Migranten beim Arzt

Wie man mit kulturellen Unterschieden umgeht

Fast die Hälfte von Dr. Mahmoud Sultans Patienten sind Türken, die eine andere Behandlung als Deutsche brauchen. Ein Einblick in einen Arztalltag, geprägt von kulturellen Unterschiede.

Von Sarah Louise Pampel Veröffentlicht:
40 Prozent der Patienten von Diabetologe Dr. Mahmoud Sultan kommen aus der Türkei. Ihre Behandlung unterscheidet sich von der für deutsche Patienten.

40 Prozent der Patienten von Diabetologe Dr. Mahmoud Sultan kommen aus der Türkei. Ihre Behandlung unterscheidet sich von der für deutsche Patienten.

© Murat Subatli / fotolia.com

UNTERSCHLEIßHEIM. Behindern kulturelle Unterschiede die Therapie? Patienten aus anderen Kulturkreisen stellen eine besondere Herausforderung für Ärzte dar. Mit der steigenden Zahl an Migranten aus dem orientalisch-arabischen Kulturkreis wird in Deutschland vermutlich auch die Zahl an Diabetespatienten aus diesen Ländern steigen.

Das betonte Dr. Mahmoud Sultan, Leiter des Diabeteszentrums Kreuzberg in Berlin, bei der Veranstaltung "Innere Medizin fachübergreifend, Diabetologie grenzenlos". Bereits heute sind etwa 40 Prozent der Patienten in der Praxis des Internisten und Diabetologen aus der Türkei. Sie stellen damit den größten Migrantenanteil dort.

Bei ihnen liege die Prävalenz des Typ-2-Diabetes einer Bevölkerungsstudie in Frankfurt am Main zufolge bei 15 Prozent, was etwa doppelt so hoch sei wie in der deutschen Gesamtbevölkerung, sagte Sultan. Die Gründe sind vielgestaltig.

Wichtig für Diabetespatienten: Brotkonsum viel höher als in bei Deutschen

"Gerade in der türkischen Kultur ist der Brotkonsum sehr hoch." Sultan nennt 168 Kilogramm pro Kopf und Jahr im Vergleich zum Durchschnittsdeutschen mit 86 Kilogramm. In der orientalischen Gesellschaft gelte Essen zudem generell als Gesundmacher. "Wer dünn ist, gilt als krank und arm", berichtete der Diabetologe.

Daneben gebe es noch viele weitere Probleme, die die Prävention und Therapie von Typ-2-Diabetes bei orientalischen Migranten deutlich erschweren können.

Frauen mit Kindern gelten etwa als Respektspersonen und werden von ihren Kindern und Schwiegertöchtern derart unterstützt, dass ihnen die notwendige körperliche Bewegung komplett fehle, was die Gewichtszunahme begünstigt. "Sport ist in vielen orientalischen Kulturkreisen nicht üblich, bei Frauen schon gar nicht", sagte Sultan.

Frauen trauten sich mit Kopftuch oft nicht in Vereine und Fitnessstudios. Für viele seien, wenn überhaupt, nur gleichgeschlechtliche Bewegungsangebote eine Option.

Arabische Patienten verhalten sich bei der Behandlung oft passiver

Die Gruppe der Migranten unter den Diabetespatienten ist allerdings sehr heterogen. Sind sie gut integriert und mit der deutschen Sprache vertraut, sind diese Patienten im diabetologischen Alltag laut Sultan nicht problematisch. Patienten mit niedrigem sozialem Status, die der deutschen Sprache nicht mächtig oder gar Analphabeten sind, stellen das gesamte Praxisteam dagegen vor große Herausforderungen.

Viele Migranten wüssten nicht, was die Krankheit "Diabetes" bedeutet und könnten den Einfluss des Blutzuckers im Körper nicht nachvollziehen. Der den Patienten begleitende Laiendolmetscher sei meist ein Familienangehöriger, der die Informationen bei der Weitergabe reduziert und verzerrt. Das führt dazu, dass Therapien nicht ausreichend umgesetzt werden.

Der Patient spiele im Gespräch und auch sonst dadurch eine eher passive Rolle, "als sei der Diabetes nicht seine Angelegenheit", so Sultan. "Das ist ein großes Hindernis für eine tragfähige Arzt-Patienten-Beziehung."

Glaube an gottgegebene Krankheiten?

Ein weiteres Problem ist der Kultureinfluss bei der Beschreibung und Wertung der Symptome und Beschwerden. Patienten aus dem orientalischen Kulturkreis glaubten oft, dass Krankheit gottgegeben ist und "Gott es schon richten wird". Sultan beobachtet: "Sie versuchen eigene Rezepturen für ihre Therapie zu finden, etwa Kräuter, die Diabetes angeblich wegbehandeln können."

Auch nehmen die Patienten die Schulungsangebote oft nicht wahr, wodurch sich der Behandlungsaufwand in der Praxis deutlich erhöht. Viele kehren auch für drei bis sechs Monate im Jahr in die alte Heimat zurück, was die Kontinuität der Therapie deutlich erschwert.

Patienten kultursensibel abholen, aber nicht unterwürfig

Und dann ist da natürlich noch der Fastenmonat Ramadan. Viele der türkischen Patienten Sultans wollen fasten, wodurch "die Therapie durcheinandergeraten kann". Sie müsse daran angepasst, die Patienten extra geschult werden. Wenn man von den fünf Säulen der Diabetestherapie sprechen wolle - Ernährung, Arzneien, Blutzuckerselbstkontrolle, Schulung, Bewegung -, "dann wackeln die richtig", so der Diabetologe.

Sultan bedauert, dass in den Praxen oft nicht auf die Bedürfnisse der Patienten mit Migrationshintergrund eingegangen werde und wünscht sich, dass die "Patienten kultursensibel dort abgeholt würden, wo sie stehen".

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