Fehler als Chance

Eine Praxis zeigt, worauf es ankommt

Eine kleine Unachtsamkeit im Praxisalltag brachte eine Patientin ernsthaft in Gefahr. Auf diese Erfahrung hätte Petra Weinmann gerne verzichtet. Doch dank der offenen Fehlerkultur in der Praxis reagierte die MFA schnell und richtig.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Wichtiger als die Frage "Wer war schuld an einem Fehler?" ist: "Was war schuld?" Denn nur so lassen sich Fehler in Zukunft vermeiden.

Wichtiger als die Frage "Wer war schuld an einem Fehler?" ist: "Was war schuld?" Denn nur so lassen sich Fehler in Zukunft vermeiden.

© Maksim Kabakou / fotolia.com

NEU-ISENBURG. Es war einer von diesen typischen Montagen in einer Hausarztpraxis: Schon den ganzen Tag herrschte Hochbetrieb und auch die Abendsprechstunde war voll. Ausgerechnet da unterlief Petra Weinmann eine Unachtsamkeit, die eine Patientin in Lebensgefahr hätte bringen können.

Die 27-jährige Patientin hatte eine Allergie gegen Hausstaubmilben und Katzenhaare und kam an dem Abend zur Hyposensibilisierung. "Die Behandlung mit dem Allergen sieht sieben Injektionen mit steigender Allergenmenge vor", berichtet die Medizinische Fachangestellte (MFA).

"Die erste und zweite Injektion hatte die Patientin schon erhalten und gut vertragen." In der Wartezeit danach sei keine allergische Reaktion aufgetreten. "Ich holte das Allergen aus dem Kühlschrank und informierte mich durch den handschriftlichen Dokumentationszettel, wie hoch die letzte Dosis war und wie die Patientin reagiert hatte", erzählt Weinmann.

Für diesen Abend hätte laut dem Dokumentationszettel die dritte Injektion von 1,0 ml angestanden. "Das kann der Chef im Vorbeigehen erledigen, dachte ich."

Notiz am Allergen stimmte nicht

Der Arzt spritzte also das Allergen, und Weinmann stellte den Wecker für die 30-minütige Wartezeit. "Die Patientin baten wir, sich sofort zu melden, wenn eine allergische Reaktion auftreten sollte." Weil auch diese Injektion dokumentiert werden musste, ging die Fachangestellte trotz der Hektik in der Praxis gleich an den Computer.

Und dort sah sie nun den letzten Eintrag: Zu Hause hatte die Patientin auf die erste Injektion von 0,1 ml mit Hautausschlag, Heuschnupfen und Atemnot reagiert. Darum erhielt sie bei der zweiten Injektion noch einmal die gleiche Dosis. "Das stand aber nicht auf dem Dokumentationszettel, der mit dem Allergen im Kühlschrank lagerte", sagt Weinmann.

"An diesem Tag hätte die Patientin nur 0,3 statt 1,0 Milliliter erhalten dürfen!" Sie informierte umgehend den Arzt, der mit der Patientin sprach und eine Notfallbehandlung vorbereitete. "Zum Glück zeigte die junge Frau keine allergischen Symptome", so die MFA

Profis aus Pflege und Praxis berichten

Der AOK-Bundesverband hat eine Broschüre herausgebracht, in der sich 14 Pflegekräfte, MFA und Physiotherapeuten offen und praxisnah zu ihren Fehlern, die tödlich hätten enden können, bekennen. Petra Weinmann ist eine von ihnen. Der Titel der Broschüre "Fehler als Chance" spiegelt auch die Motivation der AOK wider: Es geht darum, die Patientensicherheit durch eine offene Fehlerkultur zu verbessern.

Kostenloser Download unter: www.aok-gesundheitspartner.de (Menüpunkt: Pflege)

Dass die Fachangestellte nicht in einem Schock erstarrte und gleich richtig handelte, nachdem ihr der Fehler auffiel, hat mehrere Gründe. Zum einen habe das etwas mit dem Alter und der Erfahrung zu tun, erklärt Weinmann. Aber eben auch mit einem gewissen Selbstwertgefühl, dass man sofort offen einen Fehler zugestehen kann.

Es kommt laut der Fachangestellten aber auch darauf an, wie in der Praxis mit Fehlern umgegangen wird. "Es ist wichtig, dass man eben keine Angst vor dem Chef und den Konsequenzen hat - und daher schneller handeln kann."

Schuldzuweisungen gibt es nicht

Geholfen hat der Fachangestellten zudem, dass die Praxis regelmäßige Notfallmanagement-Schulungen durchführt. "Man überträgt das Wissen auch auf andere kritische Situationen und handelt viel strukturierter."

Die Hausarztpraxis im bayerischen Kirchberg, in der Petra Weinmann arbeitet, hat aber auch für sich ein ganz eigenes und vor allem äußerst praktikables Fehlermanagement erarbeitet. Es gibt nicht nur die nötige Offenheit im Team, Fehler und auch kritische Ereignisse werden regelmäßig donnerstags in der Teambesprechung analysiert.

"Wir versuchen jedes Ereignis emotionslos und ohne Schuldzuweisung zu diskutieren", berichtet Weinmann. Auch ihr Fehler wurde direkt in der Teamrunde besprochen.

"Eine Kollegin hatte den handschriftlichen Zettel nicht aktualisiert. Ich wiederum hatte mich nicht wie vereinbart anhand des Computereintrags vergewissert, welche Dosis vorgesehen war." Was die Praxis daraus gelernt hat? Besser auf Eintragungen zu achten und sich genügend Zeit für die Dokumentation zu nehmen.

Dabei hat auch die Praxis in Kirchberg, die mit 13 MFA - darunter drei Auszubildende - und vier Ärzten an zwei Standorten arbeitet, verschiedenste Fehlermanagementsysteme im Rahmen der QM-Zertifizierung ausprobiert.

"Wir haben aber gesehen, dass das für uns nicht funktioniert", sagt Weinmann. Deshalb hat die Praxis, deren MFA zwischen den Standorten rotieren, ein ganz einfaches System eingeführt, das auch tatsächlich gelebt werde.

Kleinigkeiten ernst nehmen

"Wir haben ein DIN A5 Heft, das im Teamzimmer liegt und in das jeder handschriftlich und anonym einträgt, was ihm auffällt", erläutert Weinmann. Dort würden auch Kleinigkeiten eingetragen, etwa, dass eine Anfrage in ein falsches Fach sortiert wurde. "Wenn man die kleinen Fehler ausräumt, passieren die großen nicht", betont die MFA.

Auch die Besprechung erfolge anonym. Die MFA, die das Protokoll der Teamsitzung schreibt, trage die Fehler und Ereignisse vor. "Wir erarbeiten dann gemeinsam Lösungen oder diskutieren, wie reagiert wurde." Der Sachverhalt samt Lösung werde im Protokoll festgehalten, das anschließend im Teamzimmer aushänge und von jedem Teammitglied abgezeichnet werden müsse.

Weinmann: "So sind auch die Teammitglieder informiert, die an der Sitzung nicht teilnehmen konnten." Für Weinmann hat dieses Vorgehen aber noch zwei entscheidende Vorteile: "Es ist nicht zeitaufwendig und wir fühlen uns nicht angeklagt. Außerdem wird der Fehler direkt in derselben Woche besprochen."

Damit geraten keine Ereignisse durch den Alltag in Vergessenheit - Fehler können also effektiver verhindert werden.

Für einen offenen Umgang mit Fehlern ist laut Weinmann aber noch etwas entscheidend: Alle müssen sich beteiligen. "Es klappt nicht, wenn die eine Hälfte des Teams offen über Fehler spricht und die anderen nie etwas preisgeben."

Interview: Team-time-out schützt auch Praxen

Sabine Ridder, Präsidentin desVerbands medizinischer Fachberufe.

Sabine Ridder, Präsidentin desVerbands medizinischer Fachberufe.

© Verband medizinischer Fachberufe e.V.

Die hohe Arbeitsteilung macht Praxen anfällig für Fehler. VmF-Präsidentin Sabine Ridder erklärt, wie Teams vorbeugen.

Ärzte Zeitung: Oft trauen sich MFA schlichtweg nicht, offen über Fehler zu sprechen. Woran liegt das? Und was könnten Praxischefs hier besser machen?

Sabine Ridder: Mit der Einführung des QM in den Praxen hat sich auch das Bewusstsein für ein gelebtes Fehlermanagement verstärkt. Trotzdem ist es gerade in kleinen Praxiseinheiten nach wie vor viel schwieriger, Fehler anzusprechen. Denn selbst, wenn man ein anonymes Meldesystem oder eine Fehlerbox einführt, ist nie dieselbe Anonymität wie etwa in einer Klinik gegeben.

Das ist ein sehr großes Handicap der kleinen Praxen. Wichtig ist daher, dass es im Team möglich ist, ohne jegliche Vorwürfe, Beschuldigungen und Repressalien Fehler zu diskutieren. Da die MFA hier im direkten finanziellen Abhängigkeitsverhältnis zum Praxischef steht, muss der Chef deutlich signalisieren, dass es auch im Fehlermanagement ein vertrauensvolles Miteinander gibt.

Was könnten auch die MFA selbst besser machen?

Ridder: Wenn die Rahmenbedingungen gegeben sind, geht es vor allem darum, seine eigenen Tätigkeiten, sein Handeln zu reflektieren. Das Team-time-out, das wir aus den Kliniken kennen, ist im übertragenen Sinn auch in der Praxis wichtig. Wie gehe ich mit den Tätigkeiten um, überlege ich noch einmal, was ich gemacht habe und ob ich alles richtig gemacht habe?

Dabei sollten MFA auch daran denken, dass sie gegenüber den Auszubildenden eine Vorbildfunktion haben. Wenn ich selbst öfter meine Arbeit reflektiere, färbt das im positiven Sinne auch auf die Auszubildenden ab. Und gerade bei ihnen ist es wichtig, dass sie immer wieder überlegen: Habe ich tatsächlich an alles gedacht?

Zusätzlich können die Teams Barrieren einbauen, damit es erst gar nicht zu Fehlern kommt. Das können durchaus mal Aufkleber mit einem Stopp-Signal sein, damit Kolleginnen kurz innehalten, oder Warnsignale in der EDV.Es ist auch egal, ob man in der Haus- oder Facharztpraxis arbeitet. Es ist alles so hochgradig arbeitsteilig geworden, meist wird auch noch mit vielen Teilzeitkräften gearbeitet - da braucht es strukturierte Übergaben und Checklisten. Aber auch Simulationstrainings in Teambesprechungen helfen.

Gibt es Prozesse in den Praxen, die besonders fehleranfällig sind?

Ridder: Das sind mit Sicherheit die Rezepte und Rezeptwiederholungen. Das sieht man auch auf externen Fehlerdatenbanken wie jeder-fehler-zaehlt.de. Wir geben den Kolleginnen auch immer den Tipp, sich die Einträge in dem Portal anzuschauen und dann in der Teamsitzung darüber zu sprechen. Warum soll man einen Fehler, den schon einmal jemand begangen hat, noch einmal machen?

Man sollte das als eine Art Fortbildung sehen. Auch für die Ausbildung ist das eine wichtige Quelle. Man reflektiert die eigene Arbeit anschließend - mit dem Wissen - ganz anders.Wichtig ist aber auch, die Hygienemaßnahmen zu beachten. Damit lassen sich große Fehlerquellen von vornherein vermeiden.

Der Verband medizinischer Fachberufe unterstützt als Kooperationspartner die Broschüre "Fehler als Chance" des AOK-Bundesverbandes. Nähere Informationen zur Broschüre unter www.aok-gesundheitspartner.de (Menüpunkt: Pflege).

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