"Vielfalt und Wettbewerb" hatte die Koalition versprochen. Doch bei Hausarztverträgen soll ausgerechnet das KV-System als Messlatte dienen.

Von Florian Staeck

Es gibt Sätze, die bereut man im Nachhinein. So dürfte es Medi-Chef Dr. Werner Baumgärtner mit dem Satz gegangen sein: "Dieses Wahlergebnis macht uns Ärzten Hoffnung." Diese Aussage am Tag nach der Bundestagswahl vom 27. September 2009 hat sich für die Befürworter von Hausarztverträgen als Bumerang erwiesen. Die Liebe zur christlich-liberalen Koalition erkaltete bei vielen Ärzten rasch - und schlug in blanke Gegnerschaft um.

Ursprünglich hatte sich Schwarz-Gelb im Koalitionsvertrag darauf festgelegt, das Thema Hausarztverträge liegen zu lassen. Die kryptische Kompromissformel lautete: "Wir werden nach drei Jahren feststellen, wie viele Hausarztverträge deutschlandweit abgeschlossen worden sind." Unzufriedenheit mit der Regelung, die Kassen zum Abschluss von Hausarztverträgen verpflichtet, hatte es in der FDP und Teilen der Union schon immer gegeben. Dennoch staunte die Fachwelt, als im Juni ein Vorschlag des CDU-Gesundheitspolitikers Rolf Koschorrek das Licht der Welt erblickte: Er wollte den Vertragszwang zu einer Option herabstufen. Die geschaffenen Monopolstrukturen seien "einfach nur teuer".

Höheres Honorar nur bei höherer Effizienz möglich

Als dann Anfang Juli Eckpunkte zur Gesundheitsreform vorlagen, war der Schock bei Hausärzten groß. Zwar blieb es bei der Pflicht zum Abschluss. Doch das Honorar in 73b-Verträgen sollte auf den rechnerischen KV-Fallwert zwangsweise gesenkt werden. Höhere Vergütungen sind nur dann möglich, wenn diese durch "Effizienzsteigerungen und Einsparungen in anderen Bereichen kompensiert werden". Als weitere Hürde für Hausarztverträge gilt künftig eine Vorlagepflicht bei der Aufsichtsbehörde. Die Kassen-Kontrolleure haben dann zwei Monate Zeit, um den Vertrag zu beanstanden.

Bestandsschutz wird bis Juni 2014 verlängert

Geschachert wurde bis zur letzten Minute über die Frage, welche und wie lange Hausarztverträge Bestandsschutz haben. Erst hieß es, Verträge, die zum Datum des Kabinettsbeschlusses am 22. September gültig waren, hätten bis Ende 2012 Bestandsschutz. Dann wurde in letzter Minute dieser Zeitraum auf Ende Juni 2014 verlängert. Eine Sonderregelung bis für den Hausarztvertrag der AOK Baden-Württemberg. Die Kasse hat von sich aus den frühestmöglichen Kündigungszeitpunkt auf Ende 2015 verlängert. Die Regierung setzte die Reform allen Protesten zum Trotz durch. Auch Demonstrationen von mit mehreren tausend Hausärzten Mitte September in Essen und Sindelfingen nutzen nichts.

Auch in der Kassenszene wurde verbissen um Hausarztverträge gekämpft. Im Juni hatten vier Kassenchefs (AOK Rheinland-Hamburg, Barmer-GEK, DAK und KKH-Allianz) Gesundheitsminister Philipp Rösler gedrängt, die Pflicht zum Vertragsschluss von 73-b-Verträgen zu kippen. Ansonsten drohten Mehrkosten von 1,5 Milliarden Euro. "Völlig aus der Luft gegriffen", konterte Baden-Württembergs AOK-Chef Dr. Rolf Hoberg, der Hausarztvertrag sei kein Kostentreiber. Im Südwesten ist Paragraf 73 b für die AOK ein Hebel zum Gesamtumbau der ambulanten Versorgung geworden. Motto: Dezentral statt KBV-bestimmt. "Anders, besser, gemeinsam, selbstbestimmt", skizziert Hoberg die Alternative.

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