Die Weltformel für Kosten-Nutzen-Studien könnte am Ende der Wettbewerb sein

Im Jahr 2007 geboren, ist sie seitdem nur in der Theorie existent: Die Kosten-Nutzen-Bewertung hält zwar Ethiker und Gesundheitsökonomen in Lohn und Brot, hilft aber den Kassen bisher nicht -  und könnte schon überholt sein.

Von Florian Staeck

Er ist "Doktor No" für viele Gesundheitsökonomen und Arzneimittelhersteller: Professor Peter Sawicki, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), ist Protagonist in der seit Jahren tobenden Debatte über die Kosten-Nutzen-Bewertung. Sein Institut hat kürzlich nach langem Vorlauf eine Methodik zur Kosten-Nutzen-Bewertung vorgelegt.

Basis dafür ist Paragraf 35 b SGB V. Dort ist vorgegeben, dass die "Bewertung durch Vergleich mit anderen Arzneimitteln und Behandlungsformen unter Berücksichtigung des therapeutischen Zusatznutzens für die Patienten im Verhältnis zu den Kosten" zu erfolgen hat.

Ob die Kostenübernahme durch die Solidargemeinschaft "angemessen und zumutbar" ist, soll dabei abgewogen werden mit dem Patientennutzen, den die medizinische Intervention bietet. Das Ergebnis seiner Bewertungen soll das IQWiG dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) vorlegen, der die Expertise dann als Basis für die Festlegung von Höchstpreisen verwenden kann.

Internationale Standards -vom IQWiG definiert

Mit dieser politisch unscharfen Vorgabe ausgestattet, hat das IQWiG seit 2007 eine Methode entwickelt, die einen ganz eigenen Weg geht. Und das eingedenk der Tatsache, dass laut Gesetz die Methoden und Kriterien für Bewertungen "auf der Grundlage der anerkannten internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin und Gesundheitsökonomie" entwickelt werden sollten.

Das Echo auf die Arbeit des IQWiG ist zwiespältig. Dass die Koalitionsvereinbarung eigens die Arbeitsweise des Instituts thematisiert, bedeute "nichts anders als: Sawicki arbeite mit undurchschaubaren Methoden", bemerkt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" spitz. Mehr Transparenz als im IQWiG, entgegnet Sawicki, könne es gar nicht geben, "es sei denn, wir veröffentlichen auch noch die Farbe der Unterwäsche unserer Mitarbeiter". Daran dürften Kritiker wenig Interesse haben, wohl aber am genauen Funktionieren der Effizienzgrenze. Denn diese bildet das Herzstück der Sawicki-Methode.

Als effizient gilt ein neues Arzneimittel dann, wenn das Verhältnis von Zusatznutzen zu Zusatzkosten genauso günstig ist, wie das Kosten-Nutzen-Verhältnis in der Standardtherapie. Dies lässt sich in einer Grafik abbilden, die zugleich einen Anhaltspunkt dazu geben soll, welches der maximale Erstattungshöchstbetrag sein kann.

Dabei ermittelt die IQWiG-Methode für jede Indikation einen eigenen Schwellenwert auf der Basis von Kosten- und Nutzendaten. Genau das halten Kritiker für verfehlt und verweisen auf die beispielsweise in Großbritannien eingeführten QALYs - qualitätskorrigierte Lebensjahre.

Das britische Pendant NICE empfiehlt in der Regel therapeutische Interventionen nicht, die mehr als 30 000 Pfund für ein zusätzliches QALY kosten. Dieses von vielen Gesundheitsökonomen favorisierte Maß gestattet indikationsübergreifende Bewertungen. Sawicki und Mitarbeiter aber schreiben in einem Beitrag für die "FAZ", die britische Methode berge viele "Unsicherheiten und ethisch-moralische Werturteile", "für die wir in Deutschland keine gesetzliche Grundlage sehen -  und auch keine gesellschaftliche Akzeptanz". Akzeptanz-Werbung für ihre Bewertungen zu betreiben, gehört allerdings nicht zum Aufgabengebiet des IQWiG. Mit ihrer Methode sehen sich die Autoren im Einklang mit der "Basis des Solidarsystems" der GKV. Aber auch dieser politisch verstandene Handlungsauftrag lässt sich aus dem SGB V nicht ableiten.

GBA hat im Dezember erste Prüfaufträge formuliert

Bisher ist die Debatte theoretisch gewesen, da der GBA erst Mitte Dezember zwei Prüfaufträge zur Kosten-Nutzen-Bewertung erteilt hat. Untersuchen soll das IQWiG mehrere Antidepressiva sowie die Kombination von Clopidogrel plus ASS versus ASS-Monotherapie bei Patienten mit akuter Herzkrankheit. Außerdem soll das Institut Clopidogrel als Monotherapie mit ASS-Monotherapie bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit vergleichen.

Doch ohne ein indikationsübergreifendes Outputmaß für Bewertungen, warnt der Gesundheitsökonom Professor Friedrich Breyer, drohen "inkonsistente Entscheidungen des GBA". Ungerechtigkeiten zwischen Patientengruppen und Klagen von Betroffenen könnten die Folge sein.

Es könnte aber auch anders kommen. Denn sowohl Hersteller wie Kassen sind der Methodendebatten überdrüssig und sehen Direktvereinbarungen als mögliche Alternative. Auch die Bundesregierung wertet solche Vereinbarungen als "einen Weg", um Innovationen schnell in die Versorgung zu bringen, "ohne die Finanzierung der Krankenversicherung zu gefährden".

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