Deutschland. Wir wollen deutlich machen, dass für uns die Qualität an erster Stelle steht. Wirtschaftlichkeit ist für die BG Kliniken ein Mittel, um diese Qualität herzustellen.

Denn wir glauben, dass es möglich ist, in Deutschland Gesundheitsleistungen zu erbringen, ohne das sofort mit Gewinnerwartungen verknüpfen zu müssen.

Das ist ein ganz anderer Tonfall als der, den Klinikmanager sonst anschlagen. Geld gilt auch im Gesundheitswesen als knappes Gut…

Die Intention, mit der die BG Kliniken betrieben werden, ist nicht die, damit Geld zu verdienen, sondern Daseinsfürsorge zu betreiben. Und dafür ist das System der Gemeinnützigkeit das attraktivste Modell, weil dem Gesundheitssystem keine Mittel entnommen werden, sondern sämtliche Gewinne reinvestiert werden müssen.

Wir sind daher nicht darauf aus, durch Leistungssteigerungen und Mengenausweitungen Gewinne zu maximieren.

Wie finanzieren die BG-Kliniken ihre Investitionen?

Wir bekommen keine Investitionsmittel von den Ländern. Unsere Investitionen werden vollständig von den Berufsgenossenschaften übernommen. Die BG Kliniken finanzieren sich ausschließlich aus den von den Arbeitgebern geleisteten Beiträgen für die gesetzliche Unfallversicherung. Das hat den großen strategischen Vorteil, dass wir nicht wie andere Kliniken darauf angewiesen sind, Investitionsmittel aus den DRG abzweigen zu müssen. Das ist ein Privileg für uns, aber eigentlich sollte das selbstverständlich sein. Wir wissen, dass die anderen rund 2000 Krankenhäuser im Land an dieser Stelle erhebliche Probleme haben, weil die Länder ihren Investitionsverpflichtungen nicht nachkommen und deshalb Mittel aus dem betriebswirtschaftlichen Topf in den investiven Topf überführt werden müssen.

Chefärzte sind meistens unzufrieden mit dem betriebenen Investitionsaufwand…

Die Wunschliste ist natürlich immer lang. Ich würde da weniger mit dem Maßstab der Wünsche der Chefärzte arbeiten als mit harten Fakten. Wir haben eine Investitionsquote von mehr als elf Prozent bei einem Umsatz von rund 1,2 Milliarden Euro im Jahr. Über alle Krankenhäuser in Deutschland gerechnet liegt dieser Wert nach meinem Kenntnisstand durchschnittlich bei 4,7 Prozent. Die Unikliniken fordern regelmäßig eine Investitionsquote von zehn Prozent. Wir haben also durchaus das Selbstbewusstsein zu behaupten, dass die BG Kliniken die notwendigen Investitionen tätigen.

Profitieren davon auch die Patienten, die die BG-Kliniken in der Regelversorgung behandeln. Welchen Anteil macht diese Patientengruppe aus?

Glücklicherweise haben wir in Deutschland seit Jahren positiv rückläufige Unfallzahlen. Der Anteil unfallverletzter Patienten geht zurück. Er bewegt sich im Moment in den BG Kliniken bei einem Drittel der zu behandelnden Patienten. Kostenträger ist hier die Unfallversicherung, die die Kosten von Arbeits- und Wegeunfällen sowie von Berufskrankheiten übernimmt. Die anderen zwei Drittel der Patienten sind gesetzlich oder privat versichert.

Gibt es bei der Versorgung dieser Kranken einen Unterschied?

Die akutmedizinische Versorgung unterscheidet sich überhaupt nicht. Wir stellen fest, dass Patienten aus dem Bereich des Fünften Sozialgesetzbuches sich durchaus positiv irritiert zeigen, mit welchem Aufwand und welcher Qualität wir Dienstleistungen erbringen.

Dennoch bekommt ein Patient der Regelversorgung von uns nicht jede Leistung, die wir dem Unfallversicherten zukommen lassen.

Und was erhält der Verletzte nach einem Arbeits- oder Wegeunfall von der Unfallversicherung über die Regelversorgung hinaus?

Den großen Unterschied macht das Reha-Management. Der unfallversicherte Patient wird vom Beginn der Behandlung an eng vom Unfallversicherungsträger betreut, der für ihn zuständig ist. Es findet eine kontinuierliche Abstimmung zwischen dem Patienten selbst und seinen Angehörigen, der Klinik und dem zuständigen Reha-Manager statt. In diesem Dreieck werden Vereinbarungen getroffen mit dem klaren Ziel, nicht nur die stationäre Behandlungsbedürftigkeit möglichst schnell wieder zu beenden, sondern den Versicherten auch beruflich und sozial zügig wieder zu integrieren.

An diesem Leitfaden werden dann sämtliche stationären und rehabilitativen Behandlungsmaßnahmen ausgerichtet.

Wer übernimmt das?

Herr des Verfahrens ist der Reha-Manager. Schon während der Akutphase beginnt er damit zu überlegen, wie für den Patienten der richtige Weg verlaufen könnte, um in den Beruf zurückzukehren, oder, wenn das nicht mehr möglich ist, eine Alternative zu entwickeln. Für die Betroffenen kann das durchaus überraschend sein, wenn sie bereits in dieser frühen Phase nach einem schweren Unfall mit solchen Fragen konfrontiert werden. Im Nachhinein sind die Patienten dafür in der Regel aber dankbar. Ich persönlich empfinde das Reha-Management als Segen.

Ist solch ein Kümmerer ein Modell auch für die GKV-Seite?

Ich meine, ja. Aber man muss realistisch bleiben. Das wird nur dann funktionieren, wenn die Sektorengrenze zwischen Akutmedizin und Rehabilitation faktisch überwunden wird. Wenn der Kostenträger, der zu Beginn der Behandlung für die Akutversorgung aufkommt, am Ende auch für die Rente zuständig ist. Denn dadurch entwickelt er ein massives Interesse, dass es gar nicht erst zum Rentenfall kommt. Er wird dann früh möglichst viel investieren, um langfristige Folgen zu vermeiden. Solange es diese Sektorengrenze gibt, wird ein Kümmerer scheitern. Er muss ja auch im Blick haben, wie zum Beispiel eine Wohnung behindertengerecht umgebaut werden muss oder welche Hilfsmittel ein Betroffener für den Weg zur Arbeit benötigt.

Träumen Sie manchmal von einem einheitlichen Sozialgesetzbuch, das die von Ihnen beschriebene Versorgungskette abbildet?

Wenn das einheitliche Sozialgesetzbuch dann SGB VII heißt, ja.

Bildet sich das Vorgehen der BG-Kliniken in Qualitätsberichten ab?

Die BG Kliniken erstellen ebenfalls die gesetzlich vorgegebenen Qualitätsberichte des SGB V. Die Anforderungen des SGB VII lassen sich dort aber nur bedingt abbilden. Perspektivisch soll sich die Qualität der Unfall- und Rehamedizin und bei der Rehabilitation von Berufskrankheiten aber in einem einheitlichen Bericht wiederfinden.

Kann sich die Qualitätssicherung des SGB V dabei etwas abschauen?

Wunsch des SGB V ist die Umsetzung einer sektorübergreifenden Qualitätssicherung. Diese findet in den BG Kliniken durch die integrierte Rehabilitation und die enge Verzahnung der ambulanten Nachsorge über das D-Arzt-Verfahren bereits statt. Unsere enge Zusammenarbeit mit den Kostenträgern sorgt dafür, dass Behandlungsverfahren entwickelt werden können, die tatsächlich auf die individuellen Bedürfnisse der unfallversicherten Patienten abgestimmt sind.

Wie ist die Erfolgsquote bei der Wiedereingliederung?

97 Prozent aller Patienten, die unsere Reha-Leistungen durchlaufen, kehren wieder ins Berufsleben zurück, nicht alle jedoch in die ursprünglich ausgeübten Berufe.

Wie viele Mitarbeiter hat der Klinikverbund?

Knapp über 12 500.

Ausreichend Personal gilt als Schlüssel zur Qualität…

Das sehen wir genau so. Wir bekommen die Rückmeldung, dass die Tatsache, dass wir ausreichend Personal und Infrastruktur vorhalten, ein Faktor für Bewerber ist, sich für uns zu entscheiden. Wir nehmen gerade an einem Forschungsprojekt dazu teil. Es ist ein europaweiter Vergleich zum Zusammenhang zwischen Personalbesetzung und den sich daraus ergebenden Folgen. Bei fehlender Quantität leidet früher oder später die Qualität. Das halte ich für eine zwingende Konsequenz.

Was macht die BG-Kliniken für Ärzte attraktiv? Kann man das in drei Punkten sagen?

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Leistungsbereiche, die nicht an monetären Zielen ausgerichteten Arbeitsbedingungen und eine Tarifstruktur, mit der wir uns vor niemandem verstecken müssen.

Das klingt nach Wohlfühlarbeitsplätzen. Entsteht so ein Klima für das Schaffen von Innovationen?

Es steht immer im Raum, dass die privaten Kliniken innovativer seien als andere. Wir scheuen den Vergleich nicht. Wir liegen ja nicht auf der faulen Haut. Die BG Kliniken versorgen 60 Prozent aller schwerst Brandverletzten im Land, mehr als die Hälfte aller Querschnittverletzten - zum Beispiel auch mit spektakulärer Zukunftstechnologie wie Exoskeletten -, wir haben den größten Anteil von Patienten, die mit Komplikationen aus anderen Kliniken überwiesen werden.

BG Kliniken gelten häufig als letzte Instanz. Wir arbeiten noch am Behandlungserfolg, wenn andere schon lange aufgegeben haben. Das geht nur mit innovativen Ansätzen. Deshalb leisten sich die Berufsgenossenschaften diese Kliniken überhaupt erst. Sonst könnten sie die Leistungen auch woanders einkaufen.

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