Mehr Patientenrechte - nicht gegen die Ärzte

Das Patientenrechtegesetz lässt auf sich warten. Kassen sollen künftig strenger in die Pflicht genommen werden. Sie müssen über Kur-Anträge schneller als heute entscheiden. Ärzte müssen nichts befürchten: Eine generelle Beweislastumkehr wird es nicht geben.

Von Sunna Gieseke und Johanna Dielmann-von Berg Veröffentlicht:
Gemeinsam macht schwimmen Spaß: doch Kassen bewilligen Mutter-Kind-Kuren selten. Das soll das Patientenrechtegesetz ändern.

Gemeinsam macht schwimmen Spaß: doch Kassen bewilligen Mutter-Kind-Kuren selten. Das soll das Patientenrechtegesetz ändern.

© dpa

Während die Mütter sich beim Aerobic-Kurs auspowern, kümmern sich ausgebildete Erzieherinnen um den Nachwuchs - nachmittags malen oder schwimmen sie gemeinsam.

Solche Aktivitäten aber auch Gespräche mit Therapeuten können helfen, die Eltern-Kind-Beziehung zu entlasten, nur: Die Kassen genehmigen Mutter-Kind-Kuren häufig nicht beim ersten Anlauf.

In 34 Prozent der Fälle wird der erste Antrag abgelehnt, geht aus dem Jahresbericht 2010 des Müttergenesungswerkes hervor - das nähre den Verdacht, dass die Antragstellerinnen entmutigt werden sollen, sagte die Geschäftsführerin des Müttergenesungswerkes, Anne Schilling, in Berlin.

14.800 Widerspruchsverfahren seien eingeleitet worden. Dabei habe sich herausgestellt, dass mehr als die Hälfte der Ablehnungen unbegründet gewesen seien.

Es entstehe der Eindruck, dass Kassen bei den Mutter-Kind-Kuren "Sparversuche unternehmen", betonte Schilling.

Kassen sollen in die Pflicht genommen werden

Sollten die Kassen ihr Verhalten nicht ändern, drohte der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), eine "andere Gangart" an.

Das von der schwarz-gelben Koalition geplante Patientenrechtegesetz soll vor allem mehr Gerechtigkeit schaffen und die gesetzlichen Krankenkassen strenger in die Pflicht nehmen.

So sollen sie künftig über Leistungen innerhalb einer Frist von drei Wochen entscheiden müssen. "Andernfalls gilt der Antrag als genehmigt", sagte Zöller. Das könnte das Problem bei den Mutter-Kind-Kuren lösen, einzig: Das Patientenrechtegesetz lässt immer noch auf sich warten.

Die Verzögerung sei dem Verfahren im Justizministerium geschuldet, hieß es aus Koalitionskreisen. Ursprünglich sollte das Gesetz 2011 in Kraft treten.

Im März hatte Zöller Eckpunkte dafür vorgestellt. Der Referententwurf wird Ende Januar 2012 erwartet. Kürzlich wurden die Gesetzespläne zur Chef-Sache erklärt: Minister Daniel Bahr (FDP) sowie Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wollen das Gesetz Anfang 2012 gemeinsam auf den Weg bringen.

Ziel sei es, für Patienten mehr Transparenz zu schaffen, zum Beispiel über die von ihnen in Anspruch genommenen Leistungen, sagte Bahr in Berlin.

Patientenrechte werden in einem Gesetz gebündelt

Sehr viel ändert das Gesetz jedoch wahrscheinlich nicht. Vielmehr bündelt es die Patientenrechte, die bisher über das Sozial- und Strafrecht sowie das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) verstreut sind.

Den Eckpunkten zufolge soll zudem der Behandlungsvertrag ins BGB aufgenommen werden. Dies ist bisher nicht gesetzlich geregelt. Die Behandlungsverträge sollen vor allem festlegen, dass Patienten "verständlich und umfassend" informiert werden sollen.

Zudem sollen Kassen Versicherten helfen, ihre Ansprüche nach Behandlungsfehlern geltend zu machen. Das ist bislang eine "Kann"-Regelung.

Auch die Aufklärungs- und Dokumentationspflicht soll laut den Eckpunkten in das Gesetz aufgenommen werden. Im Streitfall müsste dann der behandelnde Arzt die ordnungsgemäße Aufklärung der Patienten beweisen.

Die Ausführungen dazu im Eckpunktepapier bleiben aber ungenau. Darin heißt es unter anderem, dass es bei groben Fehlern künftig eine Beweislastumkehr geben soll. Der Leistungserbringer muss dann nachweisen, dass sein Fehler den Schaden nicht verursacht hat.

BÄK-Präsident erwartet vernünftige Lösung

Der Chef der Bundesärztekammer (BÄK) Frank Ulrich Montgomery bleibt aber gelassen: Damit werde nur bestehendes Richterrecht bei Behandlungsfehlern kodifiziert. "Insgesamt sind die Eckpunkte des Gesetzes für Ärzte nicht schädlich", so Montgomery.

Die bisherigen Formulierungen deuteten auf einen vernünftigen Ausgleich der Interessen von Patienten und Leistungserbringern hin. Letzlich komme es auf den ausformulierten Gesetzesentwurf an, so der BÄK-Chef.

Die BÄK hatte bisher das Gesetzesvorhaben wiederholt kritisiert: Das Arzt-Patienten-Verhältnis lasse sich nicht per Gesetz regeln.

Inzwischen zeichne sich aber "eine vernünftige Regelung ab, die auch Ergebnis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit aller Beteiligten ist", sagte Montgomery.

Das Plant die Koalition

Im geplanten Patientenrechtegesetz will die schwarz-gelbe Koalition vor allem bereits bestehende Rechte für Patienten bündeln. Damit soll mehr Transparenz geschaffen werden. So sollen sich Patienten künftig über die von ihnen in Anspruch genommenen Leistungen informieren können. Auch müssen Ärzte sie vor einem Eingriff umfassend über die Behandlung und mögliche Risiken aufklären.

Auch die Dokumentationspflicht soll ins Gesetz aufgenommen werden. Zudem sollen Patienten mehr Hilfe von Kassen erhalten, um ihre Ansprüche nach Behandlungsfehlern geltend zu machen. Im Streitfall kann sich auch künftig bei groben Fehlern die Beweislast umkehren. Damit wird allerdings lediglich geltendes Richterrecht kodifiziert. Darüber hinaus soll der Behandlungsvertrag im Bürgerlichen Gesetzbuch kodifiziert werden.

Patientenrechte: Länder preschen mit eigenen Plänen vor

Besserer Schutz vor Behandlungsfehlern, Anspruch auf eine Zweitmeinung und kürzere Wartezeiten beim Arzt: Die zehn Länder mit SPD-Regierungsbeteiligung machen der schwarz-gelben Koalition bei den Patientenrechten Dampf. Auf 18 Seiten haben sie ihre Vorstellungen von einem Patientenrechtegesetz zusammengefasst.

Den Vorstoß soll die Koalition nach Sicht der Länder aufgreifen, andernfalls wollten sie handeln: "Aus den Eckpunkten kann auch eine Gesetzesinitiative werden", sagte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). Das Papier der Regierung bleibe in vielen Punkten zu "vage", so die Kritik.

Die Vorschläge des Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), trügen nicht dazu bei, dass die Rechte der Patienten ausgebaut würden. Sie bündelten lediglich bereits bestehendes Recht und ließen die "Alltagssorgen" von Patienten - zum Beispiel lange Wartezeiten - unbedacht. Ziel der Länder sei "der mündige Patient, der auf Augenhöhe mit dem Arzt entscheiden kann".

Daher fordern die Länder zum Beispiel ein Recht auf eine ärztliche Zweitmeinung für Patienten. Diese sollen zudem ihre Akten einsehen dürfen, Fehlermeldesysteme in medizinischen Einrichtungen sollen verbindlich werden. Bei Behandlungsfehlern sollen Patienten gestärkt werden, eine generelle Beweislastumkehr schließen die Länder aber aus.

Sie plädieren für einen Härtefallfonds für Opfer von Behandlungsfehlern. Sie gehen davon aus, dass der Fonds etwa 35.000 Mal im Jahr in Anspruch genommen werde. Die Kosten von etwa 350.000 Euro sollen durch die Haftpflichtversicherungen der Leistungserbringer oder aus Steuermitteln bezahlt werden.

Als dritte Möglichkeit könnten GKV-Patienten den Fonds mitfinanzieren. Für Klinikpatienten würden bereits heute zehn Euro Selbstbeteiligung pro Tag fällig: Zwei Euro davon sollen in den Härtefallfonds wandern, heißt es in den Eckpunkten.

Dass Patienten den Härtefallfonds mitfinanzieren sollen, sei absurd, sagt Zöller. In anderen Punkten gehe die Koalition auf die Länder zu. Vieles sei gut, aber nicht alles realisierbar, so Zöller. Deren Vorschläge würden beim Referentenentwurf berücksichtigt und teilweise eingearbeitet, hieß es aus Regierungskreisen. Der Referentenentwurf soll im Januar 2012 vorgestellt werden.

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