Wenig Gesundheitskompetenz

Es mangelt vor allem an Transparenz

In Sachen stärkere Gesundheitskompetenz von Patienten sind gerade auch Ärzte gefragt, sagt Professor Doris Schaeffer von der Uni Bielefeld.

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Ärzte Zeitung: Welche möglichen Gründe sehen Sie für das unterdurchschnittliche Abschneiden der Deutschen in Fragen der Gesundheitskompetenz?

Dr. Doris Schaeffer ist Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld.

Dr. Doris Schaeffer ist Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld.

© privat

Professor Doris Schaeffer: Die WIdO-Studie deutet auf wichtige Gründe für das beunruhigende Abschneiden der Deutschen hin. So ist der Anteil derjenigen, die von Schwierigkeiten beim Auffinden von Informationen über sie direkt betreffende Krankheitssymptome berichten, recht hoch.

Noch eindrucksvoller ist die Erkenntnis, dass fast 40 Prozent der Befragten angeben, nur schwer Informationen über Unterstützungsmöglichkeiten bei psychischen Problemen zu finden.

Hier zeigen sich Unsicherheiten, die typisch für Teile der Bevölkerung sind, wenn es um die Nutzung des Versorgungssystems geht. Wir wissen seit langem, dass es für viele zu unübersichtlich und intransparent ist und die Nutzung ein hohes Maß an Kompetenz und auch an Wissen erfordert.

Das macht sich vor allem bei Menschen mit niedrigem Bildungsgrad und bei jungen Menschen bemerkbar. In unserer eigenen Untersuchung zeigt sich, dass auch Menschen im hohen Alter dazu zählen.

Zudem finden es gut 24 Prozent der Befragten schwierig, mithilfe der Infos, die ihnen der Arzt gibt, gesundheits- und krankheitsbezogene Entscheidungen treffen zu können.

Immerhin ca. 37 Prozent geben an, dass sie Schwierigkeiten bei der Einschätzung haben, wann eine Zweitmeinung einzuholen ist.

Hier zeigen sich Unsicherheiten, die zugleich auf Kommunikationsprobleme deuten: Offenbar haben unsere Gesundheitsprofessionen nach wie vor Schwierigkeiten mit der Gesundheitskommunikation.

Ärzte Zeitung: Wie könnten Gesundheitsinformationen am besten an die Bevölkerung gebracht werden?

Professor Doris Schaeffer: Ganz klar: durch die Bereitstellung von nutzerfreundlichen, verständlichen und sprachlich einfachen aber evidenzbasierten Informationen.

Gebraucht werden Kommunikation, Beratung und vor allem Gesundheitsbildung, Kompetenzförderung und Selbstmanagementunterstützung. Um nachhaltige Effekte zu erzielen, brauchen wir auch hier noch weitere Forschung.

Tiefergehende Erkenntnisse erwarte ich unter anderem von drei weiteren Untersuchungen. Bei uns an der Universität Bielefeld laufen zwei weitere Erhebungen mit der Vollversion des HLS-EU- Fragebogens in einer bundesweit repräsentativen Studie (HLS-GER) und einer Studie in NRW, die sich auf vulnerable Zielgruppen fokussiert (HLS-NRW).

Am Robert Koch Institut wird - wie bei der WIdO-Erhebung der gesetzlich Versicherten - in einer bundesweiten Studie das HLS-EU-Kurzinstrument eingesetzt. Noch im Spätherbst werden wir daher weitere Daten für Deutschland haben.

Ärzte Zeitung: Wo sehen Sie das größte Verbesserungspotenzial?

Professor Doris Schaeffer: Verbesserungspotenzial liegt im Ausbau, der Stärkung und besseren Förderung der genannten Bereiche. Nötig sind ferner zielgruppenspezifische Konzepte, die auf die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und ihre Probleme zugeschnitten sind.

Weitere Verbesserungspotenziale sehe ich in einer verbesserten Kommunikations- und Vermittlungskompetenz der Gesundheitsprofessionen. Dabei denke ich vorrangig an Ärzte und Apotheker sowie an den Bereich der Pflege.

Hier können noch viele brachliegende Potenziale gehoben werden, vor allem wenn ich an die Pflege chronisch kranker Menschen denke.

Ärzte Zeitung: Was könnte Deutschland am ehesten von Nachbarländern lernen?

Professor Doris Schaeffer: Zum Beispiel die Potenziale der Pflege im Bereich Gesundheitsförderung, Gesundheitsinformation, -beratung und -bildung besser zu nutzen.

Lernen könnten wir auch von vielen Ländern, das Thema Patientenorientierung beziehungsweise -zentrierung und Stärkung der Nutzerkompetenz nicht nur als 'nice to do‘ zu betrachten, sondern als 'need to do‘.

Denn das geht mit der Förderung von Gesundheitskompetenz Hand in Hand.

Ärzte Zeitung: Sollte Gesundheit auch ein Thema im Schulunterricht sein?

Professor Doris Schaeffer: Selbstverständlich. Gerade in den Gesellschaften langen Lebens, zu denen wir an vorderer Stelle gehören, ist der Erhalt der Gesundheit ein überaus wichtiges Thema.

Hier muss Gesundheitsbildung und -förderung so früh wie möglich einsetzen, also nicht erst in Schulen, sondern bereits im Kindergarten und in der Kleinkinderziehung.

Das Thema muss sich - natürlich in immer anderen Facetten - durch den gesamten Lebenslauf ziehen, zumal sich in allen Phasen andere Aufgaben und Herausforderungen stellen.

Ärzte Zeitung: Welchen Beitrag könnten Krankenkassen leisten?

Professor Doris Schaeffer: Sie sollten sich dem Thema Health Literacy mehr widmen, einerseits mit dem Fokus auf Gesundheitsförderung und Prävention, denn die AOK-Daten deuten ja auch hier auf Handlungsbedarf.

Andererseits sollte die Konzentration auf Krankheitsbewältigung und Versorgungsnutzung liegen. Die Kassen könnten und sollten hier die Entwicklung nationaler Aktionsstrategien unterstützen und intervenierend tätig werden.

Und ich wünsche mir noch mehr Unterstützung und Förderung der Wissenschaft, damit die nötigen Datengrundlagen geschaffen und Konzepte erarbeitet werden können.

(Das Interview führte Taina Ebert-Rall)

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