Pflegebericht

Die Krux mit den zwei Milliarden

Jetzt ist es amtlich: Die Republik hat einen neuen Begriff für Pflegebedürftigkeit. Bloß wieviel Geld dafür benötigt wird, darüber schweigt sich der Bericht des Pflegebeirats aus - zumindest offiziell.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Was wird die Reform den Pflegebdürftigen bringen? Vor allem kognitiv und psychisch beeinträchtigte Menschen sollen künfig stärker profitieren.

Was wird die Reform den Pflegebdürftigen bringen? Vor allem kognitiv und psychisch beeinträchtigte Menschen sollen künfig stärker profitieren.

© Gina Sander / fotolia.com

BERLIN. Abkehr von der Minutenpflege und dem engen Verrichtungsbezug, fünf Pflegegrade statt bislang drei Pflegestufen: Der Expertenbeirat der Regierung hat den Bericht zu einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff am Donnerstag Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) übergeben.

Vor allem sollen künftig kognitiv und psychisch beeinträchtigte Menschen noch stärker von Pflegeleistungen profitieren als heute, so die Experten. Seit 1. Januar 2013 erhalten Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ohne Pflegestufe (Pflegestufe 0) monatlich 120 Euro Pflegegeld oder bis zu 225 Euro Pflegesachleistungen.

Gegenwärtige Bezieher von Pflegeleistungen sollen durch eine Reform auf keinen Fall schlechtergestellt werden, betonte Beiratsvorsitzender K.-Dieter Voss. Anhand von Beispielen rechnen die Experten vor, was die verschiedenen Reformansätze kosten könnten.

Inoffiziell empfiehlt der Beirat, mindestens zwei Milliarden Euro im Jahr mehr ins System zu stecken. Im Bericht taucht diese Zahl nicht auf.

Bahr betonte, er habe absichtlich keinen Finanzrahmen gesteckt: "Es sollte keine Budgetierung geben." Erst habe er die Frage klären wollen, was nötig sei, um den neuen Pflegebegriff umzusetzen, dann werde die Finanzierungsfrage geklärt.

Zöller: Blaupause für die nächste Regierung

Bahr verteidigte den aktuellen Bericht gegen Kritik: Es seien viele offene Fragen aus dem Bericht des früheren Beirats im Jahr 2009 geklärt worden. Im Mai 2009 hatte der Pflegebeirat damals noch unter dem Vorsitz von Dr. Jürgen Gohde bereits einen ersten Bericht vorgelegt.

Doch auch der neue Bericht des Expertenbeirats sei noch kein Gesetz, warnte Bahr: "Aber er bildet die Grundlage für die gesetzliche Umsetzung, die in der nächsten Legislaturperiode stattfinden wird."

Liegt ein Gesetz vor, könnte der neue Begriff binnen 18 Monaten umgesetzt werden, heißt es in dem Report. Der Beirat sei kein politisches Gremium, ergänzte Beiratsvorsitzender Wolfgang Zöller (CSU): Der Bericht könne somit als Blaupause für alle Regierungskonstellationen dienen.

CDU-Politiker Jens Spahn unterstützte den Bericht: "Jeder weiß, dass Pflege in einer älter werdenden Gesellschaft teurer werden wird." SPD-Politikerin Hilde Mattheis kritisierte die zwei Milliarden Euro mehr als "zu wenig".

Wenn mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs viele besser und niemand schlechtergestellt werden solle, koste das Berechnungen des Pflegebeirats von 2009 etwa 4,2 Milliarden Euro im Jahr mehr, betonte Mattheis.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte, dass demenziell erkrankte Menschen und ihre Angehörigen trotz des jetzt vorgelegten Berichts noch jahrelang auf konkrete Hilfe warten müssten.

Storm: Keine Zeit verlieren

Beiratsmitglied Professor Heinz Rothgang hatte bereits im Vorfeld kritisiert, dass das Gesundheitsministerium keinen Finanzrahmen vorgegeben hat. Diese fehlende Vorgabe habe der Arbeit des Expertenbeirats geschadet, sagte Rothgang der "Ärzte Zeitung".

Grünen-Politikerin Elisabeth Scharfenberg bemängelte, dass der Bericht viel zu spät komme: "Vor der Wahl passiert jetzt nichts mehr."

Die Kassen lobten den Bericht: Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (vdek): "Die Arbeit des Expertenbeirates hat sich gelohnt. Der neue Bericht geht in vielen Teilen deutlich weiter als der Bericht des "alten" Beirates von 2009."

Er gehe detailliert auf Fragen zu Überleitungsregelungen sowie zum Bestandsschutz ein und enthäle wertvolle Empfehlungen für die Umsetzung der fünf Pflegegrade. "Die Politik steht nun in der Pflicht, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff rasch umzusetzen", sagte Elsner.

Der saarländischen Gesundheitsminister Andreas Storm (CDU): "Es ist jetzt wichtig, dass so schnell wir keine Zeit verlieren und möglichst schnell mit dem politischen Prozess zur Umsetzung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Bundesgesundheitsministerium begonnen wird."

Anfang 2014 müsse mit der Gesetzgebung begonnen werden. "Wenn das Gesetz Ende 2014 oder Anfang 2015 beschlossen wird, kann Mitte 2016 mit dem neuen Begutachtungsverfahren begonnen werden", sagte Storm der "Ärzte Zeitung".

(Mitarbeit: Rebecca Beerheide)

Lesen Sie dazu auch: Kommentar zum Pflegebegriff: Der Nächste bitte! Kritik an Pflegepolitik: Nur "Drückebergerei"?

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