Bahrs Erste Hilfe für Demenzkranke

Die Pflegereform wird konkreter - vor allem Demenz-Patienten sollen davon profitieren. Viele Neuregelungen sind geplant. Ein Blick in die Details.

Von Johanna Dielmann-von Berg Veröffentlicht:
Von häuslicher Betreuung sollen vor allem demenzkranke Patienten profitieren.

Von häuslicher Betreuung sollen vor allem demenzkranke Patienten profitieren.

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BERLIN. Anspruch auf häusliche Betreuung, Förderung von Wohngruppen und verbesserte Beratung - das soll das Pflegeneuausrichtungsgesetz (PNG) den Pflegebedürftigen laut Referentenentwurf bringen.

Die Leistungsverbesserungen können bis 2015 finanziert werden, dafür muss Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) neben der Beitragserhöhung um 0,1 Prozent auf Reserven der Pflegeversicherung zurückgreifen. Bis 2015 soll der Beitragssatz aber nicht weiter steigen.

Leistungen bei Demenz: Die Definition eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs steht noch aus, bis dahin sollen die Patienten mit sogenannter erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz von 1. Januar 2013 an vor allem finanziell unterstützt werden. So erhöhen sich etwa die Sachleistungen in der Pflegestufe I um circa ein Drittel.

Flexiblere Leistungen: Pflegebedürftige sollen nicht nur Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung, sondern auch auf häusliche Betreuung erhalten, dazu zählen etwa die Beaufsichtigung zu Hause oder Hilfe bei der Gestaltung des Alltags.

Zwischen diesen Leistungen von zugelassenen Pflegediensten kann der Betroffene frei wählen, sofern Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung gesichert sind. Die Flexibilität wirkt sich auch auf die Leistungsvergütung aus, sie soll stets vom benötigten Zeitaufwand abhängen.

Die häusliche Pflege bekommen die Versicherten künftig auch erstattet, wenn ihre Pflegekasse keinen Versorgungsvertrag mit der Pflegekraft vereinbart hat. Die Kasse muss dann in der Höhe für die Leistungen bezahlen, die in Verträgen anderer Kassen mit der Pflegekraft festgelegt ist.

Entlastung für Angehörige: Nehmen pflegende Angehörige eine Reha-Maßnahme wahr, so hat der Pflegebedürftige Anspruch auf Kurzzeitpflege in dieser Einrichtung, auch wenn sie dafür nach SGB XI nicht zugelassen ist.

Zudem kann die Pflegezeit für mehrere Personen künftig addiert werden. Bei über 14 Stunden pro Woche erwirbt der Pflegende Rentenversicherungsansprüche.

Förderung von Wohngruppen: Bei der gemeinsamen pflegerischen Betreuung von mindestens vier Bewohnern soll der Einzelne 200 Euro monatlich erhalten. Für die Leistungen der Pflegekraft wird es also keine direkte Kostenerstattung geben.

Mit bis zu 10.000 Euro pro Wohngruppe will Bahr ihre Gründung fördern. Insgesamt stehen dafür 30 Millionen Euro zur Verfügung. Rund 15 Millionen Euro gibt es zur Erforschung neuer Wohnformen.

Bessere Beratung: Bei Erstantrag auf Pflegebedürftigkeit müssen Kassen einen Beratungstermin innerhalb von 14 Tagen anbieten oder dafür einen Gutschein ausstellen. Zusätzlich zur Beurteilung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen oder anderer Gutachter bekommen Betroffene eine Empfehlung über den Rehabedarf.

Zudem müssen Heime ihren Plan zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung sichtbar aushängen. Dies sei ein wichtiges Wahlkriterium für Pflegebedürftige, heißt es im Gesetzentwurf.

"Ärzte haben bisher überhaupt keine Anreize, in Heime zu gehen"

Bei der ärztlichen Versorgung in Pflegeheimen gibt es immer noch große Defizite. Anke van den Bergh, Heimleiterin im Seniorenpflegeheim Aurelius- Hof im hessischen Mainhausen, berichtet über ihre Erfahrungen.

Es gibt in unserem Seniorenheim seit etwa zwei Jahren zwei Hausärzte, die abwechselnd 24 Stunden für unsere etwa 120 Bewohner zur Verfügung stehen. Das ist gerade abends und an Wochenenden eine immense Erleichterung für unsere Pflegekräfte und gibt uns bei unserer Arbeit sehr viel mehr Sicherheit.

Dadurch können wir vor allem auch Krankenhauseinweisungen reduzieren. Das Problem ist nur, dass es bisher für Ärzte keine Anreize gibt, in Heime zu gehen. Sie übernehmen zusätzliche Arbeit, die ihnen nicht adäquat vergütet wird. Hier besteht unbedingt Handlungsbedarf.

Noch schwieriger ist es, Fachärzte zu finden, die ins Heim kommen. Das gilt insbesondere für Neurologen. Der Aufwand, etwa die wachsende Zahl an Demenzpatienten zur Sprechstunde zu fahren, ist nicht nur groß, sondern bedeutet für die Patienten auch eine enorme Belastung, die vermieden werden könnte. Wenn da nicht gegengesteuert wird, werden sich die Probleme noch mehr verschärfen.

Der jetzt vorgelegte Referentenentwurf zum Pflegegesetz klingt vielversprechend, weil die KVen stärker in die Pflicht genommen werden sollen. Das war schon lange überfällig. Die geplanten Reformen könnten die ärztliche Versorgung mit Sicherheit verbessern - wenn sie denn tatsächlich umgesetzt werden.

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