Tarifeinheit

Regierung droht eine krachende Niederlage

Am Donnerstag berät der Bundestag erstmals über das geplante Gesetz zur Tarifeinheit. Wird das Gesetz wie geplant im Sommer verabschiedet, wollen die betroffenen Berufsgewerkschaften wie der Marburger Bund vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Die Erfolgsaussichten sind nicht schlecht.

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg Veröffentlicht:
Am vergangenen Montag demonstrierten Mitglieder von Berufsgewerkschaften vor der CDU-Parteizentrale gegen die Tarifeinheit.

Am vergangenen Montag demonstrierten Mitglieder von Berufsgewerkschaften vor der CDU-Parteizentrale gegen die Tarifeinheit.

© Kumm / dpa

BERLIN. Riskiert die Bundesregierung mit ihrem geplanten Gesetz zur Tarifeinheit eine krachende Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht? Vieles spricht dafür. Nicht zuletzt ein Gutachten, das der wissenschaftliche Dienst des Bundestages erstellt hat.

Nach Einschätzung des Autoren stellt das Gesetz, "einen Eingriff zumindest in die kollektive Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG dar, da der Abschluss von Tarifverträgen ebenso wie das Führen eines Arbeitskampfes als koalitionsmäßige Betätigung in den Schutzbereich dieses Freiheitsrechts fallen".

Zudem weist der Verfasser darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Grundsatz der Tarifeinheit auch die individuelle Koalitionsfreiheit der Mitglieder von Minderheitsgewerkschaften verletze.

Das Gesetz zur Tarifeinheit wird am Donnerstag erstmals im Bundestag beraten. Tritt es wie geplant im Sommer in Kraft, hätte das direkte Auswirkungen für die Klinikärzte.

Denn die Änderung des Tarifvertragsgesetzes sieht vor, das in einem Betrieb nur der Tarifvertrag gelten soll, den die Gewerkschaft abgeschlossen hat, die die meisten Mitglieder vertritt (Mehrheitsprinzip).

In fast allen deutschen Kliniken dürfte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi die meisten Mitglieder haben. Ärzte stellen im Schnitt lediglich zehn bis fünfzehn Prozent der Belegschaft eines Krankenhauses.

Dürftige Argumentation

Seitdem der Marburger Bund die Tarifgemeinschaft mit Verdi aufgelöst hat und selbst arztspezifische Tarifverträge aushandelt, konnte er für die Ärzte zahlreiche Verbesserungen bei Gehalt und Arbeitsbedingungen erreichen.

Diese Erfolge sieht MB-Chef Rudolf Henke durch ein Tarifeinheitsgesetz gefährdet. Dabei sind die Ärzte sicher nicht die Zielgruppe, die das Gesetz eigentlich treffen soll.

Für öffentliches Aufsehen und großen Unmut bei Arbeitgebern, Bahn- und Flugpassagieren haben in den vergangenen Jahren vor allem die Streiks von Lokführern, Piloten und Fluglotsen gesorgt.

Bahnkunden fühlten sich zeitweise GdL-Chef Claus Weselsky machtlos ausgeliefert. Bei den Streiks der Ärzte war dagegen bislang eine Notfallversorgung immer sichergestellt. Zudem setzt der Marburger Bund nicht inflationär auf Arbeitsniederlegungen.

Im Ernstfall weiß er seine Mitglieder zwar hinter sich, aber für jedes Streikziel würden die Ärzte nicht die Arbeit niederlegen. Das ist bei den Hauptversammlungen der Gewerkschaft immer wieder zu spüren.

Zersplitterung der Gewerkschaftslandschaft

Große Zweifel an der Qualität des vorgelegten Gesetzentwurfs beschleichen auch denjenigen, der die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion liest.

So wird als Begründung für die Wiederherstellung der Tarifeinheit immer wieder angeführt, dass die Zahl der Arbeitskämpfe nicht ausufern sollte.

Das wäre bei einer weiteren Zersplitterung der Gewerkschaftslandschaft zu befürchten, meint die Bundesregierung. Tarifkollisionen zwischen den Gewerkschaften könnten zu innerbetrieblichen Verteilungskämpfen führen, lautet ein weiteres Argument.

So säßen Ärzte, Piloten und Lokführer an Schlüsselpositionen, die nicht so leicht zu ersetzen sind.

Doch alle diese Befürchtungen untermauert die Bundesregierung in ihrer Antwort an die Grünen nicht mit Argumenten.

So heißt es wörtlich: "Über die Zahl der neu gegründeten Gewerkschaften und der von ihnen geführten Arbeitskämpfe liegen der Bundesregierung keine statistischen Angaben vor."

Fakt ist auch, dass nach Recherchen des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans Böckler Stiftung im internationalen Vergleich Deutschland nach wie vor auf eher wenige Streiktage kommt.

So fielen zwischen 2005 und 2012 im Jahresdurchschnitt auf 1000 Beschäftigte 16 Arbeitstage durch Arbeitskämpfe aus. In Frankreich waren es 150, in Kanada 117 in Dänemark 106 und in Belgien immer noch 73.

Auf viele Fragen zur Verfassungsmäßigkeit des geplanten Gesetzes bleibt die Antwort der Bundesregierung eine Antwort schuldig. Es ist lediglich nachzulesen, dass sie ihr eigenes Gesetz für verfassungskonform hält.

Da wird sie den Richtern in Karlsruhe noch ein bisschen mehr liefern müssen.

Verfassungsrichter werden entscheiden müssen

Vor dem Bundesverfassungsgericht wird das Gesetz wohl auf jeden Fall landen. Das hat das "Bündnis für Koalitionsfreiheit", dem der MB, der Deutsche Beamtenbund, die Pilotenvereinigung Cockpit sowie der Deutsche Journalistenverband angehören, am Dienstag in Berlin auf einer gemeinsamen Pressekonferenz noch einmal klargemacht.

Sie fordern in einer Resolution die Abgeordneten des Bundestages auf, "keinen Grundrechtsbruch zuzulassen und den Regierungsentwurf des Tarifeinheitgesetzes zurückzuweisen".

Angesichts einer breiten Stimmenmehrheit der großen Koalition wird ihr Appell aber wohl ungehört verhallen. (Mitarbeit Susanne Werner)

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